Ohne Diskussion: Hegemann liest aus "Axolotl"

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Eigentlich habe sie sich vorgenommen, nie vorzulesen, sagt Helene Hegemann. Aber an diesem Abend tut es die umstrittene Nachwuchsautorin dann doch. Es ist ihr 18. Geburtstag. Und die Berlinerin stellt mit dem Ullstein Verlag ihren mit Plagiatsvorwürfen konfrontierten Roman "Axolotl Roadkill" am vergangenen Freitagabend offiziell vor.

Das Buch ist schon einige Wochen auf dem Markt, steht seither auf den Bestsellerlisten und hat eine große Debatte über die Originalität von Kunst ausgelöst. Anders als Ullstein-Geschäftsführerin Siv Bublitz geht Hegemann an diesem Abend mit keinem Wort auf das Trommelfeuer ein, das seit Wochen auf sie einprasselt. Keine Entschuldigung, keine Verteidigung.

Stattdessen stellt sie sich im wummernden Berliner Techno-Club Tresor vor rund 1.000 geladenen Gästen ganz leise ans Mikrofon und liest mit der Schauspielerin und Freundin Laura Tonke (35) aus dem Roman vor. Klein und ein bisschen schüchtern steht sie in ihrem Blumenröckchen da, immer wieder fallen die Haare wie ein Schleier übers Gesicht. Und die Freundin muss ihr mit einem Küsschen Mut zum Loslegen machen.

Es ist eine kraftvolle und scharfe Sprache, in der sie von den Befreiungsversuchen ihrer 16 Jahre alten Erzählerin Mifti schreibt - hart, wild und zynisch. Unkommentiert liest sie auch eine der etwa 20 Passagen vor, die sie aus dem Roman "Strobo" des unter Pseudonym schreibenden Bloggers Airen übernommen hat.

"Schlussendlich liegt auf dem Mahagonitisch eine Messerspitze bräunlichen Pulvers, das wie Instanttee aussieht und nach einer Mischung aus Zigarettenkippen, Müll und Essig riecht", lesen die beiden vor. "Als sie ein Feuerzeug unter die Folie hält, schmilzt das Heroin und zieht eine kleine Rauchschwade hinter sich her."

   Verlegerin Bublitz hat zuvor wortmächtig das Recht auf die "freie Benutzung" von Quellen verteidigt. "Dieses Recht erlaubt es einem Künstler, Quellen auch ungenannt zu verwenden, wenn er daraus Neues und Eigenständiges schafft", sagt sie. Dennoch habe es Ullstein nicht auf einen Rechtsstreit ankommen lassen, damit endlich wieder über den Roman selbst und seine Qualität geredet werde.

   Der vierten Auflage, die von Montag an ausgeliefert wird, ist deshalb ein gut fünfseitiger Anhang beigefügt, der übernommene Passagen akribisch auflistet. "Anhand des Quellenverzeichnisses kann sich nun jeder Leser selbst ein Urteil darüber bilden, ob die Wellen, die (das Buch) in den vergangenen Wochen geschlagen hat, dem Anlass eigentlich angemessen waren", sagt sie und entschwindet.

Eine Diskussion, die Fortsetzung des öffentlichen Diskurses, ist an diesem Abend nicht vorgesehen. Auch Hegemann wird sofort nach ihrem Vortrag von einem schwarzen Bodyguard weggeführt. Sie kann wie schon vor ihrem Auftritt nur noch durch das riesige Eisengitter vor dem DJ-Platz beobachtet werden - wie in einem Zoo. Die Gäste, die zuvor in Nieselregen und Schneematsch bis zu zwei Stunden anstehen mussten, verlieren sich langsam in den stroboskopisch blinkenden Geistergängen des ehemaligen Heizkraftwerks.

"Ich bin überrascht, wie gut sie das alles verkraftet. Sie geht sehr cool mit der ganzen Sache um", sagt Freundin Tonke später. Zur Rückenstärkung ist auch ihr Vater gekommen, der ehemalige Volksbühnen-Chefdramaturg Carl Hegemann.

Ebenfalls geladen war Blogger Airen, der aber allenfalls incognito erschien. Er wolle sich bewusst nicht in die Öffentlichkeit begeben, hieß es bei Ullstein. Ob das Traditionshaus als Teil des Deals mit Airen tatsächlich dessen bisher nur in einem Szeneverlag erschienenen Roman "Strobo" neu herausbringen will, war an dem Abend nicht zu klären. "Ich muss jetzt leider gehen", sagt Bublitz.

INFO: http://dpaq.de/HNtir; Sukultur: http://dpaq.de/XU0tu.

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