MADONNA-Report zum Nachlesen

Vollverschleiert durch Wien

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MADONNA-Redakteurin verbrachte einen Tag im Niqab.

Ein wenig mulmig  ist mir schon zumute, als ich mir in der Früh den Tschador, das lange Gewand muslimischer Frauen, und den Niqab, einen lediglich die Augen frei las­senden Gesichtsschleier, überziehe. Anstatt in die Redak­tion zu fahren, mache ich mich auf den Weg, um Wien zu erkunden, die Stadt aus der Perspektive einer verschleierten Frau zu sehen und auch, um zu erfahren, wie die Stadt auf mich, ein Symbol religiösen Fundamentalismus, zurück blickt.      

„Das Tragen des Niqab ist bei uns ein Minderheitenprogramm.“

Eine Seltenheit. Denn das Tragen des Niqab ist in unserem Land ein Minderheitenprogramm, wie mir Carla Amina Baghajati von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich verrät. Seinen Ursprung hat der Niqab in der Beduinenkultur der Arabischen Halbinsel, dort wird er heutzutage immer noch, wie auch teilweise in Ägypten, Syrien, Jordanien oder dem Irak, getragen. Die Terrorgruppe IS zum Beispiel zwingt Frauen in den von ihr eroberten Gebieten, sich zu verschleiern, wer sich weigert, hat mit scharfen Strafen zu rechnen, manchmal sogar mit dem Tod. Die religiöse Begründung des Niqab wird dabei aus dem Koran hergeleitet, denn durch die Verschleierung soll gewährleistet werden, „dass Frauen als ‚ehrbar‘ erkannt und daraufhin nicht belästigt werden“. Ich frage mich, warum in erster Linie nicht davon abgelassen wird, Frauen überhaupt zu belästigen … In unseren Breitengraden sieht die Lage zu diesem Thema so aus: Aktuell wird in Deutschland über ein Burka-Verbot debattiert, in Ländern wie Belgien oder Frankreich ist das Tragen von sowohl ­Burka als auch Niqab in bestimmten Orten des öffentlichen Raums bereits seit einigen Jahren verboten.      

Niqab
© Topf/Oezelt

Negativstimmen. Wie ich bei meinem Selbstversuch höre, denken auch einige Österreicher, dass ein solches Gesetz bei uns gilt. Als ich die Simmeringer Hauptstraße entlanggehe, schreit mir eine ältere Frau „Burka ist verboten!“ entgegen. Ich reagiere nicht darauf, spiele meine Rolle weiter. Doch hier, im elften Bezirk, kann ich nicht behaupten, mein mulmiges Gefühl losgeworden zu sein. Obwohl ich den Menschen nicht direkt in die Augen sehe, nehme ich ihre Blicke sehr wohl wahr – einerseits das Erstaunen über meinen Aufzug, andererseits die Vorbehalte, die sie meiner dunklen Hülle entgegenbringen. Auch die beiden Fotografen, die mich im Hintergrund begleiten, erzählen mir im Nachhinein davon, wie ich von vielen misstrauisch beäugt wurde.  Einmal wende ich meinen Blick nicht ab und sehe mich von den Augen eines Mannes fixiert, der mich feindselig anzischt. Doch ich verstehe ihn nicht, meine Ohren sind von dem Umhang bedeckt. Die Kleidung hält mich auf Distanz zu meinem direkten Umfeld, entfremdet mich von meiner Umgebung.  

„Die Kleidung hält mich auf Distanz zu meinem eigenen Umfeld.“

Erkenntnisse.  Der Niqab, in Kombination mit dem Tschador, bedeutet auch eine ­
enorme Einschränkung für die Frau selbst. Man sieht nicht viel. Auf der Straße ist mein Blick nach vorne gerichtet, oft auch auf den Boden. Zum ­einen, weil sich der Augen­kontakt mit Fremden, vor allem Männern, für eine ehrbare Muslima nicht gehört, zum anderen, weil ich bei jedem Schritt Angst habe, auf meinen langen Rock zu treten und zu stolpern. Es ist warm, nor­malerweise würde ich in T-Shirt, Rock und Sandalen rumlaufen, jetzt schwitze ich in mehreren Lagen Kleidung und habe gleichzeitig Angst, zu viel Haut zu zeigen. Denn dass mich jemand als falsche Mus­lima durchschaut, ist ein Gedanke, der mich durchgehend begleitet.  


Szenenwechsel
. Am Stephansplatz kaufe ich mir in einer Bäckerfiliale ein Wasser. Hier, in der Innenstadt, bin ich kein Kuriosum mehr. Die Bedienung ist freundlich und redet Deutsch mit mir, obwohl ich ihr auf Englisch mein Ausländerdasein attestieren will. So entspannt wie die Dame im Geschäft reagieren auch die anderen Passanten, denen ich mich rund um den Stephansdom nähere. Leicht verwundert sind sie schon, von Feindseligkeit kann aber nicht die Rede sein. Und auch auf meinem Weg von der City Richtung Mariahilfer Straße werde ich relativ neutral wahrgenommen. Wenn jemand etwas an meinem Aufzug auszusetzen hat, dann vor allem Menschen älterer Generation. Der Großteil Wiens scheint jedoch auf meine demonstrativ zur Schau gestellte kulturelle Vielfalt sensibilisiert zu sein.  Sehr positiv, wie ich finde. Das mulmige Gefühl hat nach einigen Stunden bereits stark abgenommen. Gleich geblieben ist jedoch mein Bedürfnis, den Niqab wieder abzulegen. Unter dem Schleier ist mir heiß, ich fühle mich eingeengt. Trinken funktioniert nur schwerlich, schließlich muss ich darauf achten, keinesfalls zu viel Haut zu zeigen und mich bei der Aktion nebenbei nicht ­völlig nass zu machen.  Dem Alltag einer verschleierten Frau mangelt es meiner Meinung nach am einfachen Genuss. Sich auf einer Parkbank sitzend an der frischen Luft zu erfreuen, ist mit dem Niqab nicht möglich.

Niqab
© Topf/Oezelt

Fazit. Nach einigen Stunden erachte ich das Experiment als beendet, nehme den Schleier ab und erfreue mich an einer Zigarette. Es soll ja Frauen geben, die Burka oder Niqab im Rahmen ihres Glaubens freiwillig tragen. Für mich unvorstellbar, aber eine Tatsache. Und die Vollverschleierung ist nur für einen sehr kleinen ­Prozentanteil muslimischer Frauen die Realität, ich selbst treffe nur eine einzige andere Frau, die ähnlich verschleiert ist. Die Debatte um das Burka- bzw. Niqab-Verbot sehe ich dennoch als schwierig, einerseits kann es freier Wille sein, den Schleier zu tragen. Eine unterdrückte Frau wird durch so ein Gesetz hingegen vielleicht noch zusätzlich isoliert. Ich für meinen Teil freue mich, die Sonne wieder auf meine Nase scheinen lassen zu können. Irgendwie sieht die Welt wieder freund­licher aus.

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