Neue Parteichefin der Grünen

Ingrid Felipe im MADONNA-Talk

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Turbulente Tage haben neben der Regierung auch die Grünen hinter sich: Am Ende steht Ingrid Felipe als neue Parteichefin. In MADONNA verrät sie, warum sie nicht auch Spitzenkandidatin werden wollte.

In diesem Mai 2017 blieb politisch kein Stein auf dem anderen. Nach Vizekanzler-Rücktritt und ausgerufenen Neuwahlen sorgten just die Grünen für den großen Knalleffekt: Für viele völlig überraschend nahm Eva Glawischnig nach neun Jahren den Hut als grüne Parteichefin. Darauf folgten 24 „sehr intensive“ Stunden, wie es Ingrid ­Felipe im MADONNA-Talk beschreibt. Die 38-jährige Tirolerin war bisher Glawischnigs Stellvertreterin und wurde auch schon bei den ersten aufkommenden Rücktrittsgerüchten als heiße Kandidatin für die Nachfolge gehandelt.        
 
Verpflichtungen. Tatsächlich übernimmt, das stand am Tag nach Glawischnigs Blitz-Abgang fest, Felipe den Job. Allerdings nicht zur Gänze, sie teilt sich die Aufgabe mit der Vizepräsidentin des EU-Parlaments Ulrike Lunacek – sie wird für die Grünen als Spitzenkandidatin in die Wahl am 15. Oktober gehen, während Felipe als Parteichefin fungiert. „Das ist gut so“, ist sich Felipe sicher: Geballte Frauenpower gegen die „One Man Shows“ der ­anderen Parteien sozusagen. In die Wahlschlacht wollte sie sich nicht schmeißen, weil sie Verpflichtungen habe. Gegenüber ihrem 13-jährigen Sohn und den Tirolern als Landeshauptmann-Stellvertreterin.
 
Wie fühlen Sie sich denn nach diesen turbulenten Tagen?
Ingrid Felipe: Mir geht es erstaunlich gut und ich freue mich über die vielen positiven Rückmeldungen. Ich habe das Gefühl, dass alle sehr zufrieden damit sind, dass Ulrike Lunacek und ich die kommenden Jahre für die Grünen gestalten dürfen. 

Wie haben Sie von Eva Glawischnigs Rücktritt erfahren?
Felipe: Die Information kam kurz bevor sie öffentlich ihren Rücktritt erklärt hat auch bei uns Stellvertretern an. Dann ­haben wir uns intensiv beraten, wie es ­weitergehen soll. Ich habe versucht, einen guten Rahmen für die Lösungsfindung zu organisieren. Das dürfte gelungen sein. Wir haben relativ rasch für grüne Verhältnisse eine breit getragene Entscheidung treffen können. Aber ja, das war sehr intensiv. 

Und lief innerhalb von 24 Stunden ab …
Felipe: Genau, bei so etwas braucht man eine ruhige Hand. Erfreulicherweise habe ich die Eigenschaft, wenn alle hektisch werden, sehr ruhig zu bleiben.  
 
Haben Sie Eva Glawischnigs Schritt nachvollziehen können?
Felipe: Das konnte, glaube ich, jeder, der ihre Abschiedsworte gehört hat. Sie hat sehr nachvollziehbar und ehrlich erzählt, was für eine Herausforderung und Be­anspruchung dieser Job mit sich bringt. Sie hat auch gesagt, dass sie auf sich, ihre Familie und ihre Gesundheit schauen muss. Das ist ja für jeden verständlich. 

Sie hat außerdem gesagt, dass Frauen es in der Politik immer noch schwerer haben. Sehen Sie das auch so?
Felipe: Ja, das sieht man jetzt auch ganz gut an meinem Beispiel. Ich freue mich ja sehr, dass wir jetzt über die Vereinbarkeitsfrage debattieren. Ich finde es aber auch bemerkenswert, dass bei den anderen – und das sind eben vorwiegend Männer – nicht die Frage gestellt wird, wie etwa ein Kanzler gleichzeitig Parteiobmann und Kanzler sein kann oder wie der Außenminister nebenbei den Parteichef-Job und Spitzenkandidatur schupfen kann. Da frage ich mich auch, wie halten die das aus und wie kriegen die das unter einen Hut? Wenn ich diese Frage also kriege, denke ich schon, dass das etwas mit meinem Geschlecht zu tun hat. 

