Verdiene ich, was ich verdiene?

Frauennetzwerke rufen zum Protest

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„Mehr für Care!“ fordert eine Initiative weiblicher Organisationen und Vereine. Warum keine Frau sich mit Applaus zufrieden geben sollte und wie Sie den Systemwandel unterstützen können.    

K oste es was es wolle“, hieß es kurz nach Ausbruch der Pandemie seitens der Politik, die damit ankündigte, die Bevölkerung in unterschiedlichsten Bereichen mithilfe staatlicher Förderungen durch die Krise zu bringen. Über fünfzehn Monate später ist der Applaus verhallt, der all den – vornehmlich weiblichen – Systemerhalter:innen im Rahmen ihrer unermüdlichen Arbeit entgegengebracht wurde und die monetären Hilfen neigen sich nicht nur langsam dem Ende zu, sondern haben viele, die sie wirklich gebraucht hätten, vielleicht gar nicht erreicht.

Benachteiligt.
Nach und nach werden die Empfänger der Coronahilfen öffentlich gemacht, wobei sich gezeigt hat, dass viele der unterstützten Betriebe oder Konzerne trotz Krise ein gutes Geschäft gemacht haben. Währenddessen haben Systemerhalter:innen, Pflegekräfte oder Pädagog:innen (u. v. a.) für ihre harte und zehrende Arbeit der letzten Monate kaum eine nachhaltig relevante Wertschätzung gesehen.

Das bringt die Inititative
„Mehr für Care!“ auf den Plan. Zahlreiche Frauenorganisationen weisen über dieses feministische Konjunkturpaket auf unterschiedlichste Probleme hin, die nicht erst im letzten Jahr entstanden sind, sondern sich durch die Pandemie nur verstärkt haben und die man laut Berechnungen von Expert:innen mit Investitionen in der Höhe von 12 Milliarden Euro tatsächlich lösen könnte. Doch damit die Politik die Vorschläge der Bewegung ernst nimmt, oder zumindest in Erwägung zieht, würde es mehr Druck aus der Bevölkerung brauchen, wie Sozialforscherin Birgit Buchinger uns im MADONNA-Talk (siehe S. 11) erklärte. Aus diesem Grund haben die Frauen der Initiative zu nationalen Aktionstagen gerufen, bei denen man sich über die Forderungen informieren kann und eventuell selbst Teil der Bewegung werden kann. Hierzu sollte man sich laut Bu­chinger einfach mal die Frage stellen: „Verdiene ich das, was ich verdiene?“   
 

Mehr für Care ist eine Initiative unterschiedlicher Gruppen und Netzwerke, die sich für eine geschlechtergerechte Steuer- und Budgetpoliitk einsetzt. Mit dabei sind u. a. Attac, der Österreichische Frauenring oder die Katholische Frauenbewegung Österreichs. Mit einer Unterschrift können auch Sie die Petition unterstützen, Infos und eine ausführliche Erläuterung der Aktion finden Sie unter mehr-fuer-care.at. 


Interview mit Birgit Buchinger, Sozialforscherin & Politologin 

Wie kam es dazu, dass Sie „Mehr für Care!“ unterstützen?
Birgit Buchinger:
Kurz nach Ausbruch der Pandemie wurde für mich ­ersichtlich, dass die Politik wieder in eine ähnliche Richtung steuert wie nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 – und zwar, dass vor allem Frauen für die Krise zahlen werden. Es gibt unterschiedlichste Studien, vor allem in Deutschland, die zeigen, dass Konjunkturprogramme vor allem Männern nutzen, wohingegen Sparprogramme vor allem auf Kosten der Frauen gehen. Deshalb habe ich dann gemeinsam mit dem Salzburger Frauenrat und dem Österreichischen Frauenring eine Petition gestartet, in der es darum ging, dass die Covid-Hilfen geschlechtergerecht sein müssen. Etwas später hat Femme Fiscale, eine Initiative feministischer Ökonominnen, eine Petition für das Konjunkturprogramm „Mehr für Care!“ auf den Tisch gelegt, das sehr konkrete Vorschläge für den qualitativen Ausbau von Bildung, Pflege oder Gesundheit macht und das ich sehr gerne unterstütze. Leider haben da noch nicht allzu viele Menschen unterschrieben.

