Fühl dich schön!

Zwischen neuer Selbstliebe & Selfiesucht

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Nie standen Frauen mehr unter Druck, sich selbst toll zu finden, und nie war es schwerer als jetzt, tatsächlich daran zu glauben. Wie wir zu neuer Selbstliebe finden.

Es sind die inneren Werte, die zählen, erklären Eltern ihren Kindern und so manch inspirierender Wandkalender. Doch in einer von Social Media regierten Gesellschaft ist es schwer, dieser Phrase ihre Wahrhaftigkeit abzunehmen. Denn in der Realität sind die Erwartungen an das weibliche Auftreten höher als je zuvor. Es ist lediglich zum Tabu geworden, dies zuzugeben.        

Die Wellness-Lüge
Die neue Verneinung von Beauty-Standards ist omnipräsent, gut getarnt in Kosmetik-Werbungen, Fitness-Predigen, Instagram-Captions und pseudofeministischen Prinzipien. In ihrem neuen Buch Perfect Me argumentiert die Philosophie-Professorin Heather Widdows, dass der Druck auf Frauen dünner, jünger und stärker zu sein, so vorherrschend ist wie nie zuvor. Auf sein Aussehen zu achten ist aber längst nicht mehr nur ein oberflächliches Ziel, sondern auch ein ethisches. Und eine Frau, die dem Ideal nicht nachkommt, wird als gesamtpersoneller Misserfolg erachtet. „Wir leben in einer Welt der Bilder. Das Bild eines perfekt gestylten und durchtrainierten Menschen suggeriert Selbstdisziplin – und das ist durchaus eine Charaktereigenschaft. Eine, die in der neoliberalen Gesellschaft Hochkonjunktur hat. In unserer Welt der Bilder gilt: Schönheit ist äußere, körperliche Schönheit, und körperliche Schönheit steht für Leistung und Erfolg“, so die deutsche Philosophin Rebekka Reinhard, die sich in ihrem Buch Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen) mit der Thematik auseinandersetzt. Und während die Dove-Werbung suggeriert, dass jede Frau schön ist, wenn sie deren Produkte verwendet, offeriert Weight Watchers mittlerweile keine Diät-Tipps mehr, sondern „Lifestyle“-Lösungen, mit dem unveränderten Ziel der Gewichtsabnahme. Und „Soul Cycle“, eine  amerikanische Fitness-Institution, die einen weltweiten Spinning-Hype ausgelöst hat, setzt den alltäglichen Sport-Wahn in einen moralischen Imperativ: „Mit jedem Tritt ins Pedal werden wir freier und kommen unserem echten und besten Selbst näher.“


Gefangen in einer Welt der Vergleiche
Unterstützt durch Youtube-Make-up-Tutorials und Style-Influencer auf Instagram ist die Verneinung von Beauty-Standards explodiert. In einer mehr und mehr verbildlichten Kultur wird der Mensch zum Testimonial seiner eigenen Marke. „In den sozialen Medien dreht sich so gut wie alles um die perfekte Inszenierung – selbst wenn diese als ‚authentisch‘ verkauft wird. Weibliche Teenies werden heute mit Influencern ,sozialisiert‘, allen voran Kim Kardashian und Kylie Jenner. Das Ergebnis: Instagram-Klone, die mit ihrem identischen Look einander gleichen wie ein Ei dem anderen. Individualität wird dem Mainstream-Schönheitsideal des Porno-Kitschs geopfert“, so Philosophin Reinhard. Selbst wenn man für einen Moment die Welt der sozialen Medien versucht zu vergessen, bleibt ästhetische Konformität omnipräsent. Blickt man zum Beispiel auf die Miss-Austria-Wahl und die Siegerinnen der zwar nicht durchgehend, aber immer wieder seit 1929 ausgetragenen Bewerbe, sieht man eine Riege schöner, aber figurtechnisch höchst ähnlicher Frauen. Auf Nachfrage bei den Veranstaltern, warum denn keine fülligeren Frauen zu sehen sind, heißt es: „Unsere Kandidatinnen haben Größen zwischen 34 und 38 mit und ohne Kurven, einfach wunderschöne junge Frauen, die es genießen, Frau zu sein – somit ein guter Durchschnitt für junge Frauen.“ Da die durchschnittliche Österreicherin laut einer Studie des IMAS aus 2003 sich mit einem BMI von 24 am oberen Ende des Bereiches befindet, der als normalgewichtig gesehen wird, geht sich dieser gewünschte gesellschaftliche Querschnitt aber nicht ganz aus. Und trotzdem werden auch die Miss-Austria-Siegerinnen bzw. ihr Management oft damit konfrontiert, dass „diese angeblich zu klein oder zu dick sind – wortwörtliche Aussagen von Bookern, die für diverse Fashionshows casten“, so Silvia Schachermayer, Ex-Miss-Austria-Corporation-Chefin.


