Vier minus drei

Bereit für ein neues Leben

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Im März 2008 verlor Barbara Pachl-Eberhart ihren Mann und ihre Kinder. Jetzt erzählt sie Ihre Geschichte in einem Buch.

Das Wort „Trauerarbeit“ gefällt ihr nicht. „Ich nenne es lieber Trauergestaltung“, sagt Barbara Pachl-Eberhart (36) über jenes Thema, das seit dem 20. März 2008 ihr stetiger Begleiter ist. Während die junge, fröhliche Mutter in einem Supermarkt Osternestchen für ihre Familie kauft, verunglücken ihr Mann Helmut „Heli“ Eberhart († 38) und ihre Kinder Thimo (†6) und Fini (†2) bei einem tragischen Unfall. Der Clownbus, in dem Barbaras Herzensmenschen sitzen, kollidiert bei einem Bahnübergang mit einem Zug. Heli ist sofort tot – Thimo und Fini erliegen in den darauf folgenden Tagen im Beisein ihrer Mutter den schweren Verletzungen.

Antworten
„Meine Engel sind immer bei mir“, sagte Barbara Pachl-Eberhart wenige Monate später im großen MADONNA-Interview, in dem sie auch erstmals offen über ihren Schritt in eine neue Beziehung – mit Schauspieler Ulrich Rheintaller (45) – sprach. Ein Schritt, den viele missverstanden haben. So, wie viele in ihrer Sehnsucht, die junge Frau zu trösten, enttäuscht wurden, denn Barbara Pachl-Eberhart – sie arbeitet u.a. als Clown für die Roten Nasen – verlor trotz der wohl härtesten Prüfung des Lebens nie ihr Lächeln. Dieser Tage erscheint ihr Buch „Vier minus drei“, in dem Pachl-Eberhart Antworten auf viele Fragen gibt, offen über ihre ganz persönliche Trauergestaltung und ihren Weg in eine neues Leben schreibt. MADONNA traf die Neoautorin zum Gespräch über Erinnerungen, Kritiker, Angst und ihren konkreten Plan, wieder Mutter zu werden...

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Bereit für ein neues Leben.
© Kernmayer

Bild (c) Kernmayer

Am Anfang Ihres Buchs beschreiben Sie Ihr „letztes Bild“ von Ihrer Familie am Frühstückstisch an jenem 20. März 2008. Wie oft haben Sie heute noch dieses Bild vor Augen?
Barbara Pachl-Eberhart: Dieses Bild hat sich in mein Gedächtnis als ganz typische Situation mit meiner Familie eingebrannt... es ist eigentlich immer präsent. Ich habe das Glück, dass sich mein Kopf vor allem die schönen Augenblicke merkt. Etwa das Lachen meiner Kinder, das mich dauernd begleitet. Ich habe heute immer mehr das Gefühl, dass ich die Art, wie meine Kinder und mein Mann waren, in mir trage. Dass ich das mitlebe, was sie ausgemacht hat. Sie sind ein Teil von mir geworden – ich bin jetzt sozusagen vier Leute auf einmal. Eine gute Mischung würde ich sagen. (lacht)

Als ich Sie im Mai 2009 fragte, wie es Ihnen geht, haben Sie gesagt: Ich lasse es mir so gut gehen wie nur möglich. Wie geht es Ihnen heute?
Pachl-Eberhart: Die Antwort gilt nach wie vor. Das Problem bei dieser Frage ist: Wenn du mit „gut“ antwortest, denken die Menschen, dass es dir auch gestern gut ging und es dir auch morgen gut gehen wird. Aber für das Hier und Jetzt würde ich sagen: gut.

Und wenn Sie die Frage auch für gestern und morgen beantworten würden?
Pachl-Eberhart: Ich habe die Bewertung, die ich den Gefühlen „gut“ und „schlecht“ früher gegeben habe, zu relativieren gelernt, weil ich erfahren habe, dass beides notwendig und auf seine Weise gut ist. Ich bin manchmal sogar fast erleichtert, wenn ich traurig bin und heule wie ein Schlosshund. Denn auch das ist wichtig und richtig im betreffenden Moment.

Wie gehen Sie mit solchen Tiefs um? Sprechen Sie darüber oder schließen Sie sich lieber ein?
Pachl-Eberhart: Ich habe das Glück, einen Partner zu haben, mit dem ich immer reden kann, wenn es mir schlecht geht. Er ist der, der mich lückenlos begleitet hat und auch die Relevanz dessen, was sich gerade in mir abspielt, versteht. Mein zweites Ventil ist sicher das Schreiben.

War das Schreiben Ihres Buchs ein Teil Ihrer Therapie?
Pachl-Eberhart: Den Verdacht haben viele. Schreiben hat natürlich etwas Therapeutisches an sich. Aber ich glaube nicht, dass man zu Therapiezwecken so ein Buch schreiben kann. Denn beim therapeutischen Schreiben muss man einfach loslassen, Dampf ablassen. Das Arbeiten mit Texten findet auf einer ganz anderen Ebene statt. Da geht es darum, dass man die Geschichte richtig gestalten kann. Das wiederum war für mich ein therapeutischer Akt für sich – zu erkennen, dass ich mir aussuchen kann, wie ich meine Vergangenheit erzähle. Und: die Texte und meine Erkenntnisse immer wieder zu lesen.

