Aufreger

Charlotte Roche über ihr zweites Skandalbuch

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Ihr Debüt „Feuchtgebiete“ war Skandal und Sensation. Im neuen Buch „Schoßgebete“ schreibt Roche über Sex in der Ehe.

Wenn es ein Skandal ist, den Sex mit dem Ehemann millimetergenau („Ich ficke ihn, sitze oben, wegen seinem Rücken“) zu beschreiben, zu outen, dass man mit ihm gemeinsam ein Bordell besucht. Wenn es ein Skandal ist, über 15 Seiten den Verkehr mit ihm und die spezielle Blasetechnik detailverliebt („Wenn ich anfange, an der Eichel zu saugen, öffne ich die Lippen nur ein kleines bisschen, damit es schön eng ist für ihn“ usw.) zu schildern. Wenn es ein Skandal ist, über das Trauma der Familie – Roches Mutter verunglückte vor acht Jahren auf dem Weg zur Hochzeit ihrer Tochter mit dem Auto, alle drei Brüder verbrannten dabei – offen zu erzählen („Sie haben angefangen zu brennen… Der LKW schleift meine Mutter wie einen Sack durch die Flammen am Boden.“) … Wenn es also ein Skandal ist, dieses unfassbare Trauma in Form eines Buches – denn dass Roche dreimal wöchentlich Psychotherapie macht, outet sie wie auch Magersucht und die Angst vor Alkoholsucht – zu verarbeiten, dann ist Roches zweites Werk „Schoßgebete“, der prognostizierte Bestseller nach ihrem sensationellen Debüt „Feuchtgebiete“, ein Skandal.

Seelen-Striptease
Dabei will Charlotte Roche (33) vor allem eines, nämlich „geliebt werden“, wie sie im Spiegel-­Interview sagt, und sie schert sich einen, Pardon, Teufel, darum, was Kritiker, Rezensenten und Literaturkenner sagen. Roche schreibt, um zu leben, um zu überleben. „Ich habe Depressionen, Angstzustände, alles. Ein Problem jagt das nächste. Wenn ich keine Magersucht habe, bin ich Alkoholikerin. Letztes Jahr habe ich aufgehört zu trinken. Ich muss alles immer extrem machen.“ Eben genau das Schreiben, das Sich-Öffnen und Outen, dieser schonungslose Seelen-Striptease ist es, der der ehemaligen ­VIVA-Moderatorin und Mutter der achtjährigen Polly hilft, mit dem Schrecklichen umzugehen. Nichts auszulassen, im Leben und im geschriebenen Wort, ist so etwas wie ihr Überlebenscredo geworden. Viele ergötzen sich daran („Ich weiß natürlich, dass es die Leute aufgeilt, wenn ich 15 Seiten übers Blasen schreibe.“), aber die, die mit Empathie lesen, wissen, dass sich dahinter eine zutiefst sensible Frau verbirgt, die – obwohl sie das ja nicht tut – das Leben überall hin, nur nicht auf die leichte Schulter nimmt. „Ohne meine Therapeutin“, sagt Roche heute, „wäre ich tot. Sie hat mir schon ganz oft das Leben gerettet. Ganz im Ernst.“
Trauma. Denn natürlich war nach dem grauenhaften Autounfall vor ihrer Hochzeit nichts mehr, wie es vorher war. Und es wird auch nie wieder so sein (Roche schreibt treffend: „Der Tod läuft immer neben unserer Ehe mit.“). Denn Roche lebt seither mit großen Schuldgefühlen. Ihre Mutter nämlich hatte ihr Brautkleid dabei, Roche hatte es noch anprobiert. Was wäre gewesen, wenn sie früher fertig geworden wäre mit der Anprobe? Wenn die Mutter mit den Brüdern früher losgefahren wäre? Im Spiegel-Interview gibt Roche zu, dass „Schoßgebete“ wie ein „Riesentherapiegespräch“ war. „So blöd es klingt, aber der Unfall ist die Geschichte meines Lebens, eine schlechte, eine sehr, sehr schlimme, belastende Geschichte. Das sind fast 90 Seiten, und ich habe sie im Block geschrieben. Es ist das Protokoll des Horrors in meinem Kopf.“ Ein Horror, der nicht weichen will.  

Sex
Charlotte Roches damalige Beziehung, die ja schon kurz vor dem Hochzeitstag zum Scheitern verurteilt war, ging in die Brüche. Kurz darauf lernt sie Martin Keß, den erfolgreichen deutschen TV-Produzenten kennen. Heute lebt Roche mit ihm und ihrer acht Jahre alten Tochter Polly aus ihrer früheren Beziehung zusammen. Was, wenn Polly mit 14 die Bücher ihrer Mutter lesen will? „Das werde ich nicht erlauben“, antwortet Roche. Sie versucht, der Tochter Beständigkeit, Normalität und Geborgenheit zu geben. Noch immer geht die Ex-VIVA-­Moderatorin dreimal in der Woche zu ihrer Therapeutin.

Noch immer versucht Charlotte Roche, den Horror im Kopf loszuwerden.  Das gelingt nur in wenigen Augenblicken. „Sex“, sagt die Seelenverwundete, „das ist der kurze Moment von Frieden.“

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