Expertenmeinungen

Kindergarten: Kopftuchverbot notwendig?

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Geht es nach VP und FP, braucht es dringend ein Kopftuchverbot im Kindergarten. Kritiker finden, für so wenig Betroffene macht das keinen Sinn. MADONNA hat sich bei Experten schlaugemacht. 

Sind es nur 50 oder Tausende? Die Rede ist von kleinen Mädchen, die noch den Kindergarten besuchen, aber bereits ein Kopftuch tragen (müssen). Geht es nach FPÖ-Vizekanzler Strache, ist dieses Phänomen vor allem im urbanen Raum ein drängendes Problem, auf das die türkis-blaue Regierung nun mit einem entsprechenden Verbot antworten will. Derzeit verhandeln Familien- und Bildungsministerium mit den Bundesländern eine neue 15a-Vereinbarung zu den Kindergärten. An die finanziellen Mittel für den Ausbau und die Ausweitung der Öffnungszeiten ist auch das Kopftuchverbot im Kindergarten geknüpft. Nicht alle Ländervertreter ­zeigen sich damit einverstanden.   
 
Ablenkungsmanöver?
Sie halten das Koalitionsvorhaben teilweise nämlich für ein „plumpes Ablenkungsmanöver“ von 12-Stunden-Tag & Co. So geht etwa für den burgenländischen Landeshauptmann Hans Niessl (SP) das Gesetz am Problem vorbei: „Ich habe vor einiger Zeit schon Rücksprache gehalten mit der Kindergarteninspektorin. Ihr zufolge gibt es kein Kind im Kindergarten mit Kopftuch. Es gibt auch keine Kinder in der Volksschule mit Kopftüchern. Insofern ist das kein ­Thema und kein Mensch will, dass kleine Kinder und Mädchen Kopftücher tragen.“
Entfaltungsmöglichkeiten. Doch abseits der Frage, wie viele Mädchen in Österreich überhaupt betroffen sind – was bringt ein Kopftuchverbot im Kindergarten? MADONNA hat mit zwei Experten gesprochen, die völlig konträre Ansichten zu der Causa vertreten. So hält der bekannte Integrationsexperte Kenan Güngör, der auch im Expertenrat von Integrationsministerin Karin Kneissl sitzt, ein solches Verbot für durchaus sinnvoll. Denn: „Kinder in diesem Alter haben kein Bedürfnis, ein Kopftuch zu tragen, das ist eher eine Überforderung, ein Bedürfnis der Eltern.“ Er gesteht zwar ein, dass die Zahl von Kopftuch tragenden Mädchen in Kindergärten verschwindend gering sei, das Verbot als Teil einer Gesamtmaßnahme (Kopftuchverbot bis zur Unterstufe) durchaus Sinn mache, um Parallelgesellschaften zu verhindern und Entfaltungsmöglichkeiten der betroffenen Mädchen zu garantieren.  
 
Ausgrenzung
„Das ist eine rein populistische Maßnahme“, meint wiederum Historikerin und Judaistin Barbara Staudinger. Sie ist Leiterin des Jüdischen Kulturmuseums in Augsburg und bearbeitete die Kopftuch-Debatte als Kuratorin bereits in einigen Ausstellungen. Staudinger hielte es für sinnvoller, Sozialarbeiter auf Einzelfälle anzusetzen, anstatt ein Gesetz für eine Handvoll Mädchen zu erlassen. Noch dazu ein Gesetz, so die Wissenschafterin im Interview (s. unten), das tendenziell eher ausgrenzt, als Integration zu fördern. 
 
Kenan Güngör, Integrationsexperte

„Ist nur Bedürfnis der Eltern“

Soziologe Kenan Güngör, der im Expertenrat von Integrationsministerin Kneissl sitzt, findet das Verbot wichtig, um Entfaltungsmöglichkeiten ­betroffener Mädchen zu gewährleisten.
 
Was halten Sie von dem angedachten Kopftuchverbot in Kindergärten? 
Kenan Güngör: Es stimmt, dass es im Kindergarten wie auch in der Volksschule kaum eine empirische Relevanz für ein solches Gesetz gibt. Die reale Zunahme des Kopftuches findet mit dem Übergang von der Volksschule in die Unterstufe statt. In einer religiös vielfältiger werdenden Gesellschaft und Schule überfordern wir uns, wenn alle ihre Wünsche und Vorstellungen maximal ausleben. Um uns gegenseitig nicht zu überfordern, brauchen wir in bestimmten Bereichen eine „Kultur des Sich-Zurücknehmens“. Daher sollten meines ­Erachtens alle starken, raummarkierenden religiösen Symbole, die das Klassenzimmer, die Identität oder die Interaktionen in Schule dominieren, verboten sein. Ein großes Kreuz oder ein Kopftuch ändern den Charakter eines Raumes. Die Religion dominiert plötzlich die Kommunikation. Schule soll ein Raum sein, wo Kinder säkulare Entfaltungsmöglichkeiten haben. In der Kindesentwicklung ist die religiöse Verhüllung eine zu starke Einschränkung ihrer Entfaltungsmöglichkeiten.    

Ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen hielten Sie auch für sinnvoll?
Güngör: Bis zur Unterstufe wäre es gut, wenn weder Kindern noch Lehrerinnen sich verschleiern. Mit dem Ende der ­Unterstufe sollte es allen freistehen, weil Kinder eine Reife erreicht haben und ­damit umgehen können. 
 
Aus was für Familien kommen die Mädchen, von denen wir hier sprechen?
Güngör: Soweit wir wissen, geht es nur um vereinzelte kleine Mädchen aus somalischen und tschetschenischen Familien. Wichtig ist festzuhalten, dass Kinder in diesem Alter kein Bedürfnis haben, ein Kopftuch zu tragen, es ist vielmehr der Wunsch der Eltern. Im Gegenteil, für die Kinder ist es eher eine Überforderung. Es geht hier ums Kindeswohl. Dennoch gibt es auch ein gutes Argument gegen das Verbot: Eine Bezirksschulinspektorin ­erzählte mir, dass es in der Volksschule eigentlich sinnvoll ist, wenn man sieht, welche Mädchen mit Kopftuch in die Klasse kommen. Das wäre ein wichtiger Hinweis, um sich die Familienverhältnisse anzuschauen, mit Eltern ins Gespräch zu kommen und herauszufinden, was im Hintergrund mitspielt. Solange es Einzelfälle sind, ist das auch machbar. Dort wo es zunimmt, stellt es eine Überforderung dar. Dafür besteht Bedarf grundlegender Klärung und Regulierung.

Barbara Staudinger, Museumskuratorin

„Das schafft erst recht Ausgrenzung“

In der Ausstellung „Chapeau! Sozialgeschichte des bedeckten Kopfes“ setzte sich die Leiterin des Jüdischen Kulturmuseums, Barbara Staudinger, mit dem Kampflatz Kopftuch auseinander.
 
Was halten Sie von dem angedachten Kopftuchverbot in Kindergärten? 
Barbara Staudinger: Ich halte von Bekleidungsvorschriften grundsätzlich sehr wenig. Der Gesetzgeber unterstellt ja, dass die Eltern die betroffenen Kinder dazu zwingen, ein Kopftuch zu tragen. Wenn man davon ausgeht, warum setzt man nicht bei den Eltern an? Die Antwort lautet, weil man schwerer an die Verursacher herankommt als an die Opfer. Da bräuchte man Geld und Sozialarbeiter. Das will man sich sparen zugunsten einer populistischen Maßnahme. 
 
Weil sie sich ausschließlich gegen ein muslimisches Symbol richtet?
Staudinger: Meines Erachtens ist ein säkularer Staat ein toleranter Staat, der entweder sagt: Jeder und jede soll tragen, was er oder sie will. Die andere Denkrichtung wird in Frankreich gelebt: Religiöse Symbole gehören nur in den privaten Raum, das gilt allerdings für alle. Aber so, wie das gehandhabt wird, ist es ein Anti-Islam-Gesetz. Wenn man sagt: Kopftuch nein, Kippa ja, wird versucht, Gesellschaft auseinanderzudividieren. 
Das Gesetz würde Ausgrenzung also nicht beenden, sondern noch verstärken?
Staudinger: Natürlich. Es ist auch nicht intendiert, dass mit diesem Gesetz die Ausgrenzung beendet wird. Wenn ich wo hingehe und man mir sagt, so wie du aussiehst, wirst du abgelehnt, dann fühlt man sich noch mehr als Außenseiter. Reagiert vielleicht sogar trotzig.
 
Was passiert mit Mädchen, die von ihren Eltern aus ein Kopftuch tragen müssen, das im Kindergarten aber nicht mehr dürfen?
Staudinger: Das ist die große Frage. Was man eigentlich tun müsste, ist sich genau anzuschauen, was ist die Situation zu Hause. Warum trägt das Mädchen schon Kopftuch? Vielleicht möchte sie es einfach der älteren Schwester nachmachen, vielleicht überreden sie aber auch die Eltern dazu. Erklärungen können vielseitig sein und es betrifft nur eine Handvoll Fälle. Da macht man kein Gesetz, sondern sieht sich den Einzelfall an.
 
Ist das Gesetz auch dazu gedacht, eine erste Hemmschwelle zu senken? 
Staudinger: Das glaube ich, ja. Meine aktuelle Ausstellung „Die Stadt ohne – Juden, Muslime, Flüchtlinge, Ausländer“ beschäftigt sich genau damit. Es gibt, glaube ich, sehr wohl Schritte, wie eine polarisierte Gesellschaft dazu kommt, bis sie eine Minderheit schließlich ausschließt. Wenn der Stein einmal ins Rollen gebracht ist, wird es leichter, andere Gesetze zu machen und noch weiter auszugrenzen. Ich halte das für gefährlich.

 

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