Haben Sie auch neue Seiten an sich kennengelernt?
Pachl-Eberhart: Ja, du musst in so einem Prozess ja auf deine blinden Flecken sehen und dich selbst immer wieder fragen: Stimmt das, was du schreibst? Hast du wirklich so empfunden? Etwa beim Thema „Wut“: In den ersten Entwürfen schrieb ich, dass ich niemals wütend war. Da sagte mein Lektor, dass mir das kein Mensch glaubt. Das war letztlich ganz entscheidend – auch die wütende Barbara anzunehmen. Und ich habe beim Schreiben gelernt, dass es auch eine Barbara gibt, die nicht nur von Intuition, Fantasie und Kreativität gespeist ist, sondern auch gewissenhaft an etwas arbeiten, etwas gestalten und in Form bringen kann. Ich glaube, ich bin dadurch ein großes Stück erwachsener geworden.

War der Schlusspunkt Ihres Buches gleichzeitig eine Art Beendigung Ihrer Trauerarbeit?
Pachl-Eberhart: Ich bin nicht mehr auf dem Weg dieser klassischen Trauerphasen, die ich alle kenne, wobei ich den Prozess ungern als Trauerarbeit, sondern viel lieber als Trauergestaltung bezeichne. Die Frage, ob man seine Trauer jemals abschließt, ist, glaube ich, so ähnlich, wie wenn man mich fragt, wann ich endlich fertig mit dem Atmen bin. Trauer ist irgendwie wie Zähneputzen für mich. Wenn ich sie zu lange vernachlässige – den Dialog mit meiner Familie, das Erinnern, das Anschauen der Fotos –, dann holt sie mich sehr intensiv ein. Die Hälfte meines Hirns ist sicher immer damit beschäftigt, zu verstehen, dass meine Familie gestorben ist.

Sie schreiben in Ihrem Buch über Ihre Überzeugung, dass Heli, Thimo und Fini nun Engel sind. Gab es Momente, in denen Sie daran zweifelten?
Pachl-Eberhart: Ja, die gab es schon, natürlich. Aber letztlich kehrte ich immer wieder zu meinem Glauben zurück. Nicht zuletzt, weil sich der Glaube, der aus mir heraus gewachsen ist, ziemlich genau mit dem deckt, worin alle mir bekannten Religionen letztlich übereinstimmen. Ich glaube an diese tiefere Wahrheit jenseits dessen, was wir verstehen können.

Ein großes Kapitel widmen Sie auch den Menschen, die Ihren Umgang mit der Trauer nicht verstanden und Sie auch wegen Ihrer neuen Beziehung, die Sie noch vor Ende des Trauerjahrs eingingen, kritisierten …
Pachl-Eberhart: Vielleicht, weil es mir ein Anliegen war, das Phänomen Trauer und auch meine Schwachpunkte von allen Seiten zu beleuchten. Und diesen kritischen Stimmen ihre Aufmerksamkeit zu schenken, ihnen Respekt zu zollen. Nicht zu sagen, das ist alles Blödsinn, was die Leute sagen, sondern zu schauen, ob man auch für sich selbst wirklich Antworten darauf hat. Anfangs dachte ich: Ich halte mich doch nicht an ein Trauerjahr, nur weil es gesellschaftlich vorgeschrieben ist! Bis ich erkannte, dass es sehr wohl etwas damit auf sich hat – dass wahrscheinlich diese Idee des Trauerjahrs zum eigenen Schutz entstand. Denn natürlich gab es, wie in jeder Beziehung, Momente zwischen uns, in denen man sich fragt: Geht sich das aus? Da habe ich gespürt, dass das ein Seiltanz über einen sehr tiefen Abgrund ist. Vielleicht wäre die Angst nicht ganz so groß gewesen, wenn ich schon ein Jahr allein durchgestanden hätte. Da habe ich ziemlichen Respekt bekommen vor diesem Trauerjahr.

Ihre Familie war von Anfang an Thema in Ihrer Beziehung mit Ulrich Reinthaller. Wird es ihm manchmal zu viel?
Pachl-Eberhart: Es gibt immer wieder Momente, in denen er sagt: „Darauf kann ich nichts mehr sagen, ich kann dich jetzt nicht mehr trösten. Dieser Schmerz ist dein Schmerz, den du allein durchstehen musst. Aber ich bin und bleibe an deiner Seite!“ Das ist auch gut, dass er das sagt – denn tatsächlich ist es meine Geschichte, mein Schicksal. Das kann mir niemand abnehmen.

