Norwegen liest gebannt "Mein Kampf" als Roman

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Witzeleien über ein Land in fieberhafter Erwartung von "Mein Kampf, Band 4" verbieten sich eigentlich. In Norwegen drängen sie sich diese Woche allerdings auf, denn der gerade erschienene vierte Band des Mammutromans mit dem anrüchigen Titel von Karl Ove Knausgård beherrscht souverän die Feuilletons, löst erregte Debatten aus und schlägt alle Auflagenrekorde.

200.000 Norweger haben die bisherigen Folgen des autobiografischen Werks erstanden. Dabei haben weder das Buch noch die "Knausgård-Manie" ("Dagbladet") das Geringste mit Hitlers berüchtigtem und heute in Österreich verbotenen "Mein Kampf" zu tun. Wohl aber, neben der sicher kommerziell kalkulierten Titelwahl, mit Begeisterung über einen autobiografischen Text von "unwiderstehlicher Kraft, vielfältig, reich, erschütternd" ("Aftenposten"), ein "existenzielles Literaturexperiment ohnegleichen" ("Klassekampen"), ein "Ausrufezeichen für die Romankunst" ("Vårt Land").

Dieses Lob gilt dem ersten von sechs dicken Bänden über das Leben des Norwegers, der vor einem halben Jahr erschienen ist. Schutzlos, ehrlich und mit unglaublicher sprachlicher Kraft habe der Autor hier sein schwieriges Verhältnis zum Vater und auch zum Bruder geschildert und generell über das eigene Leben reflektiert, waren sich alle Rezensenten einig. Diese Begeisterung teilten etliche der im Roman mit wirklichem Namen vorgestellte Verwandten, Ex-Lehrer und andere Wegbegleiter Knausgårds nicht. Die fühlten sich völlig "schutzlos" ausgeliefert.

14 von ihnen verbreiteten eine gemeinsame Erklärung, in der sie das Buch als "Judasliteratur voller Beleidigungen, fehlerhafter Personendarstellungen und Anprangerungen" abkanzelten. Auch Knausgårds hoch geachteter Kollege Jan Kjærstad kritisierte Knausgårds schwer durchschaubare Mischung aus Autobiografie und Fiktion.

Der Autor, der sich in den Medien rarmacht, reagierte so, wie es sich seine Lesergemeinde nicht schöner hätte wünschen können: Er schwieg zur aufgeregten Debatte um Kjærstads Kritik, baute aber den bis vor kurzem viel bekannteren Autorenkollegen einfach in den vierten Band seines Werkes ein. Bis zum Sommer sollen auch die letzten beiden Bände erscheinen. 3000 Seiten über die ersten 40 Jahre seines Lebens hat Knausgård dann innerhalb von wenig mehr als zwölf Monaten vorgelegt.

Dass ihm bei diesem rasenden Tempo am Schreibtisch im schwedischen Malmö vielleicht ein bisschen die Puste ausgegangen ist, deutet sich bei der Kritiker-Reaktion auf Band vier an. Oberflächlich, klischeehaft, hieß es immer wieder in den Rezensionen. Knausgård ist inzwischen bei anderen Personen zu fiktiven Namen übergegangen. Der Fangemeinde verspricht er ein Bonbon zum Abschluss: Im sechsten Band, also wohl auf den Seiten 2.500 bis 3.000, sollen die wilden Reaktionen auf die ersten Bände zum Thema gemacht werden.

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