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Neid war gestern: Raus aus der Vergleichsfalle!

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Wenn Mangelgedanken häufige Begleiter werden, lohnt es sich, den Umgang mit ihnen und Auslösern, Stichwort: Social Media, zu erlernen.

"Neid", sagt Psychotherapeutin Marlene Stöhr, „ist ein zutiefst menschliches Gefühl, das uns ein Leben lang begleitet.“ Die allererste Person, der wir etwas neiden, ist die Mutter. Und zwar, wenn sie uns – dem Kind – etwas vorenthält. Wir lernen mit Geschwistern, Eltern, Freundinnen und anderen Mitmenschen in Konkurrenz zu treten, Erfolge, Anerkennung und Eigenschaften zu vergleichen, Schadenfreude aufkommen zu lassen und andere zu entwerten. Unser Fühlen und Tun dreht sich dabei um Besitz, Eigenschaften und Anerkennung. Das mag wie ein schlechter Wesenszug anmuten. Für Psychotherapeut:innen ist die Fähigkeit, Neid zu empfinden, jedoch eine grundlegende Kompetenz im Erleben von Emotionen. Das Gefühl kann als Antrieb dienen. Es kann allerdings auch Kratzer an der Seele hinterlassen. „Wer einer anderen etwas nicht gönnt“, so Stöhr, „wird unterbewusst von Schuldgefühlen geplagt. Denn niemand gesteht sich ein Gefühl von Neid gerne bewusst ein. Es wird als unwillkommene Emotion abgelehnt, verdrängt und tabuisiert.“ Besonders toxisch wird es, wenn der Neid auf andere Wut, Aggression und Mangelgefühle hervorruft, was laut der Expertin sogar in eine Depression führen kann.

Neid – eine Spurensuche

„Neid“, so Stöhr, „lebt immer vom Vergleich.“ Sie zitiert Otto Kernberg, einen anerkannten US-Psychiater und Psychoanalytiker mit österreichischer Herkunft: „Neidisch werden wir, wenn wir uns mit einem anderen Menschen vergleichen und dabei subjektiv feststellen: Die Person ist uns scheinbar überlegen in dem, wie sie ist, sich benimmt, was sie erlernt hat, welchen Beruf sie ausübt oder mit diesem erreicht hat – beziehungsweise was sie an materiellen oder persönlichen Werten besitzt.“ Kernberg sieht ­übrigens den Ursprung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung im Zusammenhang mit verdrängtem Neid. Um ein äußerst unangenehmes Gefühl wie Neid nicht zu spüren, stellt sich eine Abwehr in Form von einer Idealisierung dar. Hintergrund dafür ist allzu oft ein Minderwertigkeitskomplex. Menschen mit vermehrt narzisstischen Persönlichkeitsanteilen neigen also wesentlich mehr zu Neid. Auch Menschen, die in ihrer Kindheit Missgunst in ihrem Umfeld beobachtet haben, sind laut Stöhr im Erwachsenenalter anfälliger für Neid.
Bei der Spurensuche gilt es auch, das Wann zu beleuchten: „Neid“, so Stöhr, „ist zumeist nicht ständiger Begleiter. Er taucht nur in speziellen Fällen auf.“ Wir tendieren dazu, besonders neidisch sein, wenn wir in eine Sache emotional involviert sind. „Ein Beispiel“, so die Expertin, „ist der Vergleich mit Nachbars Garten. Sofern uns unser Garten wichtig ist, messen wir den Wert unseres eigenen Gartens an dem des Nachbarn. Es geht um persönliche Relevanz.“

Der ständige Vergleich kann schmerzhaft sein

Apropos Nachbar: Der ständige Vergleich mit Nahestehenden hilft dem Menschen, sich ein realistisches Bild von der Welt zu machen und sich selbst einzuschätzen. Und das kann manchmal weh tun. „Je mehr Gemeinsamkeiten wir besitzen und je schlechter man im Vergleich abschneidet, desto eher wird man ein Gefühl von Neid verspüren“, so Stöhr. Gewinnt Serena Williams einen Grand-Slam-Titel, verspüren wir (also die Nicht-Tennisprofis unter uns) eher Bewunderung. Feiert ein Mitglied aus dem Tennisclub, das am gleichen Level spielt, Erfolge, taucht Missgunst auf.

Das Problem: die Bubble

Die meisten Menschen leben in einer Blase. Wir umgeben uns gern mit Gleichgesinnten – in der realen und mittlerweile vermehrt in der virtuellen Welt. In Letzterer existieren wir in einer Social-Media-Blase. Wir werden fast ausschließlich mit dem Content versorgt, der Relevanz für uns hat. In dieser vor Selbstoptimierungswahn strotzenden Scheinwelt schnappt die Vergleichsfalle besonders hart zu.

Negieren, einfach akzeptieren oder kurieren?