Lebenswege und Lösungen
Wie besteht man als „Normalo“ also in einer Welt, in der es nicht einmal eine gekrönte Miss leicht hat? Melanie Pignitter, Autorin des Buches Als ich lernte, meinen Hintern zu lieben, war mein Leben eine runde Sache sieht Selbstliebe als einzige Antwort (siehe Interview unten). „Selbstliebe macht uns unabhängiger von äußeren Glücksfaktoren und führt so zu mehr Zufriedenheit mit dem eigenen Dasein. Ich würde sogar meinen, Selbstliebe ist ein Breitbandmedikament, das Auswirkungen auf die unterschiedlichsten Lebensbereiche hat.“ Wichtig ist es jedoch zu lernen, diese von etwaigen Konsumprodukten zu trennen, genauso wie von schneller oberflächlicher Anerkennung über etwa Social Media. Denn während die Gesellschaft sich über diese Plattformen immer mehr selbst normiert, steigt auch der Druck in der Norm politisch korrekt zu bleiben. Die Folge: #nomakeup-Selfies und der Aufstieg einiger weniger Plus-Size-Models wie zum Beispiel Ashley Graham, die als Gute-Laune-Ablenkung des herrschenden Problems lediglich einen Tropfen auf dem heißen Stein bilden. Denn währenddessen kämpfen Frauen mit der hohen Erwartung, sowohl feminin wie auch feministisch aufzutreten. Ein Problem, das laut Dr. Rebekka Reinhard aber keines sein muss. „Das eine schließt das andere nicht aus – im Gegenteil. Eine wirklich mächtige Frau lässt sich nicht vorschreiben, was möglich und was unmöglich ist. Sie testet selbst, was ihr gefällt und was sie frei macht. Es ist kein Widerspruch, mit knallroten Lippen und Wallemähne gegen sexuelle Belästigung und für gleiche Bezahlung einzutreten. Im Gegenteil. Das ist die Zukunft. Frauen sollen sich nicht verstecken, sondern der Welt die vielen Gesichter weiblicher Macht zeigen.“

 

Drei Tipps für mehr Selbstliebe 1/3
#1: 60.000 Gedanken pro Tag hat der Mensch im Schnitt. Mehr als die Hälfte davon sind negativ. Der Großteil unserer Gedanken besteht also aus Selbstgesprächen, bei denen wir uns brutal kritisieren oder runtermachen. Indem du dich immer öfter mit den Augen der Liebe betrachtest, änderst du das. Beobachte deine Gedanken im Alltag und immer dann, wenn der innere Kritiker loslegen will, nimmst du am besten die Perspektive einer guten Freundin oder deiner Mutter ein. Was würde sie in jenem Moment sagen? Vermutlich etwas Aufbauendes oder Tröstliches, wie: Jeder macht mal Fehler – du bist wundervoll – ich liebe dich immer, egal, ob du gerade besonders gut aussiehst oder eben nicht …
Melanie Pignitter über Selbstliebe & Akzeptanz