Wäre die politische Kultur eine bessere, wenn mehr Frauen vertreten wären?
Felipe: Ich stimme zu hundert Prozent zu. 
 
Sie ärgern sich über die Vereinbarkeits­frage, haben aber schon die Spitzenkandidatur abgesagt, weil Sie „Verpflichtungen in Tirol“ haben …
Felipe: Erstens ärgere ich mich nicht. Ich finde nur, dass es an der Zeit ist, über diese Vereinbarkeit bei Männern und Frauen gleichermaßen zu reden. Denn das ist natürlich auch ein Anliegen von Männern. Wenn man ein modernes Bild von Elternschaft und Lebensqualität hat, muss man das auch bei Männern hinterfragen: Was darf man ihnen zumuten? Was ich mit ­Vereinbarkeit aber gemeint habe, war nicht, dass ich einen 13-jährigen Sohn habe, für den ich da sein muss. Sondern die Vereinbarkeit von den Rollen, die ich habe als stellvertretende Landeshauptfrau und als grüne Parteichefin. Da schreibt eine Tiroler Journalistin: „Die Teilzeit-Landeshauptfrau“. Wenn ich das umlege, wären das der „Teilzeit-Kanzler“ und der „Teilzeit-Außenminister“. Deswegen finde ich es interessant, dass diese Problematik gerade an der neuen Frau diskutiert wird. 
 
Ihr politisches Amt und Ihr Sohn waren aber schon der Grund, warum Sie die Spitzenkandidatur nicht übernommen haben …
Felipe: Vor allem der Grund, warum ich nicht hätte nach Wien gehen können, und das hätte das Ganze bedungen. Mein Sohn ist 13 und lebt, genauso wie ich, sehr gerne hier in Tirol. Wir haben hier eine tolle Lebensqualität und ich arbeite sehr gerne für das Land, bin den Tirolern in der Pflicht. 
 
Sie meinten einmal, dass Sie als LH-Stellvertreterin am Anfang Anfeindungen ausgesetzt waren. Weil jung und Alleinerzieherin.
Felipe: Nicht nur am Anfang, aber mittlerweile kann ich besser damit umgehen. Es war schon eine Herausforderung, das für mich selber zu sortieren. Es ist tatsächlich so, dass es für viele Herren sehr schlecht auszuhalten ist, wenn eine verhältnis­mäßig junge Frau, die auch noch ein unklassisches Familienbild lebt, regieren, mitbestimmen und Entscheidungen treffen darf.  Wobei ja eines lustig ist: Im Vergleich mit der Ulrike Lunacek haben viele befunden, ich sei die Bürgerliche. Ich hatte eine binationale Ehe, war mit einem Dominikaner verheiratet,  bin jetzt Alleinerzieherin, mache Karriere, habe einen bunten Freundeskreis und bin sehr weltoffen. Also wenn das bürgerlich ist, sehe ich eine sehr positive Zukunft für Österreich. 
 
Zwei Spitzenpolitiker sind jetzt zurückgetreten. Wird das Geschäft immer härter? 
Felipe: Meine These wäre, dass es mit der Geschwindigkeit zu tun hat, die in unserer Gesellschaft immer höher wird. Und das ist in der Politik noch viel schärfer. Von Mitterlehner wurde eben erwartet, dass er gleichzeitig Vizekanzler ist, diese riesige Partei zusammenhält, und Privatperson war er dann hoffentlich auch noch. Er musste ständig erreichbar sein, auf alles reagieren, Mails beantworten und Twitter checken. Die Hektik unserer Zeit belastet uns alle und Spitzenpolitiker im besondern Maße. Ich glaube, es ist Aufgabe von Politikern, gut auf sich selbst zu schauen. Denn nur dann kann man auch gut für die Gesellschaft wirken. Wir haben keine Chefs, die sagen: „Morgen hast du frei!“ Da müssen wir selbst Verantwortung übernehmen. Mir behagt es auch nicht, dass wir Politiker haben, die in jedem Moment, in dem man sie sieht, gut aussehen und gut gelaunt sind. Wir haben doch alle unsere Schwächen und Fehler. Es muss doch auch möglich sein, dass man als Politiker einmal nicht zu hundert Prozent funktioniert.  

Wie ist Ihr Verhältnis zu Ulrike Lunacek – werden Sie zwei gut harmonieren?
Felipe: Davon bin ich überzeugt. Wir kennen uns auch schon ziemlich lange und ­haben uns immer sehr gut verstanden. Im Moment haben wir beide eine große Freude mit der gemeinsamen Aufgabe und werden das sicher gut bewerkstelligen. Ulrike und ich sind uns ähnlich in Haltung und Stil, sind beide eher moderat und keine Kampfhunde. Wir versuchen lieber mit guter Debatten-Kultur zu reagieren.   
 