Woran, glauben Sie, liegt das?
Buchinger:
Es ist anfangs nicht gelungen, dieses Paket, das vielen Menschen Entlastung und eine höhere Lebensqualität bringen würde, in die breite Masse zu bringen. Doch nach und nach haben sich unterschiedlichste Gruppen und Interessenvertretungen zusammengeschlossen – ob nun Hebammen, Alleinerzieherinnen, Pflegerinnen etc. – und langsam ist die Bewegung gewachsen. Nun hat dieses breite und überparteiliche Bündnis „Mehr für Care! – Für eine Wirtschaft, die für alle sorgt“ beschlossen, intensiv in die Öffentlichkeit zu gehen und im Rahmen von Aktionstagen – der nächste findet am 19. Juni österreichweit statt – mit den Menschen in einen Dialog zu treten. Wir wollen Frauen, aber natürlich auch konstruktive und loyale Männer und alle anderen Geschlechter dafür gewinnen, diese Forderungen nach einem guten Leben für alle zu unterstützen.

Warum sollte man die Petition unterschreiben bzw. dem Thema Gehör schenken?
Buchinger:
Ich forsche seit 32 Jahren in diesem Bereich und die Schieflage, in der wir uns aktuell befinden, ist nicht neu. Frauendiskriminierung in Entgeltfragen ist für mich einer der größten politischen Skandale. Das erste Gleichbehandlungsgesetz in der Privatwirtschaft ist 1979 eingeführt worden und dieses wollte die Lohnungleichheiten zwischen Frauen und Männern beseitigen. Das haben wir bis heute nicht erreicht, weil es nie weit oben auf der politischen Agenda war und auch der Druck auf die Politik nie so groß wurde, dass es als Priorität gehandelt werden müsste. Jedes System kann sich nur halten, wenn es die Zustimmung der Bevölkerung hat. Noch sind wir in keiner Diktatur, daher kann man diese Zustimmung auch entziehen und das steht jetzt massiv an. Frauen müssen erkennen, welche Macht sie potenziell haben und sich den Konflikten stellen, die sowohl privat als auch wirtschaftlich und politisch auszufechten sein werden.

Inwiefern wäre das feministische Konjunkturpaket auch in Anbetracht des
Femizid- und Gewaltproblems, das wir in Österreich haben, hilfreich?
Buchinger:
Dieses Konjunkturpaket zielt auf eigenständige Existenzsicherung für alle. Aktuell ist es vielen Frauen nicht möglich, eigenständig existenzgesichert leben zu können: Stichwort Teilzeitarbeit, Stichwort Übernahme all der unbezahlten Sorgearbeiten, Stichwort Armutsgefährdung von Frauen während des Erwerbslebens, aber vor allem im Alter. Und wir wissen, dass das größte Gewaltschutzpotenzial in der ökonomischen Unabhängigkeit von Frauen besteht. Dort, wo das erreicht wird, gibt es einen massiven Rückgang der Gewalt gegen Frauen und Kinder, wie zahlreiche internationale Studien aufzeigen. Wenn ich also Frauen vor Gewalt schützen möchte, wie es die Regierung und allen voran unsere hochgeehrte und nicht feministische Frauenministerin als ihr zentrales Ziel deklariert, dann erhöhe ich die Kollektivverträge in allen aktuell unterbewerteten Branchen und baue sämtliche Bildungsinfrastrukturen – von elementaren Stufen bis hin zu Universitäten – ebenso aus wie die öffentlichen Gesundheits-, Beratungs- oder Pflegeeinrichtungen. Denn all das unterstützt Frauen in einem selbstbestimmten und unabhängigen Leben.            

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