„Selfie-Boom: Ein Schrei nach Liebe“

Warum fällt es uns so schwer, uns selbst zu lieben? Andererseits wirkt es im Zeitalter von Social Media nicht, als ob es an Selbstliebe mangeln würde …
Melanie Pignitter:
Tatsächlich ist der Selfie-Boom oftmals ein gefundenes Fressen, um eine ganze Generation als eine Horde an Egoisten dastehen zu lassen. Eine selbstbewusste Darstellung nach außen aber bedeutet nicht gleich Selbstliebe. Eher das Gegenteil ist der Fall. Derjenige, der sich selbst bedingungslos liebt, hat seltener das Verlangen, sich im Außen Anerkennung zu holen, weil er von innen heraus mit Liebe und Achtung erfüllt ist. Derjenige, dessen Liebestank aber ganz und gar leer ist, der sich seines Wertes kaum bewusst ist, der sucht schon viel eher die Anerkennung im Außen. Aber warum brauchen wir diese Anerkennung, die eine Form der Liebe ist, überhaupt? Weil Liebe für uns überlebenswichtig ist. Jeder Mensch weiß, dass ein Baby ohne die Nähe seiner Mutter nur schwer groß wird. Wir brauchen Liebe also so sehr wie ein Baby die Muttermilch. Sind wir aber keine Babys mehr, so wird uns diese Liebe häufig nicht mehr bedingungslos geschenkt. Plötzlich müssen wir brav sein, etwas leisten oder besonders hübsch aussehen, damit man uns Liebe in Form von Anerkennung und Lob schenkt. Das brennt sich tief in unser Unterbewusstsein ein. Und so hecheln wir dann im Außen nach dieser Liebe, die wir zum Überleben so dringend brauchen. Der Selfie-Boom ist also ein Schrei nach Liebe. Ich stelle mich selbst besonders hübsch oder süß dar und hoffe dadurch auf Resonanz von außen. Auf Komplimente oder positives Feedback – damit das Loch in mir gestopft wird.

Inwiefern ist dieses Problem an Oberflächlichkeiten geknüpft?
Pignitter:
Das Problem ist deshalb an Oberflächlichkeiten geknüpft, weil die meisten Menschen glauben, Liebe sei eben nicht bedingungslos, sondern wir müssen uns diese hart verdienen. Verdienen können wir uns diese mit Oberflächlichkeiten, wie Leistung, einem guten Auftritt oder gutem Aussehen. Letzteres ist vermutlich das Einfachste. Man bekommt ein Kompliment für sein Aussehen und fühlt sich zumindest für ein paar Stunden wertvoll bzw. besser. Der bittere Beigeschmack dabei ist, dass diese Form der Liebe, sprich die Anerkennung von außen, leider relativ schnell verebbt. Und dann stehen wir wieder da und schießen das nächste Selfie oder erzählen davon, wie toll wir dies oder das gemacht haben, damit uns jemand kurzfristig das Gefühl schenkt, geliebt oder geachtet zu werden. Die Lösung dafür ist: Sich selbst von innen heraus mit Liebe zu erfüllen. Das Ganze nennt man dann Selbstliebe. Selbstliebe macht uns unabhängiger von äußeren Glücksfaktoren und führt so zu mehr Zufriedenheit mit dem eigenen Dasein. Ich würde sogar meinen, Selbstliebe ist ein Breitbandmedikament, das Auswirkungen auf die unterschiedlichsten Lebensbereiche hat. Nicht selten erlebt man, wenn man erst mal gelernt hat, sich bedingungslos selbst zu lieben, eine regelrechte Achterbahnfahrt der Lebensfreude.