Welche Ziele haben Sie?
Pachl-Eberhart: Zurzeit mache ich eine Ausbildung zur Atempädagogin, weil ich dieses Im-Reinen-Sein mit der Welt gerne auf andere übertragen möchte. Außerdem möchte ich gerne weiter Bücher schreiben. Und dann ist da noch der ganz große Traum, wieder Mutter zu sein.

Sind Sie schon bereit dafür?
Pachl-Eberhart: Ja, mein Bauch, mein Körper schreit: „Hier, jetzt, bitte!“ Aber ich möchte zuerst meine Ausbildung fertig machen – damit dieses Kind in ein stabiles Nest geboren wird, in dem es keine Existenzsorgen gibt.

Bekommen Sie bei dem Gedanken, wieder Mutter zu werden, auch ein wenig Angst?
Pachl-Eberhart: Die Angst davor, dieses Kind als Ersatz für Thimo und Fini zu sehen, habe ich schon abgelegt. Im Spaß habe ich oft gesagt, dass dieses Kind ein Sparbuch zur Geburt kriegen sollte, für die Familienaufstellungen später. Und dann ist da natürlich eine leise Furcht davor, dass ich eine Glucke werden könnte, die ihr Kind in jedem Moment vor Unheil bewahren will. Ich fürchte, ich würde ein neues Kind schrecklich verwöhnen. Das wäre dann die nächste Lernaufgabe für mich. Zu lernen gibt es immer etwas, so lange man lebt.

Lesen Sie einen Ausug aus dem Buch auf der nächsten Seite!

Ein Auszug aus dem Buch: "vier minus drei"

Über den 20. März 2008
Womit soll ich beginnen? Mit dem Tag, an dem plötzlich alles anders war? Mit dem Moment, an dem plötzlich, so schien es mir, nichts mehr war? (...)

Ein letztes Bild. Wir frühstücken in unserem neuen, kleinen Haus, in dem wir seit Wochen wohnen. (...) Thimo schlingt seine Arme immer fester um mich. (…) Ein Kuss für Heli, ein Kuss für Fini, ein Kuss für Thimo. (...) Der Tag ist schön. Die Sonne scheint. Ich gebe Gas. (...)

Finis Tagesmutter ruft Barbara Pachl-Eberhart an:

„Eine Freundin ist gerade über den Bahnübergang in Takern gefahren. Sie sagt, dort war ein ein Unfall mit einem Clownbus.“ (...) „Lieber Gott, lass sie leben! Lass sie leben und fröhlich sein, bitte, bitte, lieber Gott“, rufe ich laut, immer wieder.“ (…) Eine Flut von Bildern bricht über mich herein. (...) Heli ist tot. Heli hat einen Menschen totgefahren. Heli ist unschuldig getötet. Thimo ist tot und Heli ist schuld. Fini ist tot. Heli ist tot, und die Kinder stehen allein auf der Straße. Heli lebt, die Kinder sind tot. Seltsam. Ich rechne mit allem, nur mit einem nicht. Alle sind tot.

Das Seelenfest
„Some say love, it is a river …“ Immer mehr Clowns erheben sich und stimmen ein. Ich kann nicht mitsingen, meine Kehle ist wie zugeschnürt. Barbara weint, das wäre nun eigentlich ein wichtiger Punkt auf der Agenda gewesen. Aber meine Augen bleiben trocken, auch jetzt. Meine Trauer entzieht sich jedem Plan. (...) Der Bestatter öffnet die Särge. Behutsam streichle ich die Wangen meiner Kinder, ein letztes Mal. Wundere mich, wie weich sie noch sind. Ich drücke Heli einen Kuss auf die Stirn und halte für einen Moment seine kalte Hand.

Über die Wut
Irgendwann wurde ich schließlich selbst wütend. Zunächst auf mich. Auf alle Versäumnisse und Fehler, die ich meiner Meinung nach auf mich geladen hatte, als gestresste Mutter, als unvollkommene Ehefrau. Die Wut übertrug sich auch auf andere. (...) Der Weg durch den Schmerz ist eine einsame Reise, die, wenn überhaupt, nur ausgewählte Begleitung zulässt.

Ein neuer Mann
Aus meinem Tagebuch 19.6.08: In der Nacht die Bitte an dich nach einem Traum der Verbundenheit. Der Traum war ganz klar: Ein neuer Mann, der in mein Leben tritt. Heli, ich nehme es als Erlaubnis, dass ich mich wieder verbinden darf. Und ja, Fini, ich werde wieder Kinder haben und wenn ich darf, möchte ich deine Seele wieder empfangen. Es wird nur eine ganze Weile dauern. (...) Ganz allein möchte ich nicht bleiben. Bitte!

Ich will nicht mehr
Ich will sterben. Das Leben ist nichts mehr für mich. Ich kann nicht mehr. (...) Ich habe nicht den Mut, mich umzubringen. Lieber halte ich weiter still, lasse die Tränen fließen.

Ulrich
Die Tatsache, dass ich schon vier Monate nach dem Tod meiner Familie das Wagnis einer neuen Beziehung

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