Schöne Überraschung

Helene Jarmer im Babyglück

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Schreien nützt nichts. Österreichs erste gehörlose Parlamentarierin über Mutterfreuden.

Die Gehörlosigkeit als Chance und nicht als Einschränkung zu sehen, lautete stets das Motto von Helene Jarmer (39). Die Tochter gehörloser Eltern, die im Alter von zwei Jahren bei einem Autounfall schicksalshafterweise ebenfalls ihr Gehör verlor, kämpfte stets hart für ihre Ziele. 2009 schaffte die Sonder- und Heilpädagogin den Karrierestep ins Parlament, wo sie seither als erste gehörlose Abgeordnete (im gesamten deutschsprachigen Raum)  und als Behindertensprecherin für die Grünen fungiert. Wie steinig ihr Weg war und mit welchen Barrieren gehörlose Menschen noch immer in Österreich zu kämpfen haben, beschreibt die sympathische Wienerin, die seit mehreren Jahren glücklich verheiratet ist (Jarmers Ehemann ist auch gehörlos), nun in einem sehr persönlichen Buch. Die wohl größte Veränderung ihres Lebens steht Jarmer noch bevor – im Mai erwartet sie ihr erstes Baby. Das Interview.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie sich oft langweilen, weil Journalisten Ihnen ständig die gleichen Fragen stellen. Welche Frage wäre denn nach Ihrem Geschmack?
Helene Jarmer:
(lacht) Ja, ich weiß – eine ähnliche Frage wurde mir schon einmal gestellt. Ich überlasse das aber einfach Ihnen, was Sie mich fragen.

Was war der ausschlaggebende Moment für Sie, Ihr neues Buch zu schreiben?
Jarmer:
Für mich ist die Bildungssituation sehr wichtig und das ist auch der Schwerpunkt meines Buches. Ich habe als Kind die Erfahrung gemacht, dass es nicht selbstverständlich ist, Bildung zu erhalten. Für Gehörlose ist das immer noch ein Problem. Ich habe versucht, das zu ändern, was total schwierig war. Ich möchte auch ein gesellschaftliches Umdenken erreichen. Die Leute sollen offener werden, Schranken wegdenken.

Seit 2009 sind Sie Parlamentarierin. Wie sieht Ihre Bilanz nach diesen zwei Jahren aus?
Jarmer:
Die Menschen sind im Umgang mit mir, als gehörlose Abgeordnete, sicher sensibilisiert. Es gab damals doch tatsächlich Leute im Haus, die gemeint haben, man könnte nicht alles in Gebärdensprache übersetzen. Mittlerweile können wir ganz gut zeigen, dass es sehr wohl geht. Man kann mit mir telefonieren und Interviews machen. Es hat ein Umdenken stattgefunden und die Menschen hatten sicher einige „Aha-Erlebnisse“. Einige meiner Ziele habe ich schon erreicht, andere, größere Ziele, noch nicht. Aber man sagt ja, der stete Tropfen höhlt den Stein.

Welches große Ziel verfolgen Sie noch, um Barrierefreiheit in Österreich zu schaffen?
Jarmer:
Barrierefreiheit bedeutet für mich, dass das Leben Normalität bekommt. Man nennt uns oft „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“. Ich denke aber nicht, dass speziell wir besondere Bedürfnisse haben. Die hat jeder Mensch. Ich möchte einfach normal und gut leben. Wichtig ist es auch, Perspektiven zu berücksichtigen. In Österreich haben wir immer noch diesen Fürsorge-Gedanken: „Du bist so arm. Du bekommst etwas von mir.“ Wir sollten aber sozial denken. Jeder soll bekommen, was er braucht.

Aber ließe sich das denn auch finanzieren?
Jarmer:
Meistens ist es keine Frage der Finanzierung, sondern der Organisation. Wenn man beim Bau etwa gleich auf Barrierefreiheit Rücksicht nimmt. Nicht nur für Behinderte, sondern auch für ältere Menschen und Leute mit Kinderwägen. Man muss nur umdenken, das kostet ja nicht viel.

Was muss passieren, um das Bildungssystem in Österreich barrierenfrei zu gestalten?
Jarmer:
Wir müssen weg vom Integrations- und hin zum Inklusionsgedanken. Das bedeutet, dass jedes Kind das bekommt, was es auch braucht. Und: Man sollte den Umgang  mit behinderten Kindern möglichst normal gestalten, vor allem aber den Unterricht. Man mutet behinderten Kindern nichts zu. Die Leute denken, dass diese Kinder etwas nicht schaffen, man es für sie reduzieren oder ihnen helfen muss. Das stimmt aber nicht. Man soll ihnen nur dabei helfen, es selbst zu schaffen.

Sie erwarten im Mai Ihr erstes Kind. Geplantes Glück?
Jarmer:
Ehrlich gesagt, habe ich überhaupt nicht damit gerechnet. Es ist wirklich einfach passiert, aber das ist gut so.  

Wie werden Sie Kind und Job unter einen Hut bringen?
Jarmer:
Würden Sie das auch einen Mann fragen?

So antwortet auch Eva Glawischnig immer...
Jarmer:
Ich werde mich mit meinem Mann in der Betreuung abwechseln. Ganz klar ist es, dass wir Personen brauchen, die uns auf den Arbeitsplatz begleiten und das Kind betreuen. Das ist alles nur eine Sache der Organisation.

Konnte man schon feststellen, ob Ihr Baby auch gehörlos ist?
Jarmer:
Das kann man erst nach der Geburt feststellen. Mit diesem Thema beschäftige ich mich aber noch nicht. Ich lasse das auf mich zukommen und so wie es dann ist, ist es eben. Das Einzige, was unangenehm wäre, wenn unser Kind gehörlos wäre, wäre die Bildungssituation. Wenn es so wäre, müsste ich also wirklich kämpfen.

Wobei Ihr Kind wohl ohnehin bilingual aufwachsen wird.
Jarmer:
Es wird so oder so viersprachig aufwachsen. Es wird die österreichische und die spanische Gebärdensprache eben so lernen wie die spanische Lautsprache und Deutsch. Egal, ob es hört oder nicht.

Würden Sie gerne eines Tages eine andere Funktion in der Politik – etwa als Ministerin – einnehmen?
Jarmer:
Meine Funktion ist ein guter Einstieg für mich in den parlamentarischen Ablauf. Ich habe mich viel mit Gehörlosen-Pädagogik beschäftigt und das ist jetzt eine Erweiterung. Diese Position war für den Anfang sehr gut und dann sehen wir ja, wie es läuft. Vor einigen Jahren wusste ich ja noch überhaupt nicht, was kommen wird. Da wollte ich Künstlerin werden, bin dann Lehrerin geworden und jetzt bin ich in der Politik. Belassen wir es erst einmal dabei.

Helene Jarmer im Babyglück
© Verlag

Das Buch. Am Freitag, 8. April (ab 19 Uhr, Thalia, Landstraßer Hauptstr. 2a/2b, 1030 Wien), präsentiert Helene Jarmer Schreien nützt nichts. Chris Lohner liest daraus.

Helene Jarmer im Babyglück
© Kernmayer

Helene Jarmer im Talk mit Daniela Schimke.
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