Pädagogin klärt auf

Kinder in der Krise: Wie sich der Gesellschaftswandel an den Minis zeigt

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Troubles im Kindergarten, Zankereien auf dem Spielplatz, Diskussionen in der Schule - was ist eigentlich mit unseren (lieben?!) Kleinen los? Eine Pädagogin hat nachgeforscht.

Es gibt da aktuell so ein Tabu, das eigentlich niemand sehen und über das niemand sprechen will. Und das, obwohl es die gesamte künftige Entwicklung unserer Gesellschaft betrifft. Geht es um den Klimawandel? Nein, diesmal ausnahmsweise nicht. Es geht um unsere Kinder.

Besorgniserregende Entwicklung

„Bei unseren Kindern tut sich etwas, das anscheinend weder die Politik und der Bildungsapparat inklusive der Elementarpädagogik noch ihre Eltern und deren ganze Generation wahrhaben wollen“, schreibt Judith Hintermeier in ihrem brandaktuellen Buch „Brennpunkt Kinderzimmer – Die gefährliche Entwicklung der Kleinsten“ (Edition a, erhältlich um 25,00 Euro). Als Elementarpädagogin und Gewerkschafterin weiß sie, wovon sie spricht. Seit Jahren beobachtet sie an „ihren“ Kindern fundamentale Veränderungen, die rasch voranschreiten und sich zunehmend in Form von z.B. Aufmerksamkeitsproblemen, Hyperaktivität, verzögerter Sprachentwicklung und Sozialisierung, Gewaltbereitschaft u.v.m. äußern. Die Frage, die sich die Pädagogin stellt: Woher kommen all diese Auffälligkeiten?

Kinder in der Krise: Wie sich der Gesellschaftswandel an den Minis zeigt
© Getty Images
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Keine Grenzen mehr

Judith Hintermeier suchte die Wurzeln dieser Tendenz zunächst bei den Eltern der Kinder. Logisch, immerhin haben Eltern maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung und Sozialisierung ihrer Kinder. Auf ihrer Suche stellte sie eine Art Gegenbewegung zu ihrer eigenen Erziehung, die noch eher autoritär gewesen war, fest. Während sie selbst noch strenge Eltern gehabt und darunter tendenziell gelitten hatte, wollen die Eltern von heute in der Beziehung mit ihren Kindern „die Guten“ sein. Was an sich nichts Schlechtes ist, sofern Toleranz mit Maß und Ziel erfolgt. Hintermeier beobachtet allerdings, dass viele Eltern einfach nicht mehr Nein sagen oder Grenzen setzen wollen, dabei jedoch übersehen, welche Konsequenzen es haben kann, falsche Verhaltensweisen durchgehen zu lassen. Die Pädagogin dazu: „Es könnte auch bedeuten, den leichteren Weg zu wählen, Verantwortung nicht zu übernehmen und die Erziehung der Kinder anderen zu überlassen, dem Kindergarten zum Beispiel und den Schulen.“

Unter Druck

Schon klar, das klingt jetzt ein bisschen hart. Falls Sie sich als Elternteil gerade unwohl und gar angesprochen fühlen, werden Sie die folgenden Worte beruhigen: „Es wäre viel zu kurz gegriffen, den Eltern die alleinige Schuld zuzuschieben. Ich erkannte, dass viele Eltern die Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder nicht der Einfachheit halber an andere abgaben, sondern weil die Art und Weise, wie wir uns als Gesellschaft organisiert haben, und die politischen Rahmenbedingungen, in denen sie sich für Kinder entschieden hatten, ihnen letztendlich keine andere Wahl ließen.“

Krisen über Krisen

Teil dieses Dilemmas sind auch der steigende wirtschaftliche Druck auf die Familien, negative Umwelteinflüsse (Stress, Reizüberflutung, verändertes Klima, geopolitische und gesundheitliche Krisen) und ein zunehmend unnatürlicher Lebensstil (wenig Bewegung, ungesunde Ernährung, übermäßiger Digitalkonsum) – all das geht einfach nicht spurlos an Eltern und schon gar nicht Kindern vorüber. Unter Druck stehen aber nicht nur die Eltern, sondern auch jene Personen, die ihre Kinder betreuen und unterrichten: Pädagogen und Lehrkräfte. Kinderchaos, Personalmangel, fehlende Wertschätzung und unzureichende Bezahlung prägen vielerorts ihren Arbeitsalltag. Und all das, obwohl Pädagogen, wie Hintermeier schreibt, „den wertvollsten Schatz, den eine Gesellschaft hat, hüten: ihre Zukunft in Form ihrer Kinder“.

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Was also brauchen Kinder?

So die zweite wesentliche Frage, die sich Hintermeier vor dem Hintergrund all dieser gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen stellt. Kurz zusammengefasst brauchen unsere Kleinen: Zeit statt Geschenke, Ruhe statt Reizüberflutung, Kinder(gärten), in denen gut ausgebildete, nicht am Rande des Burn-outs stehende und fair bezahlte Fachkräfte arbeiten, Bildung und Beratung sowie die Möglichkeit, streiten zu lernen und sichere Bindungen aufzubauen. Sie brauchen – wie man so schön sagt – ein Dorf an vertrauten Personen, viel Natur, kein (!) Handy und ab und an auch schlicht und einfach mal Stille und Langeweile.

Elterliche Fürsorge

Merken Sie es auch? Eigentlich brauchen unsere Kinder genau das, wonach auch wir Erwachsenen uns tief drinnen sehnen, was im Trubel des Alltags allerdings teils zu kurz kommt. Und noch etwas brauchen unsere Kinder ganz dringend: ihre Eltern. In diesem Sinne: Schenken Sie Ihren Kindern Liebe und Aufmerksamkeit, seien Sie da, wenn Sie gebraucht werden. Und bedenken Sie: Auch wenn es zunächst wie etwas zutiefst Persönliches erscheint, wie man seine Kinder erzieht – weiter gedacht sind unsere Kinder die Basis unser zukünftigen Gesellschaft.

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