Tokio Hotel rockten orientierungslos in Wien

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"Was ist los mit Tokio Hotel?" Das war die Frage, die man sich nach dem inzwischen dritten Wien-Gig der deutschen Band in der Stadthalle stellen musste. Bei diesem Konzert am Dienstag (30.3.), bei dem rund 4.000 Besucher im Saal mit dreifacher Gesamtkapazität fast verloren wirkten, passte wenig bis gar nichts zusammen.

Die noch vorhandenen Fans kreischten zwar immer noch ergeben, doch der Abend hinterließ trotzdem den Eindruck, eine Band inmitten in einer veritablen Identitätskrise erlebt zu haben. Zwar war die Bühnendekoration der "Humanoid-City-Tour" mit einem Sci-Fi-Ei im Mittelpunkt, aus dem sich zu Beginn des Auftritts die Band schälen sollte, wohl die bisher gelungenste. An sich also geeignete Voraussetzungen für den Auftritt einer Rockband, die Tokio Hotel von Anfang an war. Stattdessen sah man eine Gruppe auf der Suche nach sich selbst - mit einer Setlist, die den Eindruck einer ausgeflippten Jukebox hinterließ. Gab es in den ersten zwei Wien-Gastspielen eine Mischung aus geradlinigem Rock und Balladen, war in den gestrigen 90 Minuten ein stilistischer Orientierungslauf angesagt, bei dem die Band oft vom Weg abkam.

Mal trafen sich Rock und Schlager ("Menschen suchen Menschen"), ebenso gab es Härteeinlagen und Elektrosounds, die schon in Richtung Industrial gingen, einen Akustikteil auf dem Barhocker sowie eine Zugabe am Klavier und zum Schluss "Monsun". Textlich war man bei den inzwischen auch auf Englisch gesungenen Songs noch am besten bedient, denn gerade die Lyrics der dritten CD "Humanoid" wie "Geisterfahrer" oder eben "Menschen suchen Menschen" sind mit Herzschmerz-Plattitüden gespickt, die wehtun. Als Draufgabe an Irritationen gab es noch Bill Kaulitz, der sich optisch von seinen Kollegen immer mehr unterscheidet, sich in Haute-Couture-Kreationen hüllt und sich in Rockstar-Posen gefällt, aber stimmlich schwächelte.

Tokio Hotel, das war die Band, die ihre größtenteils weibliche Fanschar reihenweise kollabieren ließ und die am Beginn ihrer Karriere auf authentische Weise die Befindlichkeit ihrer sich im Teenageralter befindlichen Klientel in Worte und Musik fassen konnte. Sie entwickelten sich zu einem Phänomen und zum erfolgreichsten deutschen Pop-Export, der sogar bis in die USA wahrgenommen wurde. Karrieretechnisch gesehen befindet man sich zwar auch fünf Jahre nach dem Durchbruch mit der ersten Single "Durch den Monsun" im Jahr 2005 nicht in der totalen Krise, doch ihr gestriger Auftritt zeigte eine Band, die nicht mehr weiß, was sie will und deswegen alles probiert.

Tokio Hotel offenbarten so die Problematik einer einstigen Teenie-Band, die inzwischen dieser Altersphase entwachsen ist und die aufpassen muss, dass ihre Karriere nicht zu einem musikalischen "Coming of age"-Drama wird. Denn sonst könnte ihr Schicksal nach dem dritten Album analog zur amerikanischen Rechtsprechung mit einem gnadenlosen "Three Strikes and You're Out" enden.

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