"Meine Kinder gehen nicht in die Schule"

24.02.2017

Häuslicher Unterricht. Wenn Eltern am Schulsystem zweifeln und die Bildung ihrer Kinder selbst in die Hand nehmen. Wir haben mit einer Freilerner-Mutter gesprochen.

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© Raunig
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Diktat, Hausübung und Notenstress - was für die meisten Schüler Alltag ist, ist für "Homeschooler" ein Fremdwort. Die liberalste Form des Hausunterrichts ist das Freilernen. Dabei geben Eltern ihren Kindern keinerlei Vorgaben, sondern lassen sie selbst bestimmen, was sie lernen.

Interview. Marion Stückler (33) erzieht ihre Kinder (Kathrin, 8, und Raphael, 5) nach diesem Prinzip. Die Kärntner Familie hat uns einen Einblick in ihren Alltag gewährt.

Weshalb haben Sie sich entschlossen, Ihre Kinder zu Hause zu unterrichten?
MARION STÜCKLER:
Das war eigentlich gar nicht so geplant. Meine Tochter hat mir gezeigt, dass sie nicht in den Kindergarten und die Schule gehen will. Das hat sich so geäußert, dass Kathrin psychische Veränderungen und Erkrankungen hatte. Dieses Leid, dass sie zum Ausdruck gebracht hat, konnte ich nicht ignorieren. Aufgrund dessen habe ich angefangen, mich zu informieren, welche Möglichkeiten es da gibt. So sind wir langsam in die Richtung des häuslichen Unterrichts beziehungsweise des Freilernens gegangen.

Es war also keine Entscheidung, die Sie vorab getroffen haben?
STÜCKLER:
Nein, ich habe das System niemals angezweifelt, auch wenn es mir damals während meiner Schulzeit selbst nicht gut gegangen ist. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass es irgendetwas anderes gibt. Das Freilernen kann aber auch nach hinten losgehen, wenn man es nicht aufgrund der Bedürfnisse der Kinder macht, sondern aus den falschen Gründen. Häuslicher Unterricht ist viel Arbeit, man muss alles neu überdenken. Das Gleichgewicht neu herzustellen innerhalb Familie ist viel Arbeit.

Wie sieht der Alltag bei Ihnen aus?
STÜCKLER:
Das ist schwierig zu beantworten. So einen richtigen Alltag haben wir nicht. Wir machen echtes Freilernen: Das schaut so aus, dass jeder selbstständig Entscheidungen treffen darf. Meine Tochter hat keine feste Regeln und Rituale, die ich ihr vorgebe. Es gibt Tage, da steht sie um zehn Uhr auf, weil sie am Vorabend noch lange an etwas getüftelt hat, und dann gibt es Tage, an denen sie um 5 Uhr anfängt.

Und wie eignen sich Ihre Kinder Wissen an?
STÜCKLER:
Meine Kinder spielen den ganzen Tag. Außer Spielen gibt es bei uns zu Hause nichts.

Aber nicht alle Lerninhalte machen unbedingt Spaß.
STÜCKLER:
Das sind die alten Meinungen, die bis jetzt vorherrschen. Es gibt viele Theorien, die besagen, dass nachhaltiges Lernen nur dann passiert, wenn ein Mensch Begeisterung für etwas auf bringt. Meine Kinder lernen dadurch, dass sie sich für etwas begeistern. Sie lernen es einmal und vergessen es nie wieder.

Wie kann sich ein Kind für Mathe etc. begeistern?
STÜCKLER:
Meine Glaubenssätze sind, dass Kinder grundsätzlich wissbegierig sind. Sie wollen die Welt ja erkunden, dazugehören und Dinge beherrschen, die Ältere können. Meine Tochter hat das Lesen erlernt, weil sie alleine Aufgaben in Vorschulheften machen wollte, ohne dass die Mama ihr vorlesen muss. Das war ausschlaggebend dafür, dass sie sich für Buchstaben interessiert hat. Innerhalb von vier Monaten konnte sie dann lesen.

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Sport. Auch körperliche Betätigung kommt beim Lernen zu Hause nicht zu kurz.


Sie greifen nicht aktiv ein?
STÜCKLER:
Nein, überhaupt nicht. Ich habe das einmal probiert, und das hat uns beide sehr frustriert. Eigentlich behindere ich sie dadurch.

Wie steuern Sie, dass Ihre Tochter die jährliche Externistenprüfung besteht?
STÜCKLER:
Ich lebe nach dem Grundsatz, dass ich nicht das Recht habe, zu entscheiden, wann mein Kind was können muss. Ich möchte, dass mein Kind sich nach seinen Bedürfnissen entwickelt. Demnach kann ich nicht genau sagen, ob mein Kind die Prüfung besteht oder nicht. Meine Tochter war letztes Jahr bei ihrer ersten Prüfung und hat bestanden.

Ihr Sohn ist fünf Jahre alt. Wissen Sie schon, ob sie ihn auch zu Hause unterrichten werden?
STÜCKLER:
Er rutscht heuer in das erste verpflichtende Kindergartenjahr. Raphael war auch schon mal zu Besuch in einem Kindergarten, wollte aber nicht dauerhaft dort hingehen. Er möchte dieses Jahr zu Hause in häuslicher Erziehung verbringen, und dann schauen wir weiter. Es ist bei uns so, dass nicht die Eltern über das Kind bestimmen, sondern dass wir gemeinsam mit dem Kind entscheiden.

Wie sieht es mit den sozialen Kontakten nach außen aus?
STÜCKLER:
Meine Kinder haben noch Kontakt zu Freunden aus dem Kindergartenalter. Auch hat sich ein großer Freundeskreis zu Kindern aufgebaut, die selbst frei lernen.

Machen Sie sich Gedanken über die berufliche Zukunft Ihrer Tochter?
STÜCKLER:
Ich mache mir mittlerweile keine Gedanken darüber, sondern habe hundertprozentiges Zutrauen. Es ist nur ein Klischee, dass Kinder, die von ihren Eltern keine Struktur vorgegeben bekommen, inkonsequent oder chaotisch sind. Ganz im Gegenteil! Kinder, die selbstbestimmt lernen, haben ein sehr hohes Maß an Disziplin, nur in einer anderen Form. Ich habe Zutrauen, dass, wenn meine Tochter später beispielsweise Ärztin werden möchte, dass sie dann die Begeisterung für den Beruf so in sich trägt, dass sie mit vollem Herzen Prüfungen nachholt und studieren geht. Daran habe ich keine Zweifel. Freilernende Kinder sind sehr starke Persönlichkeiten, die beim Lernen ihren Weg finden. Und oft gibt es mehrere Wege zum Ziel.
 

Homeschooling
Da in Österreich keine Schulpflicht, sondern Unterrichtspflicht besteht, können Eltern ihre Kinder zu Hause unterrichten. Es gibt eine Vielzahl an Methoden und: Vom strukturierten Hausunterricht bis zum selbstbestimmten Freilernen ohne fixen Vorgaben. Das Erreichen von Bildungszielen ist aber gesetzlich vorgeschrieben: Am Ende des Schuljahres müssen die Kinder aber eine verpflichtende Externistenprüfung ablegen, bei der sie den Stoff des Lehrplanes vorweisen müssen. Circa 2.000 Kinder werden österreichweit zu Hause unterrichtet.



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