„Auf Social Media“, so Stöhr, „pendeln wir täglich zwischen einem Gefühl von Bewunderung und dem stetigen Vergleich mit anderen hin und her. Auf der einen Seite freut man sich über Fotos und Ereignisse, die Freunde und Bekannte posten, andererseits blickt man vielleicht sehnsüchtig auf die Bilder der vermeintlichen Traumreise von Freunden. Bringt mich das Gefühl dazu, die Destination auf meine Bucket List zu setzen und auf das Ziel hinzuarbeiten, so ist das positiv! Verbinde ich ein schmerzliches Gefühl mit dem Post, weil eine solche Reise im Augenblick absolut nicht möglich ist, spricht man von negativem Neid. Das ständige sich mit anderen vergleichen wird dann problematisch, wenn wir vermehrt Unzufriedenheit und sogar Wut oder Trauer verspüren. Wenn man bei der Nutzung von Social Media immer wieder dazu tendiert, unangenehme Gefühle wahrzunehmen, empfiehlt es sich, seine Nutzung zu überdenken. Es lohnt sich auch, einen Blick auf die eigene Einstellung zu den Beiträgen zu werfen. Diese sind zumeist unrealistisch. So sollte man sie betrachten.“

Neid ist menschlich

Generell empfiehlt Stöhr, sich bewusst zu machen, dass Neid menschlich ist. In einem weiteren Schritt lohnt es sich, Neid in etwas Positives zu verwandeln! „Die Emotion“, so die Expertin, „kann ja auch produktiv machen. Es kann sein, dass ich mich deswegen mehr anstrenge, meine eigenen Ziele zu erreichen. Es kann gesunden Konkurrenzkampf auslösen. Wichtig ist, sich eigene Ziele zu setzen. Je mehr ich auf andere achte, also damit die eigenen Mängel in den Vordergrund rücke, desto weiter entferne ich mich von mir selbst und meinen Zielen.“ Der Fokus auf sich selbst und eigene Stärken wirke hingegen aufbauend. In einem weiteren Schritt kann man versuchen, Missgunst immer öfters in Bewunderung umzuwandeln: „Um anderen etwas zu gönnen“, so Stöhr, „ist es wichtig, am Selbstwert zu arbeiten. Je besser die Einstellung zu sich selbst, desto größer auch das Selbstwertgefühl. Fragen Sie sich zudem, was die andere Person für ihren Erfolg geleistet hat und ob das tatsächlich auch etwas für Sie wäre.“ Denn lenkt man den Blick auf die Entbehrungen der anderen, so stellt meist ganz rasch Bewunderung ein. Dann geht ein ehrliches „Gut gemacht, ich freu mich für dich“ meist ganz leicht von den Lippen.

Tipps zum Umgang mit Neid von Psychotherapeutin Marlene Stöhr

  • Gefühle bewusst wahrnehmen Emotionen nicht verdrängen, sondern analysieren. Fragen Sie sich: Woher kommt dieses Gefühl? Wie kann ich es umwandeln? Kann daraus Bewunderung oder Antrieb entstehen?
  • Fokus auf die Eigenen Ziele Welche Ziele habe ich? Sind diese auch klar definiert? Immer auf
    andere zu schielen, raubt Energie am Weg zum Erfolg.
  • In die Schuhe der anderen schlüpfen Reflektieren Sie, wieso eine gewisse Person etwas hat, was Sie wollen. Weil die Person dafür z. B. unendlich viele Überstunden macht oder andere Entbehrungen auf sich nimmt. Fragen Sie sich: Würde ich das wirklich wollen?
  • Rückbesinnung Bewusst machen, was man selbst bereits alles hat.
    Social-media-Nutzung überdenken Und eventuell zeitlich einschränken oder gewisse Inhalte nicht mehr konsumieren (z. B. „Friends“ ausmisten). Auch die Einstellung zu den Posts überdenken. Viele Beiträge sind geschönt und spiegeln nicht die Realität wider. So sollten sie auch konsumiert werden.
  • Gemeinsame Ziele finden Wenn ein Neidthema zwischen zwei sich sehr nahestehenden Menschen besteht, setzen Sie auf gegenseitige Unterstützung und nutzen Sie die Ähnlichkeit, statt in Konkurrenz zu treten. Die Freundin macht immer schöne Urlaube: Planen Sie einen gemeinsamen.
  • Unrealistisches loslassen Vergleiche, die unrealistisch erscheinen, akzeptieren und loslassen. Fragen Sie sich: Kann ich das überhaupt (noch) erreichen? Falls das nicht realistisch ist, lohnt es sich, damit abzuschließen. So kann man Neid in Bewunderung umwandeln.

Neid war gestern: Raus aus der Vergleichsfalle!
© privat

Psychotherapeutin Mag. Marlene Stöhr; wienercouch.at

Redaktion: Nina Fischer



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