Im Talk über neue Wege

Ulrike Lunacek: Ihr Leben ohne Politik

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Seit 1995 war Ulrike ­Lunacek (60) untrennbar mit den Grünen verbunden. Nach dem Ausscheiden der Partei aus dem Parlament beschreitet die Ex-Politikerin neue Wege.

Ihre bevorzugte berufliche Bezeichnung ist aktuell „Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments a. D“. Das „außer Dienst“ hat in Bezug auf die politische Karriere von Ulrike Lunacek (60) einen bitteren Beigeschmack: Nachdem sie die Führung der grünen Partei nach dem Rücktritt von Eva Glawischnig (48) übernahm, war deren Ausscheiden bei den Nationalratswahlen 2017 ein Schock. Sowohl für die Wähler als auch für Lunacek selbst. Am 17. Oktober 2017 trat sie von allen Parteiämtern sowie auch ihrer Funktion als eine der 14 Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments zurück.
 
Neue Wege. Nach einer mehrwöchigen Auszeit in Peru kam Lunacek jetzt gestärkt nach Österreich zurück und startete gleich mit der Präsentation ihres neuen Buchs Frieden bauen heißt weit bauen voll durch. Als langjährige Kosovo-Berichterstatterin (2009 bis 2017) und international anerkannte Balkanexpertin handelt es von „ihrem Beitrag zu Kosovos Weg in die EU“. Mit MADONNA sprach die gebürtige Niederösterreicherin über eine Auszeit, die Bundesregierung und die Zukunft der Grünen.
 
Frau Lunacek, wie geht es Ihnen aktuell?
Ulrike Lunacek: Danke, persönlich geht es mir sehr gut. Das war ja doch ein ziemlicher Schock letztes Jahr, und das hat schon eine Weile gebraucht, bis ich sagen konnte: Das Leben geht weiter. Da kam natürlich die Idee, einen Blick zurückzuwerfen auf diese acht Jahre mit dem Kosovo, und es freut mich sehr, dass das Buch jetzt gelungen ist und hier vor mir liegt.
 
Wie lange haben Sie gebraucht, um das Ausscheiden der Grünen aus dem Parlament überhaupt zu realisieren?
Lunacek: Das dauert schon einige Wochen, klar zu sehen, dass es jetzt einfach so ist und dass ich daran nichts mehr ändern kann. Ich habe auch eine große Pause gemacht, ich war fast einen Monat in Peru, das hat sehr gut getan. Ich war seit über 20 Jahren nicht mehr so lange so weit weg.
 
Wie dürfen wir uns einen typischen Tag in diesem Monat in Peru vorstellen?
Lunacek: Ich war die meiste Zeit in Lima. Ausschlafen, Frühstück gab es am liebsten mit Cherimoya, meiner Lieblingsfrucht! Danach am Buch schreiben und am späteren Nachmittag dann oft lange Spaziergänge am Meer. Abends bin ich mit meiner Partnerin ab und an in ein Lokal mit Livemusik ­gegangen.

Nach dem Ausscheiden der Grünen: Bereuen Sie im Nachhinein, wie alles gekommen ist?
Lunacek: Ja sicher. Ich habe auch viele Tränen vergossen. 
 
Hätten Sie es erwartet?
Lunacek: Nein, sicher nicht. Ich habe es nicht geglaubt.
 
War die Entscheidung, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen, eine Impuls­reaktion oder doch wohlüberlegt?
Lunacek: An dem Abend, an dem klar war, dass wir wegen 10.000 fehlender Stimmen nicht in den Nationalrat kommen, musste ich diese Entscheidung relativ schnell treffen, und es war schon klar, dass ich auch Verantwortung für diese Niederlage übernehme, und das heißt, dass ich auch nicht ins Europaparlament zurückkehre. Meine Nachfolgerin war gewählt, ich hatte mich im Plenum schon verabschiedet und gesagt, dass ich zurück in den Nationalrat gehe. Ich hätte mich anders entscheiden können, aber wenn ich Dinge verspreche, dann halte ich sie auch ein.

Haben Sie konkrete Zukunftspläne?
Lunacek: Ich habe ja schon vor meiner Zeit in der Politik in anderen Bereichen gearbeitet, habe selber als Journalistin Artikel geschrieben, Projekte betreut, bin ursprünglich Dolmetscherin – was ich jetzt nicht unbedingt neu beginnen werde, aber es gibt schon interessante Ideen für die Zukunft. Aber konkrete Zukunftspläne gibt es noch keine. Verschiedene Termine, ich bin eingeladen, ein Visiting Fellow am Wiener Institut für die Wissenschaft vom Menschen (IWM) zu sein, um die Europaprojekte und die Balkanprojekte weiterzuentwickeln. Themen wie Frauenrechte, die Zukunft Europas und die des Westbalkans in der EU werden mich weiter bewegen.

Wie geht es mit Ihnen und den Grünen nun weiter?
Lunacek: Wir ziehen unsere Lehren daraus. Es gab schon erste Treffen, und auch bei dem Event „ZUkunftHÖREN“ am 17. Februar sind mehr als 300 Interessierte zu uns Grünen gekommen. Wir wollen, dass die Grünen wieder stärkere Lebenszeichen geben. Da mache ich mit, aber im Hintergrund ohne Funktion.
 
Wie zerstritten war die Partei wirklich?
Lunacek: Wir waren nicht so zerstritten, es sind einfach einige Fehler passiert. Es hat einen gegeben (Anm.: Peter Pilz), der aus freien Stücken gegangen ist, und deswegen ist es dann so ausgegangen. Und auch, weil viele rot-grüne Wähler in der letzten Woche entschieden haben, sie wählen SPÖ. Das war vielleicht das Einzige, wo ich mir gedacht habe, das hätte ich in dieser letzten Woche klarer sagen müssen: Ihr müsst uns wählen, wenn ihr wollt, dass wir im Nationalrat bleiben. Aber es ist so, wie es ist, und ich bin froh, dass das Leben für mich jetzt weitergeht, und es geht auch für die Grünen weiter.
 
Was wünschen Sie den Grünen für die Zukunft?
Lunacek: Einen starken Neuanfang mit guter Mischung aus jungen und „nicht mehr ganz so jungen“ Politikerinnen und Politikern, mit viel Energie und Humor und Kampfeslust. Ich persönlich wünsche mir, dass diese Regierung in ein bis zwei Jahren bereits ausgedient hat und die Grünen bei etwaiger Neuwahl stärker als je zuvor in den Nationalrat zurückkehren.

Werden Sie das Frauenvolksbegehren unterschreiben? Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß unterschreibt ja nicht. Was halten Sie davon? 
Lunacek: Die gesamte Bundesregierung unterschreibt es nicht, habe ich gehört. Ich halte das für einen Fehler. Ich habe den Eindruck, dass einige der Ministerinnen durchaus bereit gewesen wären, es zu unterschreiben, und dann gab es den Befehl von oben mit „Nein“. Ich werde es unterschreiben, ich unterstütze das voll und ganz. Es ist einfach notwendig, dass sich die Situation für Frauen in Österreich verbessert. Wir leben 2018 – Frauen verdienen immer noch nicht gleich viel; Gewalt gegen Frauen, da muss noch so viel geschehen. Dass hier die Bundesregierung sich weigert, halte ich für sehr rückwärtsgewandt.
 
Pünktlich zum 10. Jahrestag der Unabhängigkeit des Kosovo präsentiert Ulrike Lunacek ihr neues Buch „Frieden bauen heißt weit bauen“, erschienen im Wieser Verlag. 
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