Sexuelle Belästigung

Schluss mit Pfeiffen

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Eine Studentin, die sich gegen sexuelle Belästigung wehrte, fing sich dafür noch eine Ohrfeige ein. Der aktuelle Fall in Frankreich sorgt für Empörung über die Rechtslage zu Gewalt an Frauen. In Österreich wird als Antwort dazu ein neuer Paragraf diskutiert. 

wenn die Anglizismen im deutschen Sprachgebrauch überhandnehmen, ist man gut damit beraten, öfter einmal einen Blick ins „Urban Dictionary“ zu werfen, das so manchen unverständlichen englischen Slangbegriff in wenigen Worten verständlich übersetzt. Die Tätigkeit des „Wolf-whistling“ etwa bezeichnet dabei einen pfeifenden Wolf als Sinnbild für den Mann, der auf der Suche nach einer schönen Frau ist – in unseren Kreisen allgemein als „Hinterherpfeifen“ etabliert. Laut Bryony Beynon (36), einer Londoner Autorin, die Mitgründerin eines globalen Netzwerkes ist, das sich für das Ende von sexueller Belästigung auf der Straße einsetzt (im Rahmen der Kampagnen „Hollaback London“ und „Good Night Out“), ist das oft als harmlos empfundene Hinterherpfeifen Teil des „Einmaleins einer jeden Vergewaltigungskultur“. Zu den Wölfen gesellen sich die Katzen, wenn beim sogenannten „Catcalling“ den Frauen hinterhergerufen wird: „Süße, lächle mal zu mir“ oder „Komm her und gib mir deine Nummer“. Frankreich will diesem respektlosen Verhalten jetzt auch erstmals rechtlich einen Riegel vorschieben und ­eine Geldstrafe für „sexistische Beleidigung“ festlegen. Denn nicht nur die „MeToo“-Debatte, sondern ein aktueller Fall von sexueller Belästigung treibt das französische Parlament aktuell zum Handeln.   
 
Unglaubliche Aktion
Auf dem Video einer Überwachungskamera eines Cafés im 19. Arrondissement in Paris sieht man einen Mann und eine junge Frau, die sich scheinbar harmlos über den Weg laufen. Er rief ihr, einer 22-jährigen Studentin im roten Kleid, etwas Anzügliches zu, sie konterte nur mit „ta gueule“ (Dt. in etwa „halt’s Maul“) und beide gehen ihren Weg weiter. Aber nur kurz. Er nimmt nach ein paar Schritten einen Aschenbecher von einem Tisch des Cafés und wirft ihn nach der jungen Frau, rennt ihr schließlich nach und verpasst ihr vor dem versammelten Gastgarten des Cafés eine heftige Ohrfeige. Die Studentin, Marie Laguerre, ist fassungslos. Und sie erstattet Anzeige. Der Mann sei ihr, laut ihrem Facebook-Post nach der Tat, auf dem Nachhauseweg gefolgt und habe sie mit anzüglichen Geräuschen und Bemerkungen belästigt.  
 
Feministisches Internet
Der Fall ging auf allen Social-Media-Kanälen um die Welt, eine der Ersten, die sich dieses empörenden Zwischenfalls angenommen hat, ist die französische Gleichstellungsministerin Marlène Schiappa (35): Der französischen Tageszeitung La Parisienne sagte sie: „Das, was hier auf dem Spiel steht, ist ernst! Fälle wie dieser sind keine Einzelfälle und es geht um die Freiheit der Frauen, sich frei in der Öffentlichkeit bewegen zu können.“ Schon im Zuge der #MeeToo-Debatte brachte die französische Regierung eine Gesetzesverschärfung auf den Weg, die vorwiegend dem Kampf gegen sexuelle Belästigung und sexistische Annäherungen und Äußerungen auf der Straße dienlich sein soll. In Frankreich zog man seine Konsequenzen: „Sexistische Beleidigung“ kostet dort ab Herbst dann zwischen 90 und 750 Euro.  
 
