"Love Politics"

Traumjob Politikerin: Sonja Jöchtl im Talk über den neuen Politik-Lehrgang

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Auch wenn es viele vielleicht nicht glauben, aber es gibt Menschen, die träumen davon, Politiker:in zu werden. Ein neuer Lehrgang bildet sie aus. Love Politics-Gründerin Sonja Jöchtl im Talk.

Mit dem Beruf der Politikerin oder des Politikers verhält es sich ähnlich wie mit jenem des Fußball-Nationaltrainers. Jeder könnte es besser. Und doch könnte sich kaum jemand vorstellen, den Job zu machen. Und wenn doch stellt sich die Frage: Wo und wie beginnen?

Eine fundierte Ausbildung zur/zum Politiker:in anzubieten, überparteilich und leistbar – war das Ansinnen von Sonja Jöchtl und einem engagierten Team. „Love Politics“ heißt das Ergebnis und ist der erste überparteiliche Lehrgang für Menschen, die etwas bewegen und aktiv in der Politik machen wollen. In mehreren Modulen werden derzeit 35 Teilnehmer:innen (berufsbegleitend) auf die harten Bandagen des Politalltags vorbereitet.

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© Getty Images
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Gründerin Sonja Jöchtl, bis 2021 Geschäftsführerin der Stiftung Europäisches Forum Alpbach und nunmehr CCO am Complexity Science Hub Vienna, über ihr Herzensprojekt, das – im wahrsten Sinne – Schule machen und mehr Vielfalt und Engagement auf alle politischen Ebenen bringen soll.

Frau Jöchtl, wie kommt man auf die Idee, eine „Politik-Schule“ zu gründen?
Sonja Jöchtl:
Beim Forum Alpbach haben wir vor zwei Jahren einen großartigen Vortrag von Lisa Witter gehört. Sie ist US-Politberaterin und hat derartige Ausbildungsprogramme in Ländern wie Südafrika und Brasilien initiiert. Das hat uns so gefesselt, dass wir gesagt haben: So etwas brauchen wir auch in der deutschsprachigen Region! Also haben wir uns dahintergeklemmt und Love Politics gegründet, was jetzt einfacher klingt, als es war – dafür brauchte es schon eine Menge Unterstützung, die wir aber zum Glück bekommen haben und jetzt mit dem ersten Modul im September starten konnten.

Sie haben 1.245 Bewerbungen für den Lehrgang erhalten. Hat Sie das selbst überrascht?
Jöchtl:
Ja, durchaus – und vor allem gefreut, da es zeigt, dass das Interesse an politischen Tätigkeiten weit größer ist als viele glauben. Für den ersten Lehrgang konnten wir nur 35 Teilnehmer:innen aufnehmen – ich hoffe aber, dass wir künftig die Möglichkeit haben, mehr Bewerber:innen auszubilden. Weil es so wichtig für unsere politische Landschaft wäre, wenn sie vielfältiger wäre.

Was war die grundlegende Motivation der Teilnehmer:innen?
Jöchtl:
Die Top 200 der Bewerber:innen haben schon eine sehr genaue, gute und nüchterne Vorstellung von einer politischen Position – und den konkreten Wunsch, etwas zu verändern und politisch zu bewirken. Das ist auch eine der Grundvoraussetzungen, an unserem Lehrgang teilzunehmen: das klare Ziel, in der Politik zu arbeiten.

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Welche Kriterien sind außerdem ausschlaggebend gewesen für die Auswahl der 35 Teilnehmer:innen?
Jöchtl:
Im Rahmen unserer Recherchen im Vorfeld haben wir uns genau angesehen, was eine:n erfolgreiche:n Politiker:in ausmacht. Ein wichtiger Punkt ist der sogenannte ideologische Kompass – gepaart mit möglichst viel Erfahrung in einem gewissen Bereich. Personen mit Migrationshintergrund etwa wissen, was andere in diesem Bereich brauchen, was sie hemmt oder fördern würde. Oder eine Alleinerzieherin, die genau weiß, woran es in Sachen Kinderbetreuung mangelt. Oder eine Klimaexpertin, die als Fachkraft die wesentlichen Faktoren für eine echte Veränderung kennt. Uns war wichtig, möglichst unterschiedliche Teilnehmer:innen zu haben – vor allem auch viele Frauen, Menschen mit Behinderungen, binäre Personen ...

