Zwischen Leben und Träumen

Freche Stories im Schwebezustand

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Sex, Sehnsucht und Selbstironie: "Zehn Wahrheiten" von Miranda July. Kurzgeschichten-Band des US-Multi-Talents nun auf Deutsch - Freche Stories im Schwebezustand zwischen Leben und Träumen.


Liest man die Hymnen, die auf Miranda Julys Kurzgeschichten-Band "Zehn Wahrheiten" in den vergangenen Tagen erschienen sind, könnte man meinen, die 1974 in Vermont geborene und in Los Angeles lebende US-Amerikanerin sei eine Jahrhundert-Begabung.

Von "literarischem Frühlingswunder" war im "Tagesspiegel" zu lesen, "pure Zauberei", befand "Der Spiegel". "Die Zeit" fand, sie habe "das Genre der Kurzgeschichte für unsere Zeit neu erfunden" und warnte: "Vorsicht, diese Autorin könnte Ihr Leben verändern!"

Liest man dann die 16 Stories, die der Diogenes Verlag soeben in deutscher Übersetzung herausgebracht hat, ist man fast ein wenig enttäuscht. Obwohl die Geschichten durchaus eigenwilligen Charme haben.

Frech und filigran
Ob Senioren einen abstrusen Trocken-Schwimmkurs in Wohnzimmer absolvieren ("Das Schwimmteam") oder das Mitglied einer Selbsthilfegruppe für Erdbebenopfer von Prinz William träumt ("Majestät") - die Kurzgeschichten von July sind frech und filigran zugleich.

Sie nisten sich in einem diffusen Schwebezustand zwischen Wachen und Träumen ein, haben keinerlei Scheu vor Brüchen, sind manchmal seltsam versponnen und im nächsten Augenblick unglaublich direkt.

Sexuelle Selbstversuche
Humor und Selbstironie sind ebenso prägende Elemente wie der melancholisch durchwobene Versuch der Erzähler, einen Platz im Leben zu finden. Dazu gehören auch sexuelle Selbstversuche aller Art, bei denen sich July kein Blatt vor den Mund nimmt. Denn es geht, ob man das Leben nun ernst nimmt oder sich in kindlichem Aufbegehren gerade dagegen wehrt, immer um die Liebe.

Oder das, was man dafür hält. Nicht immer braucht man jemanden anderen dazu, und manchmal landet man (wie in "Die Schwester") dann auf verschlungenen Pfaden in den Armen ausgerechnet jener, an die man zuletzt gedacht hätte.

Die Beste
July punktet souverän in den Kategorien "Beste Anfänge" (etwa mit "Es zählt trotzdem, auch wenn er bewusstlos war, als es dazu kam" oder "In einer gerechten Welt wären wir Waisen gewesen") wie "Beste Schlüsse" (etwa als die Erzählerin einer Geschichte eines Nachts den vermuteten fremden Mann im eigenen Haus auch tatsächlich entdeckt: "Ich würde eher sterben als lachen. Ich lachte nicht. Ich habe nicht gelacht. Aber gestorben bin ich, das ja.").

Dazwischen ist es nicht immer so spannend, aber fast immer strange. Doch der Vorteil von Kurzgeschichten ist, dass sie nie lange langweilig sein können. Vor allem, wenn man so quecksilbrig ist wie Julys Protagonisten: "Wir hatten einmal Hallo in den Hexenkessel Welt hineingerufen und waren schnell weggerannt, ehe jemand antworten konnte."

Buchtipp: Miranda July: "Zehn Wahrheiten"
  Diogenes Verlag, 19,50 Euro
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