Experten zum Schicksal der Eislady

Darf man einer Mutter das Kind nehmen?

Teilen

Dass Estibaliz C. ihr Baby nach der Geburt nicht  sehen durfte, polarisiert. In MADONNA diskutieren Experten über Pro & Kontra.

Die Vorstellung ist grausam: Ein Baby wird der Mutter direkt nach der Geburt genommen. Sie darf es nicht im Arm halten. Doch was, wenn die Mutter eine mutmaßliche Doppelmörderin ist, zwei Männer getötet und zerstückelt haben soll? Das Baby-Drama um „Eislady“ Estibaliz C. (32) hat die Nation bewegt. Seit Dienstag ist ihr Sohn Rolando beim Vater. Die Mutter hat ihr Kind noch nicht gesehen. War es richtig, der Mutter das Kind wegzunehmen, oder nicht? Darüber diskutieren Rotraud Perner, Karin Resetartis und Herta Staffa in MADONNA.
 

Was sagen Sie dazu, dass man Estibaliz C. den Sohn nach der Geburt genommen hat?
Rotraud Perner:
Ich gehe davon aus, dass sich alle Beteiligten nach bestem Wissen um das Kindeswohl bemüht haben. Leider haben sie vergessen, dass Kinder bereits neun Monate Bindung an die Mutter haben und dass diese dadurch brutal unterbrochen wird. Ich habe in den 40 Jahren meiner beruflichen Tätigkeit genügend Klienten gehabt, die die Spätfolgen zu tragen hatten. Das wird leider sehr unterschätzt. Das ist Gewalt, die einem Säugling angetan wird.
Karin Resetarits: Ich habe mir die Fakten angesehen und ihnen entnommen, dass es einen Vater gibt, der willens ist, für dieses Kind in Freiheit zu sorgen, und dass es eine Mutter gibt, die willens ist, für das Kind im Gefängnis zu sorgen. Ich bin überzeugt davon, dass es dieses Bonding gibt und eine Bezugsperson wahnsinnig wichtig ist. Ich widerspreche aber der Annahme, dass diese Bezugsperson unbedingt weiblich oder die Mutter sein muss. Das kann ebenso der Vater oder die Großmutter sein.
Perner: Sie argumentieren juristisch, ich psychotherapeutisch. In dieser Runde sollte jemand sitzen, der jahrelang unter so einer Situation zu leiden hatte. Das hat nichts damit zu tun, von wem man erzogen wird, sondern mit dem Zeitraum zwischen dem Einsetzen der Wehen und der sechsten Lebenswoche. Es geht darum, das Trauma der Geburt nicht zu verstärken durch das Trauma der Trennung.

Was bedeutet es für das Baby, wenn es direkt nach der Geburt der Mutter entnommen wird?
Perner:
Das Kind kommt aus der Dunkelheit, der Wärme und dem vertrauten Ambiente mit Herztönen, Magen- und Darmgeräuschen und den Neurotransmitter-Ausschüttungen der Mutter in eine helle, kalte, lärmende Welt. Das ist ein Schock.
Frau Staffa, wann und von wem wurde die Entscheidung getroffen, dass das Kind nicht bei der Mutter bleiben soll?
Herta Staffa:
Es war nicht unsere Entscheidung, dass es der Mutter nicht einmal in den Arm gelegt wurde. Das wurde vom Spital entschieden. Sehr wohl haben wir aber entschieden, dass das Kind nicht von der Mutter mit in die Strafanstalt genommen werden sollte. Wir wollten das nicht, weil es eine Familie gibt, die auf lange Sicht das familiäre Netz für diesen Buben bilden kann.

Hat man vorher mit Estibaliz C. gesprochen, was nach der Geburt passieren wird?
Staffa:
Natürlich, was aber nicht heißt, dass sie diese Entscheidung mitträgt. Wir haben ihr mitgeteilt, dass wir dazu tendieren, ihr Kind beim Vater unterzubringen. Sie hat es zur Kenntnis genommen, aber auch gesagt, dass sie darum kämpfen wird, das Kind bei sich zu haben.
Resetarits: Man hätte die Dame zumindest von Anfang  mit der Wahrheit konfrontieren können, anstatt ihr bloß zu sagen, dass man dazu tendiert, ihr das Kind wegzunehmen.
Staffa: Für uns war ausschlaggebend, dass wir die Mutter in ihrer psychischen Befindlichkeit nicht wirklich einschätzen können. Wir wissen, dass für das Strafverfahren ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben wurde. Das liegt allerdings noch nicht vor. Sie ist in Haft, wird aber nicht lückenlos überwacht. Da können alle möglichen Dinge passieren. Deswegen haben wir beschlossen, dass wir das Risiko nicht eingehen möchten. Ein zweiter Grund für unsere Entscheidung war, dass es ja jemanden gibt, der offensichtlich stabiler ist und ein familiäres Netz für den Buben schaffen kann.
Perner: Diese Argumentation ist respektabel. Die Umsetzung allerdings hätte man anders gestalten können. Es ist etwas passiert, das irreparabel für den Säugling ist. Man könnte das noch durch Säuglingspsychologie verbessern.

Was wird weiter mit dem Baby von Estibaliz C. passieren?
Staffa:
Die Obsorge liegt noch bei uns, doch der Vater hat einen Obsorgeantrag gestellt. Das Pflegschaftsgericht ist am Zug, ihm die Obsorge endgültig zuzuteilen oder anders zu entscheiden. Wie es in den nächsten Monaten weitergeht, liegt nicht bei uns. Wir haben momentan die Obsorge, haben dem Vater das Kind schon zur Pflege übergeben.

Er darf Estibaliz C., die er später heiraten möchte, zweimal in der Woche im Gefängnis besuchen. Mit dem Baby?
Staffa:
Alles, was die Justiz an Kontakten zwischen Mutter und Kind ermöglicht, ist o.k. Das läuft unter Aufsicht.
Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.