„Love Politics“ hat einen Frauenanteil von 60 Prozent. Weil Sie auch ganz gezielt sagen, dass es mehr Frauen in der Politik braucht?
Jöchtl:
Definitiv! Ich denke, das liegt auch daran, dass sich Frauen immer noch viel weniger zutrauen als Männer – und sich deshalb auch gerade vor einer politischen Laufbahn scheuen. Oder gar nicht erst auf die Idee kommen, einzusteigen. Umso mehr muss man das fördern, da die Expertisen, die Frauen mitbringen, für unsere Gesellschaft enorm wichtig sind.

„Warum soll man sich das antun?“, lautet eine oft gestellte Frage ...
Jöchtl:
Ja und da kommt wieder der ideologische Kompass, der Wille, etwas konkret zur Veränderung beizutragen und das Land mitzugestalten, ins Spiel. Egal, auf welcher Ebene – sei es als Bürgermeister:in oder in der Bundespolitik. Aber es muss einem bewusst sein, dass das eine lebensverändernde Entscheidung ist, die auch einen großen Radius an Menschen im Umfeld betrifft. Deshalb muss man sich vorher gut überlegen, ob man sich auf das politische Feld begibt und der Gesellschaft einen Teil seiner Lebenszeit schenkt.

Stichwort Politikerbezüge: Sollten Politiker:innen aus Ihrer Sicht mehr verdienen?
Jöchtl:
Über den Kamm scheren würde ich das nicht, aber es gibt durchaus Positionen, die für den Einsatz, der zu leisten ist, durchaus höher belohnt werden könnte. Aber es geht auch um allgemeine Bedingungen: Warum etwa können Politiker:innen nicht Arbeitslosenversicherung einzahlen und dann auch dementsprechende Bezüge erhalten? Die Zeiten, in denen ein:e Ex-Politiker:in nach der Karriere, die ja durchaus begrenzt ist, so gut wie sicher einen Job bekommen hat, sind vorbei. Diese wirtschaftlichen Aspekte werden auch bei Love Politics thematisiert. Es ist wichtig und macht einen stärker, wenn man ein zweites berufliches Standbein hat, mit dem man nach der politischen Laufbahn abgesichert ist. Wie etwa Lehrer, Rechtsanwälte oder Professoren, die sich im besten Fall eine Auszeit nehmen und dann wieder einsteigen können.

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Sie haben viele Unterstützer:innen und Vortragende aus der Politik. War es schwer, diese für Love Politics zu gewinnen?
Jöchtl:
Gar nicht! Wir haben sehr schnell viele Unterstützer:innen gefunden, etwa die Agentur „Die Kratkys“, die sonst nur sehr große Kunden haben, oder auch die Mit-Gründer:innen aus den politischen Lagern von Grünen bis ÖVP und viele ehrenamtliche Mitarbeiter:innen. Die Idee wird stets mit Hoffnung verbunden, endlich ein positiver Vorschlag und nicht dauernd nur raunzen. Über den Namen Love Politics waren manche ein bisschen irritiert, weil Liebe und Politik für viele nicht zusammenpasst. (lacht) Es waren zum Beispiel auch noch alle Domains frei. Aber alle waren begeistert von der Idee, Menschen die Möglichkeit zu geben, neutrale Einblicke parteiübegreifend zu bekommen. Weil es sonst wirklich schwierig ist, auf Anhieb etwa in einer Partei als Neueinsteiger:in einen „Place of Trust“ zu finden, einen ehrlichen Mentor oder jemanden, dem man vertrauen kann und der auch offen sagt, wie Dinge zu interpretieren sind.

Mit 1.000 Euro ist der Lehrgang durchaus erschwinglich. Aus wirtschaftlichen Motiven machen Sie das also nicht ...
Jöchtl:
(lacht) Nein. Wir haben – öffentliche und private – Förderungen für die Entwicklung und wissenschaftliche Begleitung des Projekts erhalten und zum Glück viel Unterstützung von Expert:innen – vor allem Politiker:innen. Und weil die Frage immer wieder kommt: Keiner von unseren Geldgebern hat versucht, Einfluss auf unseren Lehrplan zu nehmen. Für Love Politics ist es übrigens auch nicht relevant, für welche Parteien die Teilnehmer:innen später aktiv werden – Hauptsache, sie haben die langfristige und nachhaltige Gestaltung unseres Zusammenlebens im Blick und das Gelernte hilft ihnen dabei, mental gesund und umsetzungsstark zu agieren.

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