Michael Haneke: Preisregen für "Kino-Urgestein"

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Als "striktes und kompromissloses Kino-Urgestein" hat der deutsche Schauspieler Ulrich Tukur den österreichischen Regisseur Michael Haneke zuletzt in Cannes bezeichnet. Haneke war dort im fünften Anlauf mit der Goldenen Palme für "Das weiße Band" - mit Tukur in einer der Hauptrollen - und für seine unbeirrte Filmarbeit in den vergangenen Jahrzehnten ausgezeichnet worden.

Es folgten drei Europäische Filmpreise für den 67-jährigen Künstler sowie hymnische Kritiken beim Filmstart in den USA. Die Hollywood-Auslandspresse hat "Das weiße Band" mit dem Golden Globe für den besten nicht-englischsprachigen Film des vergangenen Jahres ausgezeichnet. Am heutigen Dienstag folgte die Oscar-Nominierung.

"Das weiße Band" ist der erste auf Deutsch gedrehte Film Hanekes seit "Funny Games" 1997 und führte Haneke erstmals seit langer Zeit in die Geschichte: Der Schwarz-Weiß-Film spielt in einem norddeutschen Dorf am Vorabend des Ersten Weltkrieges und zeigt autoritäre Erziehungsstrukturen und Gewalt, die so von Generation zu Generation weitergegeben wird. In Cannes sah Jury-Chefin Isabelle Huppert einen "außergewöhnlichen Film", in den USA lobten Kritiker den Film als "hypnotisch und verstörend" sowie als "besten Film, den Haneke je gemacht hat". In mehreren Zeitungen stießen Stil und Erzählhaltung des Regisseurs sogar auf Vergleiche mit Größen wie Ingmar Bergman oder Carl Theodor Dreyer.

Den Grundstock seines Erfolgs legte Haneke jedoch in Europa. Gleich mit seinem Kinoerstling "Der siebente Kontinent" hatte er 1989 sein Debüt in Cannes gegeben, damals noch in einer Parallel-Reihe. Die mit diesem Film begonnene "Trilogie der emotionalen Vereisung", zu der auch "Benny's Video" gehört, schloss er 1994 mit "71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls" ab. Zu diesem Zeitpunkt hatte der am 23. März 1942 in München Geborene und in Wiener Neustadt Aufgewachsene bereits seine unverwechselbare filmische Sprache, die in Dramaturgie, Bildfindung und Erzählweise stets Verweise auf das Ungesagte zu geben sucht, zur Perfektion entwickelt.

Hanekes Gewaltschocker "Funny Games" war 1997 nach 35 Jahren der erste österreichische Wettbewerbs-Beitrag bei den Filmfestspielen in Cannes und zugleich der aufsehenerregendste und umstrittenste. "Code Inconnu" (2000) mit Juliette Binoche startete ebenso im Wettbewerb von Cannes wie 2001 "Die Klavierspielerin" nach Elfriede Jelinek. Der Film erhielt an der Croisette neben den beiden Darstellerpreisen für Isabelle Huppert und Benoit Magimel auch den Grand Prix der Jury und wurde in der Folge auch ein großer kommerzieller Erfolg. 2003 musste seine düstere Zukunftsvision "Wolfzeit" nur deswegen außer Konkurrenz im offiziellen Programm antreten, da der mitwirkende Patrice Chereau Jury-Präsident war. 2005 gewann Haneke mit seinem Thriller "Cache" (mit Daniel Auteuil und Juliette Binoche) in Cannes den Regiepreis und anschließend zahlreiche weitere Auszeichnungen.

Nach einer langen Reihe von Filmen über gesellschaftliche Ängste, Bedrohung der bürgerlichen Sicherheiten, Mechanismen der Gewalt und ihrer Darstellung, Fragen nach Schuld und Macht und die kritische Hinterfragung des Medienapparats wandte sich der Sohn der österreichischen Schauspielerin Beatrix von Degenschild und des Düsseldorfer Regisseurs und Schauspielers Fritz Haneke zwei ungewöhnlichen Projekten zu: In "Funny Games U.S" (2006/07) wagte er einen One-to-One-Shot seines Thrillers mit amerikanischen Schauspielern. Der Film floppte sowohl an den amerikanischen wie an den europäischen Kinokassen. Danach ging er an die Realisierung des "Weißen Bands".

Haneke, der sich neben dem Studium der Philosophie und Psychologie in Wien zunächst als Autor versuchte und als Film- und Literaturkritiker arbeitete, war 1967 bis 1971 Redakteur und Fernsehspieldramaturg beim Südwestfunk in Baden-Baden. In dieser Zeit entstand sein erstes Drehbuch "Wochenende". 1973 entstand sein erster Fernsehfilm, "...und was kommt danach? (After Liverpool)" nach einem Text von James Saunders. Es folgten TV-Streifen wie "Sperrmüll" (1976), "Drei Wege zum See" (1976, nach Ingeborg Bachmann), "Lemminge" (1979), "Wer war Edgar Allan?" (1984, nach Peter Rosei), "Nachruf für einen Mörder" (1991) und später die Kafka-Adaption "Das Schloss" (1996).

Anfang der 70er Jahre debütierte Haneke als Bühnenregisseur am Stadttheater Baden-Baden mit "Ganze Tage in den Bäumen" von Marguerite Duras. Es folgten Theater-Inszenierungen in Darmstadt, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Stuttgart, Hamburg, München und Wien. 2006 gab er exakt an Mozarts 250. Geburtstag an der Pariser Oper sein Debüt als Opernregisseur: Mit seiner modernen Inszenierung von "Don Giovanni" spaltete er das Publikum. Eine Inszenierung von Mozarts "Cosi fan tutte" war ursprünglich für New York geplant, soll nun jedoch 2012 bei Gerard Mortier in Madrid stattfinden.

Die Produzenten sehen diese Ausflüge in die Opernwelt nicht sehr gerne: Da der Regisseur sich minuziös vorzubereiten pflegt, bedeutet dies eine vielmonatige Verzögerung für weitere Filmprojekte. Doch für die Verzögerung des nächsten Films, einem Projekt mit Isabelle Huppert und Jean-Louis Trintignant über das Alter, ist ausnahmsweise nicht die Oper, sondern die Promo-Tour für "Das weiße Band" und die verlängerte Preissaison verantwortlich, die am 7. März den Höhepunkt erreichen wird.

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