Beaune im Herzen des Burgund

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Mit leisem Knarzen bewegt sich die ferngesteuerte Lupe vor dem Altarbild. An einer Stelle sind plötzlich Walderdbeeren zu sehen, an einer anderen ein vor Angst verzerrtes Gesicht und kurz darauf eine reich bestickte Goldbrokat-Stola. Das Altarbild des Malers Rogier van der Weyden, das in Beaune im Burgund zu sehen ist, fasziniert mit seinen naturgetreuen Details.

Es hängt im Hôtel-Dieu, einem Krankenhaus aus dem 15. Jahrhundert, das zur Wohltätigkeitsorganisation Hospize von Beaune gehört. Diese lädt an jedem dritten Novembersonntag - 2009 also am 15. November - zu einer besonderen Weinversteigerung ein, um ihre Arbeit zu finanzieren.

Das "Jüngste Gericht" von van der Weyden zählt zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten in der Region Burgund. Es zeigt nackte Körper, die aus der aufbrechenden Erde hervorkommen und auf ein Urteil des Erzengels Michael warten. Der hält mit unbewegter Miene eine Waage elegant zwischen Daumen und Zeigefinger. Zu seiner Linken stürzen die Verdammten kopfüber in die Hölle, zu seiner Rechten schreiten sie durch ein goldenes Tor im ziselierten Stil der Spätgotik.

Früher erfüllte das neunteilige, aufklappbare Altarbild einen ganz konkreten Zweck: Es hing in der Kapelle am Kopfende eines riesigen Krankensaals und machte den Kranken und Sterbenden deutlich, was sie erwartete. Um den Effekt nicht abzuschwächen, wurde der mehr als fünf Meter breite Flügelalter nur an Sonn- und Feiertagen geöffnet.

Auch der Stifter des Krankenhauses, Nicolas Rolin, fürchtete sich vor dem Jüngsten Gericht. Das war zumindest einer der Gründe, sein Vermögen in den Bau der Anlage zu stecken, die zu ihrer Zeit zu den am besten ausgestatteten gehörte. Er wolle die "irdischen Güter gegen die himmlischen vertauschen", heißt es in der Gründungsurkunde von 1443. Und so schuf er gemeinsam mit seiner Frau Guigone einen wahren "Palast der Armen", der mit seinen buntem Ziegeldach und der filigranen Architektur als Meisterwerk der flämischen Gotik gilt.

Zwar teilten sich jeweils zwei Patienten ein Bett, aber das war schließlich auch wärmer. Die Bettdecken waren dunkelrot, damit die Blutflecken bei Aderlässen nicht so auffielen. Gelüftet wurde nur selten, damit keine "unreine" Luft hineinkam. Stattdessen wurden die Ausdünstungen der Kranken mit Weihrauch und Kräuterdampf überlagert.

Zahlreiche Einwohner von Beaune vererbten im Lauf der Zeit ihre Weinberge dem Krankenhaus. Heute besitzen die Hospize von Beaune, die neben der historischen Anlage ein modernes Krankenhaus und mehrere Alteneinrichtungen betreuen, knapp 60 Hektar Weinberge in besten Lagen. Auf etwa 50 Hektar wachsen blaue Spätburgunder-, auf den übrigen helle Chardonnay-Trauben.

Die Versteigerung des jungen Weins im November gilt als Gradmesser für die Qualität des Jahrgangs. 2007 kam ein Rekordbetrag von 4,3 Millionen Euro zusammen. Einzelne Fässer, die etwa 228 Liter enthalten, haben Höchstpreise von bis zu 200 000 Euro erzielt - was für so jungen Wein absurd teuer wäre, wenn der Erlös nicht für einen guten Zweck bestimmt wäre. Ein in Beaune ersteigertes Fass gilt Weinhändlern noch immer als etwas Besonderes.

Für Besucher bietet sich ein Ausflug ins Zentrum des Burgunder Weinhandels jetzt im Herbst ganz besonders an - wenn die Weinberge sich bunt färben und die Winzer ihre Trauben gelesen, gepresst und gegoren lassen haben. Während der junge Wein in den Fässern allmählich an Charakter gewinnt, lassen sich die älteren Jahrgänge zur deftigen burgundischen Küche hervorragend verkosten.

INFO: http://www.beaune-tourismus.com.

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