Norwegen-Drama

Warum?

29.07.2011

76 Menschen mussten am 22. Juli ihr Leben lassen – weil ein kranker Soziopath zur Bestie wurde. Weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

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© Getty Images
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Warum zündet ein Mann eine Autobombe, tötet acht Menschen? Warum fährt er zu einer Ferieninsel, wo junge, fröhliche Menschen die schönste Zeit ihres Lebens verbringen möchten? Warum beginnt er, diese unschuldigen Menschen mit einem Maschinengewehr und einer Schrotflinte erbarmungslos zu jagen? Warum tötet der 32-Jährige noch einmal 68 Menschen? Warum, warum, warum nur?
76 Menschenleben hat Anders Behring Breivik auf seinem Gewissen. Norwegen und die Welt stehen eine Woche nach dem grauenvollen Attentat in Oslo und auf der Insel Utöya unter Schock. Und möchten jetzt nur noch eines: eine Antwort auf die verzweifelte Frage nach dem Warum.

Es wird geschossen, …
Kein Tag vergeht, an dem nicht neue erschütternde Details über das Massaker in Norwegen bekannt werden. Augenzeugen erzählen, wie sie den sinnlosen Angriff des „blonden Teufels“, wie der 76-fache Mörder zu Recht genannt wird, miterlebten. Die 18-jährige Emma Martinovic erzählt: „Ich dachte, ich würde nicht überleben, schrieb eine SMS an meine Eltern und Freunde: Es wird geschossen. Ich liebe euch!“ Es ist einer von unzähligen ­Berichten, die einem kalte Schauer über den Rücken jagen. „Alle stürmten Richtung Wasser. Wir versteckten uns an der Uferböschung. Dann hörten wir die Schüsse näher kommen, kletterten in eine Höhle. Er kam wieder, rief: ‚Ich bin Polizist, ihr könnt rauskommen!‘ Viele Kinder rannten aus ihren Verstecken, er eröffnete das Feuer …“ „Ich bin raus auf den Flur und wurde direkt getroffen. Ich habe das in dem Moment erst gar nicht gemerkt, dabei hatte ich vier Kugeln in Armen und Beinen …“ Die Terrorprotokolle lassen nur im Ansatz erahnen, was sich auf der Insel des Grauens tatsächlich abspielte und wie sehr all das das Leben der jungen Menschen – die meisten waren Teenager unter 20 (!) – für immer verändert hat.


Schwierige Trauerarbeit. „Ein solches Trauma ist äußert schwer zu verarbeiten“, analysierte Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Adelheid Kastner im Zuge der ORF-Berichterstattung. „Vergessen kann man so etwas nie – es muss ganz gezielte Trauer­arbeit geleistet werden.“ Dass die Opfer von Anders Behring Breivik in dieser Trauerarbeit keineswegs allein gelassen werden, zeigte sich letzte Woche bei den öffentlichen Gedenkfeierlichkeiten in Norwegen. Über 200.000 Menschen füllten die Straßen Oslos, um gemeinsam zu trauern. Unter ihnen Kronprinz Haakon (38) und seine Ehefrau Mette-Marit (37). Die Kronprinzessin ist selbst betroffen von Breiviks Gräueltaten: ihr Halbbruder, der 51-jährige Polizist Trond Berntsen, wurde vor den Augen seines zehnjährigen Sohnes von dem Amokläufer regelrecht hingerichtet.
„Er hätte sich selbst töten sollen“, sagt nun der Vater des Schützen, über dessen irres Psychogramm täglich neue Details bekannt werden. Breivik, von Jugend an sexuell gestört, habe sich etwa für die Tage vor dem minutiös geplanten Attentat 2.000 Euro für eine Edelhure zur Seite gelegt, putschte sich mit Anabolika, Ephedrin und Aspirin auf, bevor er in die Innenstadt Oslos fuhr, „um stark, effizient und wach zu sein“. Dass sich der als christlicher Fundamentalist geltende geständige Täter keiner Schuld bewusst ist, weil er „Norwegen und Westeuropa retten wollte“, schürt den Hass der Menschen auf den inhaftierten Soziopathen. Und seine absurden Forderungen, etwa nach einem Computer für seine Gefängniszelle, verbreiten Angst. Gibt es etwaige Komplizen?

Mittwoch früh
wurde der Bahnhof Oslos evakuiert – wegen eines herrenlosen Koffers. Die Nervosität in Norwegen ist ebenso unermesslich wie der Schmerz über den Verlust von 76 Menschen.„Wir können das Geschehene nicht ungeschehen machen“, richtete sich Kronprinz Haakon mit Tränen in den ­Augen an sein Volk. „Aber wir können uns dafür entscheiden, dass niemand allein stehen muss. Dass wir zusammenstehen. In einem Norwegen, in dem Freiheit stärker ist als Angst.“ Auch wenn es auf eine Frage nie eine Antwort geben wird – auf die Fra
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