Digitale Lust

Wie Hightech unseren Sex verschärft

26.07.2019

Sex wird zunehmend smarter. Doch was bedeutet die ­Digitalisierung für den partnerschaftlichen Sex?

Zur Vollversion des Artikels
© Getty
Zur Vollversion des Artikels

Noch nie war Sex ohne Partner befriedigender. Insbesondere für Frauen ist das der Fall. Der aufkommende Sextech-Sektor hat sich dem Steigern der weiblichen Lust verschrieben. Firmen, zumeist gegründet von Frauen für Frauen, suchen nach dem Schlüssel zum Hyperorgasmus: mitunter durch Produkte wie einen mikrorobotischen Stimulator, einen Vibrator, der mithilfe des Handys ein Orgasmustagebuch führt oder Tutorial-Apps am Tablet, die zu freudentränentreibenden Höhepunkten verhelfen. Anatomie trifft auf Technologie, Sinnlichkeit auf Digitalität. Das hat zur Folge, dass die neuen Sextoys optisch kaum noch etwas mit ihren evolutionären Vorfahren – dem fleischfarbenen Dildo – gemein haben. Können Sie sich noch an den „Rabbit“ erinnern? Den pinken Gummiphallus, der Charlotte aus „Sex in The City“ ans Bett fesselt? Über 20 Jahre ist es her, dass es damals ein Vibrator in den Mainstream schaffte. So frisch die Referenz auch wirken mag, so sehr verdeutlicht sie auch, wie viel sich seither auf dem Markt der weiblichen Liebesdiener getan hat. Die neuen Toys sind durchdesignte Gadgets, die besser in die It-Bag als ins Nachtkästchen passen. „Sex- Toys für Frauen werden immer weniger realistisch“, sagt Toy-Bloggerin Venus O’Hara. „Die Entwicklungen in den vergangenen zehn Jahren waren unglaublich, und so wird es auch weiter gehen“, ist sie überzeugt. Die einzige Sexualpraktik, mit der die kleinen Lustmacher derzeit noch nicht mithalten können, ist der Cunnilingus. „Was man nicht ersetzen kann, ist eine Zunge“, stellt Venus O’Hara fest. Dementsprechend sieht sie das meiste Potenzial in neuen, hautähnlichen Texturen. Auf ihrem Youtube-Kanal probiert die First Lady des Toytesting und selbst ernannte Orgasmus-Botschafterin die neuesten Produkte aus und erzählt ihren Followern von den lustvollen Eindrücken. Frauen genießen den klaren Vorteil einer tabufreien Zone, während das Toy-Segment für Männer noch überschaubar ist. Doch auch hier reitet man auf der sexpositiven Welle und bastelt an schicken Alternativen. Raus aus der Schmuddelecke, rein in den Mainstream. So könnte man auch das Erfolgsprinzip des Online-Erotikhändlers „Amorelie“ beschreiben, der seine Lovetoys als Lifestyle-Produkte vermarktet. Aus dem aktuellen Sex-Report von „Amorelie“ geht hervor, dass 66 % der Frauen ein Liebeshelferlein besitzen, 36 % haben gleich vier Modelle griffbereit im Schlafzimmer. 33 % arbeiten lieber – noch ganz analog – mit den Händen zum Orgasmus vor.                   

Von 0 auf 100

Der Verkaufsschlager bei „Amorelie“ hat den klingenden ­Namen „Womanizer“ und erobert seit 2014 den Markt. Der Clou an dem Tool: Es verhilft fast kontaktlos und binnen Minuten zu einem Klitoralorgasmus. Ein deutsches Ehepaar erfand den „Womanizer“, mittlerweile haben Entwicklerteams in Berlin und Ottawa die Zügel in der Hand. „Wir sehen uns als Sex-Tech-Unternehmen und Innovationsführer. Da wir nicht darauf warten möchten, dass Erfindungen zufällig passieren, investieren wir in Innovation“, erklärt die Vorarlbergerin Johanna Rief, Kommunikationschefin bei Wow Tech, dem Hersteller der Marken „Womanizer“ und „We-Vibe“. Um Frauen zu Höhepunkten zu verhelfen, bedient man sich bei den Errungenschaften anderer Branchen: „Sex-Toys nützen immer mehr Technologien, die auch in anderen Branchen eine Rolle spielen. Die kommen immer öfter in der Sex-Toy-Industrie zum Einsatz – sei es Virtual Reality, Künstliche Intelligenz oder Apps.“ In naher Zukunft widmet man sich aber einem neuen Trend: dem Paar-Spielzeug. „Wir haben Toys, die aus der Distanz per App gesteuert werden können. Wer schon mal eine Fernbeziehung hatte, kann sich vielleicht vorstellen, wie das dabei helfen kann, Intimität trotz räumlicher Ferne aufrechtzuerhalten.“

© Womanizer

„Innovation und Sex-Tech bedeutet für uns, Technologie zielorientiert und sinnvoll einzusetzen“, so Johanna Rief von Wow Tech. Das Ergebnis sind über 2,5 Millionen verkaufte Womanizer in über 60 Ländern.

