Oberammergau: Passionsspiele auf Oberbayerisch

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Gästen in Oberammergau fällt derzeit eines sofort auf: Viele Herren der Schöpfung tragen einen Bart und zotteliges, langes Haupthaar - und das sogar auf offizielle Anordnug aus dem Rathaus. "Ab Aschermittwoch 2009 bitten wir Sie, sich die Haare wachsen zu lassen. Für Männer gilt das Gleiche auch für Bärte."

Nicht alle Einheimischen müssen sich daran halten - sehr wohl aber jene, die beim Großereignis des Jahres mitwirken: den Passionsspielen, die in diesem Sommer Zehntausende von Besuchern nach Oberbayern locken werden. Touristisch hat die Region vieles zu bieten: vom Schneeschuhgehen im Winter und Bergwandern im Sommer bis zum Wellness-Urlaub. Aber alle zehn Jahre wird Oberammergau wegen der Passionsspiele zum Gästemagneten. Der "Haar- und Barterlass" ist dann für gebürtige Oberammergauer lange nicht so skurril, wie es im Rest des Landes erscheint. Sogar Polizisten und Angehörige der Bundeswehr müssen sich in dieser Zeit weder Schere noch Rasierklinge nähern. Rund 2.500 der 5.300 Einwohner wirken bei den Aufführungen mit: als Jesus, Maria, Pilatus, Judas, Johannes, Priester und Soldaten, als Volk von Jerusalem. Knapp 500 Kinder sind am Spiel beteiligt. Rund 120 Männer und Frauen singen im Chor, weitere 60 spielen im Passionsorchester.

Zu Zeiten des 30-jährigen Krieges wütete die Pest in den Ammergauer Alpen und kostete viele Menschen das Leben. Einige Bürger gelobten im Jahr 1633, alle zehn Jahre Passionsspiele aufzuführen, sollte das Leiden ein rasches Ende nehmen. Der Überlieferung nach forderte die Pest keine neuen Opfer in dem Dorf unweit von Garmisch-Partenkirchen. Schon im Jahr darauf lösten sie das Versprechen zum ersten Mal ein - damals wurden die letzten Tage Christi auf dem Friedhof aufgeführt, "quasi auf den Gräbern der Pest-Toten", wie Frederik Mayet sagt.

Der 30-Jährige spielt bei der aktuellen Passion den Jesus - vor zehn Jahren gab er noch den Lieblingsjünger Johannes, als Kind spielte er im Volk mit. Das darf nur, wer entweder gebürtig aus Oberammergau stammt oder mindestens seit 20 Jahren in dem Dorf lebt, das neben der Passion vor allem für die Herrgottschnitzer und die Lüftlmalerei an den Häusern bekannt ist.

Traditionen werden hier hochgehalten - das weiß auch Christian Stückl, der Spielleiter. Es ist bereits die dritte Passion, bei der der Intendant des Münchner Volkstheaters Regie führt. Doch immer musste er sich und vor allem seine Ideen durch den Gemeinderat kämpfen. Aber, sagt er, man kann schließlich die letzten Tage im Leben Jesus nicht immer gleich spielen: "Die Zeiten ändern sich, es gibt immer wieder neue Erkenntnisse." Veränderung sei auch Teil der Tradition, sagt Jesus-Darsteller Mayet. Stückl jedenfalls freut sich immer wieder darauf, den Stoff neu zu erarbeiten. "Das Stück ist dasselbe, aber sonst ist alles anders", sagt er.

Ganz ohne Widerstand allerdings geht es nicht, denn die Passion ist auch ein Politikum: Bei einem Bürgerentscheid hatten sich die Oberammergauer vor drei Jahren für das sogenannte Nachtspiel und Stückl als Spielleiter 2010 ausgesprochen. Das ist auch die größte Neuerung bei den mehr als 100 Aufführungen in dem Passionstheater, das fast 5000 Zuschauern Platz bietet. Bisher dauerten die Darbietungen von 9.30 bis 17.30 Uhr, unterbrochen von einer dreistündigen Pause. Stückl hat den Beginn aus dramaturgischen Gründen auf 14.30 Uhr verlegt, enden sollen die Aufführungen gegen 22.30 Uhr.

Der Regisseur leitet mit großer Begeisterung die Laienschauspieler. "Das ist ein großer sozialer Event - und die größte Ehebörse Oberammergaus", sagt er. So geht es ihm aber nicht erst, seit er 1990 das erste Mal den Zuschlag für die Spielleitung bekam. "Schon als Bub war ich fasziniert davon." Er könne sich an sein zweites Schuljahr nicht mehr erinnern, sagt Stückl. Es war Festspieljahr, Christian spielte im Volk mit - und nicht nur das. "Damals war ich eigentlich immer im Theater."

Geprobt wird seit November bis zur Premiere am 15. Mai jeden Tag - allzu viel Zeit für andere Aktivitäten bleibt also nicht, wenn die Passionsspiele ihre Schatten voraus werfen. Für Stückl begann die Arbeit schon mit der Auswahl der Schauspieler und der Überarbeitung der Texte, die auf Grundlage der vier Evangelien entstanden sind. Ganz neu ist das Bühnenbild für 2010. Bäume rahmen die riesige Bühne ein, der Boden ist mit blauem Estrich überzogen. Die zwölf sogenannten Lebenden Bilder, die Szenen aus dem Alten Testament zeigen und sich zwischen den einzelnen Textpassagen in den Spielablauf einpassen, fallen farbenfroher als in früheren Inszenierungen aus.

Im Sommer werden die Zimmer in Oberammergau gut gefüllt sein - in den fünf Monaten Spielzeit kommen rund eine halbe Million Zuschauer in das oberbayerische Idyll, um sich das Spiel um das Leben und Leiden Jesu anzuschauen. Wenn am 3. Oktober der letzte Vorhang fällt, haben die Ammergauer wieder ein Großereignis gestemmt. Sicher freuen sich dann viele auf einen wohlverdienten Urlaub - und auf einen Friseurbesuch.

PAUSCHALEN: Karten für die Passionsspiele sind nur noch in Kombination mit mindestens einer Übernachtung zu haben. Wer eine einzelne Karte haben möchte, kann sich auf eine Warteliste setzen lassen.

WERKSTATTFÜHRUNGEN: Führungen durch die Theaterwerkstatt und das Passionstheater gibt es bis zum 11. April und dann wieder vom 9. Oktober bis 7. November jeweils samstags und sonntags. Gruppenanmeldungen sind auch außerhalb dieser Zeiten auf Anfrage möglich. Reservierungen per E-Mail an passionstheater@oberammergau.de.

INFO: www.passionsspiele2010.de; www.oberammergau.de

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