Also Frauenpower in diesem doch sehr ­testosteronlastigen Wahlkampf?
Felipe: So kann man das nennen (lacht). Wir bieten hier einen Gegenentwurf zu diesen One-Man-Shows und „starken Männern“, die die anderen Parteien anbieten. Wir möchten zeigen, dass es auch anders gehen kann: Es kann kooperativ gehen. Es muss nicht immer alles mit Ellbogen funktionieren, sondern auch gemeinsam, mit Lebensfreude und zuversichtlichem Blick. 
 
Man hört, Sie pflegen bei den Grünen Ihr Image als „Realo“. Unterschreiben Sie das?
Felipe: (lacht) „Realo“ und „Fundi“, das ist wie mit links und rechts – diese Begriffe sind ein bisschen aus der Mode gekommen. Ich bezeichne mich lieber als „pragmatische Progressive“: Ich habe eine klare Perspektive auf die Zukunft, will Veränderung, aber ich hab einen moderaten Ton. Ich muss nicht schreien, um meine Haltung zu vermitteln, deshalb sagt man mir nach, ein „Realo“ zu sein. Da bin ich eher „Fundamental-Optimistin“, wenn Sie so wollen. Ich blicke immer zuversichtlich in die Zukunft und denke, man kann immer etwas lernen, auch wenn die Situation gerade schwierig ist. 
 
Was sagt Ihr Sohn zu Ihrem neuen Job?
Felipe: Für ihn war vor allem ganz wichtig, dass wir nicht übersiedeln müssen. Er ist 13 und gerade in der Mittelschule. Jetzt muss er sich bald entscheiden, ober eine Lehre macht oder in die HTL geht. Das ist für ihn jetzt alles wichtig, seine Freunde sind ihm wichtig. Und er braucht seine Mutter zwar nicht Tag und Nacht, aber irgendwo in der Nähe und er möchte in seinem Freundeskreis bleiben. Für mich ist auch ganz maßgeblich, dass meine wichtigste Partnerin in der Erziehung meine Mutter ist und für die kam es auch nicht infrage, nach Wien zu ziehen. 
 
Sie haben lange in der Gastronomie gearbeitet. Was hat Sie dann in die Politik geführt?
Felipe: Ich habe mein Studium durchs Kellnerieren finanziert. In einem Urlaub in der Dominikanischen Republik habe ich dann meinen späteren Mann kennengelernt. Erst habe ich für einige Zeit dort gelebt, dann bin ich aber doch wieder nach Österreich zurückgegangen. Und ich musste, damit mein Mann nach Österreich kommen durfte, ein volles Einkommen nachweisen. Also habe ich 48 Stunden gearbeitet und nebenbei mein Betriebswirtschaftsstudium fertig gemacht. Dann haben wir geheiratet und ich wurde schwanger – das war unter Schwarz-Blau. Plötzlich gab es Studiengebühren und ich habe erlebt, was Alltagsrassismus ist, weil ich mit einem Farbigen verheiratet war. Und: damals hat jede Frau 435 Euro als Kinderbetreuungsgeld bekommen, egal wie viel sie vorher verdient hat. Zwei Monate nach der Geburt musste ich also wieder arbeiten gehen, weil ich sonst nicht durchgekommen wäre. Dabei hatte ich das große Glück, dass mein Chef mir erlaubt hat, mein Kind mitzunehmen. In dieser Zeit habe ich immer fürchterlich geschimpft – irgendwann dachte ich mir: „Dann tu halt selbst was dagegen!“ Und so ging ich in die Politik. 

ZUR PERSON
Beruf. 2005 wurde Felipe Finanzreferentin der Grünen. Seit 2009 ist die studierte Betriebswirtin auch Landesparteichefin. 2013 wurde sie Landeshauptmann-Stellvertreterin und Landesrätin für Umwelt- und Klimaschutz sowie Verkehr. 

Privat. Die 38-Jährige hat einen 13-jährigen Sohn aus ihrer Ehe mit einem Dominikaner. Ihren Ex-Mann lernte sie im Urlaub kennen, zog für einige Monate zu ihm in die Dominikanische Republik, dann folgte er ihr doch nach Österreich.
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