Studie: Auge sieht durch Brille der Vergangenheit

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Die optische Wahrnehmung von Säugetieren wird nicht nur vom Objekt der Betrachtung bestimmt, sondern auch davon, was unmittelbar vorher angesehen wurde. Das Auge sieht daher stets durch die Brille der Vergangenheit, stellten Wissenschafter um Wolfgang Maass von der Technischen Universität (TU) Graz in einem vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Untersuchung fest.

Die Arbeiten der Informatiker und Neurowissenschafter wurden in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt (Deutschland) durchgeführt und in der Wissenschaftszeitschrift PLoS Biology veröffentlicht. Für die Experimente wurden 100 Nervenzellen des Sehzentrums im Gehirn angezapft und die ankommenden Reize bei verschiedenen Situationen per Computer ausgewertet. Erfasst wurden die sogenannten Spikes, also die kurzfristigen Veränderungen des elektrischen Potenzials der Nervenzellen. Insgesamt ergibt sich aus den 100 Nervenzellen ein räumlich-zeitliches Muster der Aktivitäten, quasi als "live recording". Das Muster enthält sowohl die Zahl der Spikes als auch deren zeitliche Abfolge.

Bisher gingen die Wissenschafter davon aus, dass die neuronale Reaktion auf einen Sinnesreiz nur Informationen über genau diesen Reiz enthält und keine weiteren. Die durch die TU-Wissenschafter durchgeführten Auswertungen der Versuche zeigte allerdings, dass jede Wahrnehmung gleichsam einen Nachhall erzeugt, erklärte Maass gegenüber der APA. Jedes wahrgenommenen Bild wird tatsächlich von den unmittelbar zuvor gesehenen Eindrücken beeinflusst und enthält auch Informationen dieser Vergangenheit.

Die Auswertung der Daten zeigte aber auch, dass "dass die Nervenreaktion schon in der ersten Verarbeitungsstufe im Gehirn mehrere 100 Millisekunden andauern", so der Wissenschafter. Das sei vor dem Hintergrund der Geschwindigkeit von physiologischen Vorgängen in Nervenzellen "ausgesprochen lang".

Insgesamt ergeben die Untersuchungen einen ersten experimentellen Beweis für das von Maass gemeinsam mit Hirnforschern erarbeitete neue Modell für Rechenvorgänge im Gehirn, dem "liquid computing model". Dieses geht im Gegensatz zu bisher vorherrschenden theoretischen Modellen davon aus, dass biologische Computer nicht jede Information für sich in einem festen Zeittakt bearbeiten, also wie an einem Fließband, sondern in kleinen Paketen. Diese bestehen aus ineinander fließenden und sich überlagernden Informationen aus verschiedenen Zeitabschnitten.

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