Neue Denkweisen
Doch Frankreich ist in Sachen derartiger Präventionsmaßnahmen gegen sexuelle Belästigung von Frauen zwar aktuell Akteur, keinesfalls aber Vorreiter. In Belgien und Portugal sind solche Paragrafen seit Jahren im Gesetz verankert. In Deutschland wird ebenfalls schon seit Jahren über eine Verschärfung des Paragrafen 184i des Strafgesetzbuches diskutiert, da sich dieser nur auf körperliche Übergriffe bezieht. Das ist auch in Österreich der Stand der Dinge: Wird eine Frau am Arbeitsplatz belästigt, kann sie dagegen rechtlich vorgehen. Passiert ihr dieselbe (rein verbale) Situation beliebig auf der Straße, ist sie völlig machtlos. Der Fall in Frankreich hat auch hierzulande eine große Debatte rund um das Thema ausgelöst: „Man könnte das Gesetz in Frankreich als Anlass nehmen, sich gemeinsam mit der Frauenministerin dieses Themas anzunehmen. Es ist Zeit, diese Lücke zu schließen!“, argumentiert SPÖ-Frauensprecherin Gabriele Heinisch-Hosek (56) dazu. Die dafür zuständigen Frauen der Regierung bleiben zur Thematik bis dato wortkarg. Vor allem die fehlende Stellungnahme von Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß dazu wird kritisiert). Auf Anfrage heißt es aus dem Büro von Bogner-Strauß (ÖVP, 46) schlichtweg: „Jede Form von sexueller Belästigung ist abzulehnen. Wir analysieren derzeit das in Frankreich beschlossene Gesetz.“ Staatssekretärin Karoline Edt­stadler (ÖVP, 37) hat sich hingegen schon im Februar für eine Verschärfung von Sexual- und Gewaltdelikten ausgesprochen, denn die „geringen Strafen“ würden den „sozialen Frieden gefährden“. Soll sich in Sachen „Hinterherpfeifen“ und „unangebrachten Zurufen“ auf der Straße etwas ändern, so kann das „nur auf Landesebene passieren“, wie Strafrechtsexpertin Katharina Beclin bestätigt.
 
Gesellschaftsproblematik
Die Französin Marie Laguierre hat also das Fass eines Themenkomplexes geöffnet, der weit über das reine Strafmandat hinausgeht. Natürlich gilt: Der Staat muss seine Bürger vor Gewalt schützen. Der „soziale Frieden“ auf der Straße ist jedoch ein wichtiges Produkt der Gleichberechtigung. Und um die geht es hier, denn warum muss es erst zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommen, bis unangebrachtes Verhalten geahndet werden kann? Sollte ein derartiger Gesetzesentwurf in Österreich umgesetzt werden, ist die logistische Herausforderung hierbei: Wie den öffentlichen Raum zur beleidigungsfreien Zone erklären, wenn sich viele erst fragen müssen: War das jetzt „Flirten“ oder „Sexistische Beleidigung“? Der neue französische Paragraf ist für Gleichstellungssekretärin Schiappa jedenfalls „ein Erfolg für die Freiheit der Frau im öffentlichen Raum“. Das sagt auch die Frauensprecherin der Liste Pilz Maria Stern (45), denn „der öffentliche Raum gehört uns allen“. In jedem Fall und weltweit wäre zukünftig also das Pfeifen von etwas melodischeren Klängen sehr empfehlenswert.  
 
Marlène Schiappa

Marlène Schiappa
© Getty

Erfolgsbilanz. Die 35-Jährige ist seit Mai 2017 Frankreichs  Staatssekretärin für die Gleichstellung der Geschlechter, ein Ministerposten, den es in dieser Art in Österreich gar nicht gibt. Schon damals hatte sie angekündigt, ein Gesetzesprojekt gegen sexistische und sexuelle Gewalt auf den Weg zu bringen. Aufgrund des aktuellen Falls wurde dieses Gesetz Wirklichkeit: 90 bis 750 € Strafe wird bei unangemessenem Verhalten künftig fällig. „Ein Erfolg für die Freiheit der Frau im öffentlichen Raum“,  so Schiappa.

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