Anton Tschechow - Der Durchbruch zur Moderne

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Der russische Schriftsteller Anton Tschechow war schon zu Lebzeiten ein Star - zumindest in seiner Heimat. Inzwischen gehören seine Dramen "Onkel Wanja", "Drei Schwestern", "Die Möwe" und "Der Kirschgarten" weltweit zu den meistgespielten Theaterklassikern. Am 29. Jänner 1860 wurde Tschechow geboren.

Das Leiden der Menschen an sich selbst stellte wohl kaum ein Dramatiker so treffend dar wie Tschechow. Der Dichter starb jung - nur 44 Jahre alt - im Schwarzwald-Kurort Badenweiler an Schwindsucht. Der Intendant der Berliner Volksbühne, Frank Castorf, wird im kommenden Mai eigens für das Internationale Tschechow-Festival in der russischen Hauptstadt "Nach Moskau, Nach Moskau" inszenieren. In diesem Mix aus Stoffen von "Drei Schwestern" und "Die Bauern" prallen zwei Welten aufeinander, die Tschechow als Arzt, der er auch war, gut kannte. Auf der einen Seite das vor tödlicher Langeweile erstarrte Bürgertum, auf der anderen das einfache Volk, das sich an der Lage im vorrevolutionären Zarenreich reibt.

Kritiker hielten Tschechow oft vor, er übe zu wenig Sozialkritik. Doch sein berühmter Kollege Leo Tolstoi ("Krieg und Frieden") etwa lobte die präzisen Gesellschaftsskizzen Tschechows. Auch Thomas Mann würdigte seine erzählerische Kürze und immense künstlerische Kraft. Vor allem Tschechows sensible Menschenkenntnis findet weiter ihre Bewunderer. Immer wieder drehen sich die Erzählungen des Russen um die Frage, warum die Menschheit trotz aller Fortschritte nicht glücklicher und reifer werde.

Es gilt als Stärke Tschechows, dass er bei aller Nachdenklichkeit keine Moralpredigten hält. Es geht ihm nicht darum, fertige Antworten zu geben, sondern Fragen zu stellen. Während er oft die innere Leere vieler Menschen thematisiert, engagierte er sich selbst auch sozial. Tschechow galt als Frohnatur. Er konnte in geselliger Runde mühelos unterhalten und die ernsten Dinge des Lebens humorvoll schildern. "Die Medizin - das ist meine gesetzmäßige Frau, und die Literatur - das ist meine Geliebte", sagte er einst. Eine Ehe ging er erst wenige Jahre vor seinem Tod mit der Schauspielerin Olga Knipper ein.

Die Spannung seiner Werke, von denen der Lungenkranke viele auf der Halbinsel Krim mit Blick aufs Schwarze Meer schrieb, entsteht allerdings kaum durch dramatische Ereignisse, sondern durch die Akteure, die mit indirekten Dialogen ihre Gefühlswelten offenbaren. Neben dem mediterranen Krim-Klima war Tschechow aber auch die dunkle Seite des riesigen Zarenreichs nicht fremd.

1890 lernte er bei einer Reise auf die Insel Sachalin im äußersten Osten des Landes das Leben der dorthin verbannten politischen Gefangenen kennen. Diese Erlebnisse wirkten etwa in "Krankenstation Nr. 6" fort. In dem zuletzt auch von dem russischen Regisseur Karen Schachnasarow verfilmten Stoff wird ein Irrenarzt, der philosophische Gespräche mit einem Patienten führt, durch Intrigen seiner Kollegen letztlich selbst für verrückt erklärt.

Der schreibende Arzt revolutionierte nach Einschätzung der Wissenschaft die Literatur und schaffte den Durchbruch zur Moderne. Anfangs schrieb der in der südrussischen Stadt Taganrog geborene Sohn einer Kaufmannsfamilie Kurzgeschichten für Zeitschriften, um sich bei seinem Medizinstudium über Wasser zu halten. Seine grellen Milieuskizzen etwa aus der Beamten- und Lehrerschaft geben tiefe Einblicke in das Leben der Intelligenz seiner Zeit. Tschechow zeigte, wie diese Schicht an ihrer Gleichgültigkeit zugrunde geht. 

Den Helden seiner Geschichten konnte er alles nehmen: die Illusionen, die Schönheit und das Talent. Nur die Hoffnung ließ er ihnen. Schon todkrank auf seiner letzten Reise, hoffte Tschechow im sonnigen Badenweiler im Schwarzwald selbst auf eine Besserung seines Zustands. Am 15. Juli 1904 trank er in seinem Hotelbett noch ein Glas Champagner und starb. Ein Museum erinnert dort an ihn. Auch mehr als 100 Jahre nach seinem Tod lockt sein Moskauer Grab mit einem Stein, der einem Dorfkirchlein gleicht, auf dem Friedhof des Neujungfrauenklosters Touristen aus aller Welt an.

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