Himmelsbrot und Ho Chi Minh - 1.000 Jahre Hanoi

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Selbst alten Asien-Kennern stockt im Wahnsinnsverkehr von Hanoi schon einmal der Atem. Hunderttausende Mopeds sind überall in der vietnamesischen Hauptstadt unterwegs, gerne auch auf den Gehsteigen. Für das motorisierte Treiben sind vor allem die interessanten Gassen der Altstadt nicht gemacht. Das sollte Besucher aber nicht von einem Streifzug abhalten.

Hanoi feiert in diesem Jahr 1.000-jähriges Bestehen. Die Regierung richtet ein Riesenfest mit kommunistischen Anklängen aus. So gibt es Wettbewerbe für ein Propaganda-Poster oder für einen Essay zur Kulturtradition der Arbeiterklasse. Auch 100 Bronze-Trommeln werden gegossen. Sie sollen zum Jubiläum am 10.10.10 erklingen.

Aufsteigender Drache

Im Jahr 1010 kam der Sage nach König Ly Thai Tho zum Roten Fluss, um eine Stadt zu bauen. Er sah einen Drachen aus dem Wasser steigen und nannte die Stadt sogleich Thang Long: aufsteigender Drache. In einer Flussbiegung, Hanoi auf Vietnamesisch, erschien ihm ein weißes Pferd. Dort baute der König eine Zitadelle. Während der Name Hanoi überlebte, ist die Zitadelle längst verschwunden.

Die Nachfahren der Handwerker, die sich damals rund um die Zitadelle niederließen, trifft man in den verwinkelten Altstadtgassen. Dort erwarten den Besucher kulinarische Abenteuer und ein spannender Alltag. Die meisten Reiseführer leiten Hanoi-Touristen indes vor allem ins Museum und das Mausoleum des Staatsgründers Ho Chi Minh.

Die wichtigsten Gassen heißen Hang, das bedeutet Ware. Was dort seit Jahrhunderten verkauft wird, verraten die Namen: Salzgasse, Schuhgasse, Seidengasse. In den Läden der Apothekergasse stehen Säcke und Gläser mit getrockneten Beeren, Blättern oder Pilzen. Eine junge Frau winkt Neugierige in ihren Laden und deutet auf einen Sack, randvoll mit Stöckchen. Das Gehölz entpuppt sich als Süßholz, mit dem die Apothekerin zum Beispiel bittere Medizin schmackhaft macht.

Abseits von Touristenpfaden

Christian Oster greift nach einem Glas mit roten Beeren. Der gebürtige Hamburger lebt seit sechs Jahren in Hanoi und bietet Stadtspaziergänge abseits ausgetretener Touristenpfade an. Er spricht Vietnamesisch und weiß zum Beispiel, was sich in dem Glas mit der Aufschrift Ky Thu verbirgt: Gemeiner Bocksdorn, auch als Wolfsbeeren bekannt. "Sie enthalten viele Vitamine und gelten hier seit Jahrhunderten als Lebenselixier", erklärt Oster.

In einem Wandregal stehen auch Flaschen mit in Alkohol eingelegten Schlangen und Echsen. Das Gebräu soll der Potenz auf die Sprünge helfen. Regierung und Tierschützer kämpfen gegen den Aberglauben an, um vom Aussterben bedrohten Tiere zu schützen. Mit hohen Strafen versuchen sie den Vertrieb der Mittelchen zu verhindern. Doch gegen Korruption und Schmiergeld ist noch kein Kraut gewachsen.

Vietnamesischer Kaffee

Ein vollgestopftes Geschäft hat starken vietnamesischen Kaffee im Angebot: No Nong heißt der, Braun-Heiß. Er wird für 40 Cent in einer Espressotasse serviert, mit einem Schuss süßer Kondensmilch. Kein Vergleich zu den schicken Cafés mit französischem Kolonialambiente anderswo in der Stadt. Aber der Kaffeeladen hat ungleich mehr Charme.

Die französischen Kolonialherren haben auch sprachliche Akzente gesetzt: So geht das Wort Pho Ma für Käse auf Fromage zurück, Kuchen heißt Ga To und ist dem französische Wort Gâteau entliehen. In den Gassen gibt es viele Köstlichkeiten zu entdecken, zum Beispiel das Himmelsbrot Bahn Troi. Die süßen Knödel aus Reisstärke mit Sesam- und Kokosfüllung in Ingwersuppe verkauft eine Familie in einer unscheinbaren Garageneinfahrt in der Schuhgasse Hang Giay für ebenfalls nur 40 Cent. Hier drängelt sich die Kundschaft.

Die Moderne macht aber auch vor der 1.000-jährigen Altstadt nicht halt. Überall müssen alte Läden Bars, Restaurants, Hotels und Marken-Geschäften weichen. Für Touristen gibt es Souvenirs an jeder Ecke: Seidenschals, Lackwaren oder Kunst aus Manufakturen. "Rembrandt zum Quadratmeterpreis", nennt Christian Oster das Prinzip. "Die Vietnamesen nehmen das Wort Copyright wörtlich: Recht auf Kopieren."

Übervölkert

Die Altstadt ist hoffnungslos übervölkert. 90 000 Menschen leben auf nur rund zehn Hektar Fläche. Viele Häuser sind nur zwei oder drei Meter breit, dafür aber ellenlang. In den Tunnelhäusern ist es dunkel und muffig, die Lüftung lässt zu wünschen übrig. Die Stadt hat schon mehrfach eine Sanierung angekündigt. Doch weigern sich die Einwohner standhaft, an den Stadtrand umzusiedeln.

Senioren sind in den Gassen eher selten anzutreffen. 70 Prozent der Menschen sind unter 30. "Die jungen Leute haben drei Prioritäten", sagt Oster: "Geld, Reichtum und Wohlstand." Wer es geschafft hat - egal ob mit oder ohne Hilfe der Eltern - flitzt auf einem Motorroller der Oberklasse von Boutique zu Boutique.

Eine Umfrage ergab jüngst, dass das wichtigste Vorbild der jungen Vietnamesen Microsoft-Gründer Bill Gates ist. Die kommunistische Regierung war entsetzt. Sofort musste der staatliche Rundfunk eine Serie auflegen: "Leben und Arbeiten nach dem Vorbild von Ho Chi Minh". Ob die Serie Zuhörer hatte, ist unbekannt.

INFO: www.vietnamtourism.com

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