Fühlt man sich schlecht, heißt es, dass man selbst das Problem ist. Inwiefern ist diese Ideologie, die vor allem von der Wellness-, Beauty- und Fitness-Branche gefördert wird, problematisch?  
Pignitter:
Leider stimmt das. Fühlt man sich schlecht, so ist man selbst dafür verantwortlich. Dieses Gefühl aber muss man nicht von äußerlichen Faktoren abhängig machen. Ich habe auf die Ideale der Beauty-Branche gepfiffen und begonnen, mich selbst und meinen Körper zu lieben, als ich noch 15 Kilo Übergewicht hatte. Ich halte es nämlich für Schwachsinn, sein Lebensglück von Idealen abhängig zu machen, die von einzelnen Branchen erschaffen wurden. Es gibt kein Gesetz für „schön“ oder „nicht schön“. Schönheit liegt im Auge des Betrachters – das wusste schon der Historiker Thukydides. Aber nicht nur das. Ich denke, wer sich schön fühlt, wirkt ganz unabhängig von allen Schönheitsidealen auch auf andere attraktiv und lebensfroh. Wer sein Glück hingegen davon abhängig macht, wie nahe er den gängigen Schönheitsidealen ist, der wird nicht selten krank vor Frust. Der stetige Fokus auf die eigenen Unzulänglichkeiten lässt unseren Selbstwert in den Keller sinken. Dauerunzufriedenheit, Depression oder Essstörungen können die Folge davon sein. Die Ideologie der Beauty-Branche ist daher durchaus bedenkenswert und das nicht nur in Bezug auf junge Frauen. Auch Männer und Frauen über 30 lassen sich von ihrem Aussehen oftmals das Leben vermiesen. Deshalb orientiere ich mich in Sachen Beauty seit einiger Zeit lieber an der Natur oder an der Kunstbranche. Dabei denke ich dann gerne an das vierblättrige Kleeblatt, das ja eigentlich eine totale Missgeburt ist. Wir aber finden es ist ein Glücksfall. Es wäre gesund, wenn wir auch unsere eigenen Makel genauso betrachten. Auch in der Kunstbranche bezahlt man für Unikate ein Vermögen. Unsere Fehler und Schwächen machen uns genau zu solchen Unikaten. Also unglaublich wertvoll. Eine solche Einstellung kann man durch regelmäßiges Selbstliebe-Training recht rasch erlangen. Und ich garantiere ein Leben mit einem etwas größeren Hintern, den man liebt, ist um ein Vielfaches genialer als Jeans in Größe 34.


Inwiefern ist es auch ein „Erste-Welt-Problem“, das wir dabei mit uns rumtragen?   
Pignitter:
Natürlich ist es ein Erste-Welt-Problem, das wir hier thematisieren. Erst, wenn wir nach Maslows Bedürfnispyramide den Baustein „Physiologische Grundbedürfnisse“, wie genügend Essen und ein Dach über den Kopf, sowie unsere Sicherheitsbedürfnisse gestillt haben, beschäftigen wir uns mit individuellen Bedürfnissen, der Suche nach dem Glück oder Selbstverwirklichung. Ich empfinde das Streben nach Glück demnach nicht als egoistisch oder verwerflich. Im Gegenteil, ich halte es sogar für undankbar, wenn wir das Geschenk, das uns in der westlichen Welt zuteilwird, nicht bewusst annehmen und nutzen. Schlussendlich ist es auch so, dass die Glücklichen unter uns diejenigen sind, die die Welt ein wenig besser machen. Ich bin bisher noch nie einem Menschen ­begegnet, der mit sich selbst unglücklich war, während er sich für das Sozialwohl anderer eingesetzt hat.
 

BUCHTIPP: „Als ich lernte, meinen Hintern zu lieben, war mein Leben eine runde Sache“ von Melanie Pignitter ist erschienen bei Goldegg, erhältlich um 16,95 Euro.
Die Steirerin möchte für mehr Freude und Achtsamkeit in der Gesellschaft sorgen und schreibt auch regelmäßig auf ihrem Blog honigperlen.at.

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