Befreiter Sex: Die Anti-Baby-Pille wird 50

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Die katholische Kirche lehnt sie strikt ab, Millionen Frauen dagegen hat sie das Leben erleichtert: Die Anti-Baby-Pille feiert in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag. Vor einem halben Jahrhundert, am 18. August 1960, kam das erste Präparat mit dem Namen "Evonid" in den USA auf den Markt.

"Die Pille ist ein Meilenstein in der Geschichte der Emanzipation", sagt Frauenrechtlerin Alice Schwarzer im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. "Ich gehöre zu der Frauengeneration, die die ersten Jahre noch ohne Pille erlebt hat: voller Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft." Carl Djerassi, der Erfinder der Pille, verdiene ein Denkmal.

"Die Pille und die Möglichkeit zur Abtreibung waren für Frauen wesentliche Errungenschaften, die ihre Lebensqualität erhöht haben", sagt Maureen Cronin, die Chefin der Medizin im Bereich Frauengesundheit beim Pharma-Konzern Bayer-Schering, und bezieht sich damit auf eine Studie, für die rund eine halbe Million Frauen in Europa befragt wurden.

Die katholische Kirche sieht das freilich völlig anders. Zum 40. Jahrestag der als "Pillen-Enzyklika" bekanntgewordenen Enzyklika "Humanae Vitae" von 1968 bekräftigte Papst Benedikt XVI. die Ablehnung jeglicher Form von künstlicher Empfängnisverhütung. Im Sommer 1968 hatte Papst Paul VI. in seinem Lehrschreiben "Über die rechte Ordnung der Weitergabe des menschlichen Lebens" Verhütung verboten. Er ging dafür als "Pillen-Paul" in die Geschichte ein.

Die Vatikanzeitung "Osservatore Romano" sieht in der Pille aber nicht nur eine moralische, sondern auch eine biologische Bedrohung. Die "Tonnen von Hormonen", die Pillen schluckende Frauen seit Jahren durch ihre Ausscheidungen in Umlauf brächten, zerstörten die Umwelt und machten Männer unfruchtbar, schrieb die Zeitung im Januar 2009. Die Pille sei ein wichtiger Grund für die zunehmende Sterilität von Männern in der westlichen Welt.

Während derlei Gefahr für die männliche Potenz nicht nachgewiesen ist, sind Nebenwirkungen der Pille bei Frauen wie Depressionen und Gewichtszunahme bekannt. Weitaus gefährlicher: Bei der Einnahme steigt auch die Thrombosegefahr um ein Vielfaches. Vor allem übergewichtige Raucherinnen über 30 sollten gut zwischen Vorteilen und Risiken des Verhütungsmittels abwägen, raten Frauenärzte.

Im Herbst 2009 geriet das Bayer-Präparat "Yaz" in die Schlagzeilen, weil eine 21-jährige Schweizerin nach der Einnahme an einer Lungenembolie gestorben war. Bereits wenige Monate zuvor hatte ein junges Mädchen - ebenfalls in der Schweiz - nach der Einnahme der Bayer-Pille "Yasmin" eine Lungenembolie erlitten. Seitdem ist die damals 16-Jährige schwerbehindert. Obwohl der Pharma-Konzern betonte, der Zusammenhang zwischen Pille und Embolie sei nicht erwiesen, sicherte er der Familie eine Entschädigung zu. Neben Thrombosen und Embolien warnen Pillenkritiker auch vor einem erhöhten Krebsrisiko.

Nach Angaben des Mainzer Professors für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Norbert Paul, nehmen weltweit bis zu 120 Millionen Frauen hormonelle Verhütungsmittel ein. Am beliebtesten sind sie in Nord- und Mitteleuropa, wo rund 40 bis 60 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter jeden Tag zur Pille greifen. Der Pharma-Konzern Bayer-Schering erwirtschaftete nach eigenen Angaben im Jahr 2008 weltweit rund 2,8 Milliarden Euro Umsatz im Bereich der Frauenmedizin - die Pille machte da einen Großteil aus.

In vielen islamischen Ländern werde die Pille inzwischen zur Geburtenkontrolle vor allem in der Ehe eingesetzt, auch damit Frauen sich durch Gebärpausen regenerieren können, erläutert Norbert Paul. Dort werde die Pille zudem genutzt, um die Periode zu verschieben, damit Frauen an religiösen Feiertagen in die Moschee gehen können. Die blutende Frau gilt im Islam als unrein.

In China, wo traditionelle Medizin eine große Rolle spielt, hat es die Pille dagegen schwer - trotz staatlich verordneter Ein-Kind- Politik und selbst, wenn das Verhütungsmittel teilweise staatlich subventioniert von den Gesundheitsbehörden angeboten wird. Eine besonders traurige Auswirkung schildert die Kulturzeitschrift "Lettre international": Weil es so viele Pillen gab, die keine Frau nehmen wollte, wurden sie als Futter bei der Karpfenzucht eingesetzt. Die Fische werden in China jedoch häufig zu Babynahrung verarbeitet. Kinder, die mit dieser Nahrung gefüttert wurden, zeigten später Entwicklungsstörungen.

Eins aber hat die Pille auf der ganzen Welt erreicht: Sie hat Sex endgültig von der Fortpflanzung abgekoppelt. Für den Mainzer Professor Paul ist sie darum ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Kontrolle der Biologie, der seinen vorläufigen Höhepunkt in der Möglichkeit der künstlichen Befruchtung gefunden habe. "Die größere gesellschaftliche Umwälzung ist nicht, dass man durch die Pille Sex haben kann, ohne sich fortzupflanzen, sondern dass man sich durch neue Laborverfahren fortpflanzen kann, ohne Sex zu haben", sagt er.

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