Österreichs Jugend

Mehr Leseratten braucht das Land

05.01.2017

Ran an die Bücher. Österreichs Jugend schneidet bei Bildungstests in der Kategorie Lesen schlecht ab – und zwar regelmäßig. Drei Frauen, die sich beruflich mit dem Thema beschäftigen, gehen der Sache auf den Grund.

Zur Vollversion des Artikels
© Getty
Zur Vollversion des Artikels

Das muss man sich erst auf der Zunge zergehen lassen: Ein Viertel (!) unserer Schüler kann nicht sinnerfassend lesen. Österreich liegt deutlich unter dem OECD-Durchschnitt – gleich hinter Tschechien, Kroatien und Vietnam. „Inakzeptabel“, rief die empörte Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ), als wir 2016 erneut durch den PISA-Test rasselten. Am katastrophalsten schnitten unsere Schüler in der Kategorie Lesen ab. Das ist beunruhigend, aber keineswegs neu: Seit es Bildungsstandards  gibt, mussten unsere Bildungsministerinnen besonders vor der Rubrik rund um das geschriebene Wort zittern.

Komplex. Das soll sich jetzt ändern, verspricht eine zuversichtliche Hammerschmid. Allein wie, das ist die Frage. Sind doch ihre Vorgängerinnen an dieser Monsteraufgabe gescheitert. „Das liegt daran, dass Lesen einer der komplexesten Bereiche in der Bildungsforschung ist“, erklärt Claudia Schreiner, Direktorin des Bildungsforschungsinstituts Bifie.  Einfache Erklärungen gebe es hier keine.

Früh übt sich. Ein Ansatz, so Schreiner, sei frühe Leseförderung. „Studien zeigen, dass sprachliche Förderung im frühen Alter sich auch später noch positiv auf Kompetenzen auswirkt“, erklärt sie. Dazu zählt nicht nur Vorlesen, sondern auch Reimen, Singen oder Geschichtenerzählen.
Zwei Möglichkeiten macht Schreiner aus, um das zu forcieren: Eine ist, die Eltern an Bord zu holen, sie zu motivieren und ihnen Ideen zu geben. „Dar­über werden wir es aber nie ganz schaffen“, dämpft Schreiner die Hoffnungen. „Einerseits gibt es Eltern, bei denen man damit offene Türen einrennt, und dann gibt es Eltern, die man damit nie erreichen wird.“ Für Schreiner ist „das eigentliche gesellschaftliche Instrument“ daher die institutionelle Förderung: „Über Kindergärten und -krippen kann man dort kompensieren, wo man die Eltern nicht erreicht.“ Daher sei das verpflichtende Kindergartenjahr auch so wichtig.

Fantasie. Eine dieser Familien, bei denen die Bifie-Direktorin mit ihrem Ansatz der frühen Leseförderung „offene Türen“ eingerannt hätte, ist die von Valerie Fritsch. Die 27-jährige Schriftstellerin hat bereits  sieben Werke auf den Markt gebracht und lebt heute von dem, was ihr ihre Eltern schon als Kind schmackhaft machten: der Liebe zu Büchern. „Ich bin von Anfang an mit Tausenden Kinderbüchern aufgewachsen, mit den Vorlesestimmen meiner Eltern, der familiären Vertonung kleiner Welten“, schildert sie im MADONNA-Talk (s. unten). Das hat ihr Lust gemacht, auch alleine lesen zu wollen. Was es braucht, um auch andere Kids zum Lesen zu bewegen? Fritsch ist sich sicher: „Es muss wieder cool sein, aktiv mit dem Hirn zu sein. Es braucht Vorbilder, die Belesenheit, Fantasie und Wissen repräsentieren.“

Maßnahmen. Dass auch Kinder in diesen Genuss kommen, bei denen Lesen zu Hause keine große Rolle spielt, dafür will Hammerschmid sorgen: „Es wurden Lehrgänge entwickelt, um un­sere PädagogInnen speziell in der frühen sprachlichen Förderung zu schulen“, verrät die Ministerin im Interview (siehe unten). Verbesserungen durch diese Maßnahme erwartet sie bereits beim nächsten PISA-Test.

Sonja Hammerschmid, SPÖ-Bildungsministerin

© Artner

Warum schneiden wir bei PISA so schlecht beim Lesen ab?
Sonja Hammerschmid:
Die Frage ist eher: Wie können wir uns verbessern? Bereits 2008 wurde mit der sprachlichen Förderung im Kindergarten eine zentrale Maßnahme gesetzt, die allerdings die bei PISA getestete Altersgruppe noch nicht erreicht hat.  Jene Kinder, die damals im letzten Kindergartenjahr waren, kommen ab diesem Jahr in die zu testende Altersgruppe. Insofern bin ich zuversichtlich, dass die nächsten Ergebnisse Verbesserungen sichtbar machen werden.
Wie kriegen wir unsere Kids dazu, gerne und mehr zu lesen?
Hammerschmid:
Das Bildungsministerium hat viele Schritte gesetzt, z. B. wurden Lehrgänge an den Pädagogischen Hochschulen entwickelt, um unsere PädagogInnen speziell in der frühen sprachlichen Förderung zu schulen. Auch in der Ausbildung der KindergartenpädagogInnen wird ein Fokus auf die Leseförderung gesetzt. Wir müssen früh ansetzen, um Kinder die Freude am Lesen zu vermitteln. Hier sind sowohl Bildungseinrichtungen wie der Kindergarten und die Schule gefordert, aber auch das familiäre Umfeld.
Warum schneiden Mädchen in der Kategorie Lesen viel besser ab als Jungs?
Hammerschmid:
LeseforscherInnen beobachten, dass Lesen in unserer Gesellschaft immer noch mehr  als „weibliche Praxis“ wahrgenommen wird – das heißt: Es fehlen die männ­lichen Lese­vorbilder. Bei Lesestoff und Leseaufgaben muss auch mehr auf die individuellen Interessen eingegangen werden.


Valerie Fritsch, Schriftstellerin und Fotokünstlerin

© Fürtbauer

Warum lesen unsere Kinder heute nicht mehr gerne?
Valerie Fritsch:
Ob und wie man liest, halte ich für eine Frage der Fähigkeit einerseits   und der Sozialisierung andererseits. Also, wird zu Hause vorgelesen, wird man zum Lesen ermutigt, hat man positive Erfahrungen gemacht und ist der Funken der Begeisterung übergesprungen?
Wie bringt man den Jungen wieder das Lesen bei?
Fritsch:
Es muss wieder cool sein, aktiv mit dem Hirn zu sein und Bilder selber im Kopf zu produzieren, statt sie vom Bildschirm herunter zu konsumieren. Es braucht Vorbilder, die Belesenheit, Fantasie und Wissen repräsentieren und vermitteln, wie Literatur die eigene Welt positiv erweitern und unterhalten kann.
Wie und wann sind Sie selbst zum Lesen gekommen?
Fritsch
: Ich bin von Anfang an mit Tausenden Kinderbüchern aufgewachsen, mit den Vorlesestimmen meiner Eltern, der familiären Vertonung kleiner Welten, vollgestopft mit verrückten Persönlichkeiten und sprechenden Tieren, die – immer auf Krawall gebürstet – zu Abenteuern los­zogen. Jeden Tag eine andere Welt. Da konnt ich es kaum erwarten, endlich selbst in diese Universen einzutauchen und alleine lesen zu können.

Zur Vollversion des Artikels