Das "Asperger-Syndrom" - Chaos im Kopf

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An Kommentare wie "Der Junge braucht doch nur mal eine hinter die Ohren" hat sich Martina Schwarz* gewöhnt. Ihr Sohn Max ist kein frecher Bengel. Bei ihm diagnostizierten Ärzte das "Asperger-Syndrom", eine Form von Autismus. Max kann Reize nicht filtern, manchmal überfordern sie ihn.

Dann wirft er sich schon mal im Supermarkt auf den Boden und macht seinem Frust lautstark Luft. Das Leben von Martina Schwarz hat vor allem eines: Struktur. Bevor sie mit ihren Kindern zur Schwimmhalle fährt, steht dieser Plan seit Tagen fest. Vor der Abfahrt überprüft sie im Internet zweimal, ob die Halle wirklich geöffnet hat. Für Spontanität gibt es keinen Platz im Leben von Martina Schwarz. Sie hat sich das abgewöhnt. Denn ihr Sohn Max hasst Spontanität. Wenn es nach dem Zehnjährigen ginge, wäre jeder Tag gleich. Er braucht die Routine.

Die Diagnose kam spät

Schwarz wird mit 31 Jahren schwanger. Die Schwangerschaft ist kompliziert. Umso glücklicher ist sie, als ihr Sohn geboren wird. Er entwickelt sich prächtig, doch als Max in der Kita keine Freundschaften schließt und lieber allein bleibt, wundert sie sich. Die Kinderärztin beruhigt sie. Er sei eben ein "Spätzünder". Die Mutter bleibt skeptisch. Sie recherchiert, sucht Fachleute auf. Vier Jahre später diagnostiziert ein Arzt das "Asperger-Syndrom". Max ist unfähig, zu anderen Menschen eine normale Beziehung aufzubauen.

Wer Max auf der Straße sieht, erkennt seine Besonderheit nicht. Er wirkt vielleicht tollpatschig, auf jeden Fall aber intelligent. Beim Sprechen macht er keine Fehler, kann ganze Passagen aus der "Sendung mit der Maus" zitieren. Seine Mutter nach einem Glas Wasser zu fragen, musste er mühsam lernen. Denn Max fehlt die Fähigkeit, Bedürfnisse auszudrücken und Gefühle zu erkennen.

Zum Geburtstag gibt es nur unverpackte Geschenke

Max wird eingeschult. Er versteht den Stoff, kann dem Unterricht aber nicht folgen. Jedes Geräusch lenkt ihn ab. Das Konzept der Lehrerin versteht er nicht. Er kommt auf eine andere Schule, lernt nun in kleineren Gruppen. In dem Kompetenzzentrum wird er seit drei Jahren gefördert. Er lernt, Gesichtsausdrücke zu deuten, grundlegende Bedürfnisse zu formulieren. Niemand weiß, ob er jemals selbstbestimmt leben kann. Autismus ist nicht heilbar.

Zum Geburtstag bekommt Max nur unverpackte Geschenke, Spielzeug, das er sich ausdrücklich gewünscht hat. Überraschungen hasst er. Max kann nicht verlieren, er mag die meisten Kinderspiele sowieso nicht. Er versteht sie nicht. Wenn sich Rollen oder Spielsituationen ändern, weiß er nicht weiter. Sein Kopf findet keine Lösung. Max liebt Hackfleisch, aber nur bröseliges; Buletten isst er nicht. Er kann sich nicht anpassen, sein Inneres nicht kommunizieren. Er hat eine andere Logik als die Menschen um ihn herum.

Martina Schwarz hat gelernt, was ihr Sohn braucht. So richtig wird sie wohl nie in seine Welt vordringen, aber sie versucht es. Wenn Max sich verletzt, will er nicht in den Arm genommen und getröstet werden. Daran hat sie sich gewöhnt. Er braucht für jeden Ausflug, jede Bitte und jede Veränderung eine plausible Erklärung - und vorsichtshalber einen Plan B. Martina Schwarz gibt ihm diese Sicherheit. Erziehungstipps von Supermarkt-Begegnungen braucht sie nicht, Verständnis schon.

(*Name von der Redaktion geändert)

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