Gemeinsam statt einsam

Zweifelsohne kurbelt der Toy-Boom die Kommunikation im Bett an. Bei rund einem Drittel aller Paare sind laut Umfrage Toys ein Thema im Bett. Tendenz steigend, denn die Entwickler visieren jetzt den Markt smarter Tools für Couples an. Neben Paarvibratoren, die den Geschlechtsverkehr mit Hochfrequenz-Impulsen pushen („WeVibe Sync“ oder der Penisring „Lovely 2.0“), sind Unisex-Toys ein großer Trend in der Branche. „Spielzeuge für Frauen verabschiedet sich zunehmend von der phallischen Form, die neue Generation der Sex-Toys wird sich weniger auf das Geschlecht fokussieren“, erklärt Paolo Griffo vom Sex-Tech-Hersteller SenseMax. Das Stichwort lautet ‚Genderfluid‘: „Toys, die von jedem angewendet werden können und dazu dienen, ihren persönlichen sexuellen Ausdruck zu verstärken.“ Er sieht die Zukunft der Sex-Toys eng mit der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz verwoben: „Smarte Unisex-Toys aus flexiblen Materialien werden auf die Körpersignale reagierien und lernen, wie sie unsere erogenen Zonen besser stimulieren können.“

 


Virtual Reality

Während Frauen auf dem Toysektor eine größere Auswahl genießen, sind Männer beim Virtual-Reality-Sex noch klar im Vorteil. Die Sparte der 360-Grad-Pornos durch die Virtual-Reality-Brille boomt, doch gibt es noch wenige Anbieter für Frauen. Die Gestaltung von Erotikfilmen für ein weibliches Publikum ist um ein Vielfaches komplexer als die Pornoproduktion für Männer. „Die eigentliche Herausforderung besteht darin, Inhalte anzubieten, die den unterschiedlichen Vorlieben entsprechen.“ Feministische Pornos sind eine kleine, aber feine Nische, die sich vor allem durch Vielfalt und Fantasiereichtum auszeichnet. Die technischen Möglichkeiten eröffnen den weiblichen Konsumenten ein weites Feld, wie sie ihr blühendes Kopfkino in weitere Dimension übersetzen können. „In naher Zukunft werden wir ein völlig immersives und interaktives Virtual Reality bzw. erweiterte Realität (AR) haben, vielleicht realer als echter Geschlechtsverkehr“, so die vielversprechende Prognose von Griffo.

 


Back to basic

Die Hyperorgasmen, die uns VR-Pornos und Toys verschaffen, vermögen den partnerschaftlichen Sex zu beflügeln, gefährlich wird es aber, wenn die Liebeshelfer die eigene Lust dominiert oder bedingt. Davor warnt die Sexualtherapeutin Dr. Heike Melzer in ihrem Buch „Scharfstellung. Die neue sexuelle Revolution“(Tropen Verlag): „Wenn wir diese Superstimuli regelmäßig konsumieren, dann gewöhnen wir uns mit der Zeit an dieses hohe Reizniveau und reagieren mit der Zeit weniger empfindlich auf schwächere natürliche Reize wie Hand, Mund, Penis und Vagina des Partners. Sex ohne dem Toy wird dann oftmals als unbefriedigend erlebt und die einmal konditionierten Höhepunkte lassen sich mit einem Partner alleine nicht mehr realisieren.“ Es muss nicht immer der Hochfrequenz-Vibrator sein, auch altmodische Erotik-Requisiten können für neue Impulse sorgen: „Manchmal reichen eine Feder, etwas ­angewärmtes Massageöl oder ein paar schön hergerichtete aphrodisierende Zutaten aus, um viel gemeinsamen Spaß daraus zu generieren“, empfiehlt Dr. Melzer.                       

Analoge Liebe

Sex-Toy-Expertin Venus O’Hara schärft mit ihren Tools ihren Sinn für das Wesentliche: „Ein Sex-Toy kann einen physiologischen Sinneseindruck erzeugen, der manchmal einer menschlichen Berührung überlegen ist, doch lässt es die emotionale Komponente vermissen, die man mit einem Partner hat.“ Echten Sex will sie aber nicht mit maschineller Stimulation vergleichen, handle es sich dabei um zwei völlig verschiedene Wege, sexuelle Kräfte freizusetzen: „Manchmal, wenn man keine Lust oder keine Kraft für einen Energieaustausch mit einem Partner hat und man sich eine einfache Abkürzung zum Orgasmus wünscht, sind Toys überaus zweckmäßig.“ Es ist das Unerwartete, das nicht Programmierbare, die Leerstelle, welche die essenzielle Spannung wahrer Lust und Erotik heraufbeschwört. „Was einen Orgasmus noch intensiver macht, ist die Emotion, nicht die körperliche Reaktion.“ Wärme, der innige Kuss und die Umarmung nach dem Sex können von keiner Maschine ersetzt werden – mag sie mit noch so viel Künstlicher Intelligenz ausgestattet sein.

First Lady of Toy-Vlogging

Sex-Toy-Bloggerin Venus O’Hara

© Venus O'Hara


Über 50.000 Abonnenten zählt der Youtube-Kanal der Sex-Toy-Testerin Venus O’Hara. Bei ihren Reviews nimmt sie ihre Follower mit ins Bett und liefert authentische Toy-Urteile.



Orgasmus-Botschafterin.
Seit über 10 Jahren beschäftigt sich die Britin mit SexToys und verfolgt eine Mission: ihrem Publikum mit Tipps, Tricks und guten Tools zu besseren Orgasmen zu verhelfen. Ihr Fazit: Die Toys werden immer besser und erschwinglicher: „Was früher als Luxus galt, ist heute Standard.“ Die leistungsstarken Toys sieht sie nicht als Bedrohung für den zwischenmenschlichen Sex, vielmehr sind sie eine Bereicherung: „Was einen Orgasmus noch intensiver macht, ist die Emotion, nicht die körperliche Reaktion.“

Zur Vollversion des Artikels