Das richtige Medikament für den Patienten

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Der deutsche Genetiker Rudi Balling hat eine Vision: Ein Patient geht zum Arzt und bekommt genau das Medikament verschrieben, das sein Körper am besten verträgt und das am besten wirkt. Die Zeiten, in der er Medikamente mit teilweise verheerenden Nebenwirkungen ausprobieren musste, sind vorbei.

Möglich ist die maßgeschneiderte Therapie mit einem neuen Analyseverfahren, das über einen Bluttest 20 000 Faktoren zu Genen, Proteinen und Stoffwechsel ermittelt - und dann die persönlich passende Therapie ausspuckt. Der Traum könnte schon in 20 Jahren Realität sein, sagt der Direktor des neuen Forschungszentrum für System-Biomedizin, das gerade an der Universität Luxemburg gegründet wurde.

Ein wichtiger Pfeiler auf dem Weg dahin wird die immer kostengünstigere Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes DNA sein. Als der erste Mensch "sequenziert" wurde, kostete das 50 Millionen Dollar und dauerte acht Jahre, sagt Balling, der zuvor als wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig arbeitete. Jetzt dauere es noch eine Woche und koste 10 000 Dollar. "Und ich bin mir sicher, dass es in 20 Jahren das "10-Dollar-Genom" geben wird", sagt der 56-jährige Professor. Dies werde dann die Biologie "revolutionieren".

Noch seien Forscher nicht in der Lage, die "ungeheueren Datenmengen" der DNA - mit 30 000 Steuerbefehlen in 30 Millionen Buchstaben - zu lesen. "Die Sprache der Biologen wird zunehmend die Mathematik", sagt der Professor, der vor seinem Start in Luxemburg an der Universität Harvard in Boston (USA) noch rasch ein Semester Mathematik studiert hat. "Wir müssen die biologischen Systeme als Ganzes verstehen, nicht deren Einzelteile." Wenn eine Boeing 747 zerlegt sei, könne man sich auch nicht vorstellen, wie sie funktioniere. Über die "Ausschaltung" von Genen und mit neuen Technologien soll herausgefunden werden, wie Prozesse in Organen und Zellen ablaufen.

Und dies gehe nur "interdisziplinär": Für das Projekt holt sich Balling daher Biologen, Mathematiker, Physiker, Informatiker und Mediziner ins Boot. In vier Jahren sollen es etwa 100 Mitarbeiter sein, die am "Luxembourg Centre for Systems Biomedicine" forschen. Derzeit wird noch verteilt gearbeitet in Boston, Cleveland, Seattle, San Diego, Saarbrücken, München und Cambridge. Mitte 2011 dann aber am neuen Standort der Uni Luxemburg in Esch-Belval. Der Staat Luxemburg unterstützt das neue Forschungszentrum mit zehn Millionen Euro. 13 weitere Millionen Euro hat Balling zusätzlich dafür in der Tasche.

Die Entschlüsselung der "Zwiegespräche" zwischen Genen, Proteinen und sogenannten Metaboliten soll auch dazu dienen, Krankheiten weiter auf die Spur zu kommen. Das neue Zentrum hat hier seinen Fokus gelegt auf neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson. Es bestehe die Vermutung, dass eine Überfunktion von Mikroglia-Zellen im Gehirn - die etwa bei Entzündungen auf den Plan gerufen werden - die Entstehung von Alzheimer fördern könne, sagt Balling. Das hieße, das Entzündungshemmer den Ausbruch der Krankheit verzögern könnten.

Rückschlüsse wie diese seien vor allem dann bedeutsam, wenn man bei einer "patientenspezifischen Diagnose" erkenne, ob eine bestimmte Erkrankung bei einem Patienten in den Genen angelegt sei oder nicht. Mit den Ergebnissen der luxemburgischen Spitzenforschung wolle man einem Ziel näher kommen: "Länger und besser leben."

Das Großherzogtum Luxemburg gibt derzeit 140 Millionen Euro für biomedizinische Forschung aus. "Luxemburg hat erkannt, dass es sich in der Wirtschaft diversifizieren muss, um nicht nur vom Bankenplatz abhängig zu sein", sagt Uni-Sprecherin Britta Schlüter. Mit dieser Investition sollen der Standort Luxemburg attraktiver und der Wirtschaft neue Spielräume eröffnet werden.

INFO: Luxembourg Centre for Systems Biomedicine: wwwen.uni.lu/luxembourg_centre_for_systems_biomedicine

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