Ist die Kirche noch zu retten?

'Ich bin wütend & traurig!'

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Missbrauchsfälle schockieren die Welt. „Wer braucht Gott?“-Autorin Barbara Stöckl im Talk über Enttäuschung, Zölibat und Hoffnung.

"Wer braucht Gott?" – diese Frage analysierte ORF-Moderatorin Barbara Stöckl (46) vor drei Jahren im tiefgründigen, offenherzigen Gespräch mit Kardinal Christoph Schönborn. Heute ist die Frage aktueller denn je, befindet sich die römisch-katholische Kirche doch nach dem Auffliegen Hunderter Missbrauchsfälle von Kindern in der verheerendsten Kirchenkrise aller Zeiten. MADONNA sprach mit Barbara Stöckl über die aktuelle Debatte, den für viele unzureichenden Hirtenbrief des Papstes, den Zölibat und darüber, ob die Kirche noch zu retten ist.

Frau Stöckl, was empfinden Sie, wenn Sie zurzeit die Berichterstattung über Hunderte Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche verfolgen?
Barbara Stöckl:
Mir geht es so wie wahrscheinlich ganz vielen Menschen: Ich bin wütend, traurig! Es ist aber gleichzeitig so wichtig, dass das Thema ins rechte Licht gerückt wird. Wir müssen wachsam und sensibel sein für jede Art von Missbrauch und Misshandlung. So schrecklich die Geschehnisse in der Kirche sind – Tatort Nummer Eins bleibt die Familie! Also, für viele Menschen gilt hier: wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein! Und Wirbel und Aufregung um der Aufregung Willen hilft auch nicht weiter. Es geht um tatsächliche Veränderung, und neben dem vollen Mitgefühl für alle Opfer kann diese Krise auch eine Chance sein.

Haben Sie mit Kardinal Christoph Schönborn schon über die Vorkommnisse gesprochen?
Stöckl:
Nein, ich habe aktuell nicht mit ihm gesprochen, aber alle Interviews, die er dazu gegeben hat, genau verfolgt. Man kann ihm ansehen, wie sehr ihn das alles bedrückt. Er weiß wohl zu gut, dass es nicht nur um individuelles Versagen und Schuld geht, sondern auch darum, Strukturen zu verändern, was in der Kirche schwer genug ist, wie die letzten Jahrhunderte ja zeigen.

Laut Umfragen überlegen über 1 Million Menschen, aus der Kirche auszutreten...
Stöckl:
Ich bin nach der Affäre Groer aus der Kirche ausgetreten. Die Auseinandersetzung mit dem Thema, aber auch viele Begegnungen mit großartigen Priestern und Ordensleuten, haben mich der Kirche wieder näher gebracht. Eigentlich hatte ich vor, wieder einzutreten. Die Kirche hat durch diese Krise viel Vertrauen verspielt, aber wir brauchen sie, davon bin ich überzeugt. Vielleicht nicht ganz in der heute gelebten Form. Werte, Nächstenliebe, karitatives Engagement, dafür steht meine Kirche eben auch. Sie hilft Menschen in Not, hetzt nicht gegen Ausländer, Schwache, Gescheiterte. Das ist heute so unendlich wichtig.

Der Hirtenbrief von Papst Benedikt XVI. sorgt abermals für viele Diskussionen – wie lautet Ihre Meinung zu seiner Stellungnahme?
Stöckl:
Ich hätte mir mutigere Worte gewünscht.

Wie würde aus Ihrer Sicht eine passende Reaktion aussehen?'
Stöckl:
Die Chance zu nutzen, jetzt einmal aufzuräumen. Es sind einzelne Personen, die hier das Wichtigste verletzt haben, was man Kindern entgegenbringen kann: Liebe und Vertrauen. Das ist unverzeihlich und muss nach den Kriterien eines Rechtsstaates auch geahndet werden. Aber es sind eben auch Strukturen, die möglicherweise ein Klima geschaffen haben, das solche Missbrauchsfälle erleichtert: Strukturen von Angst, Gehorsam, Misstrauen, einer verqueren Sexualmoral. Dafür steht die Kirche heute leider auch.

Denken Sie, dass zwischen dem Zölibat und den pädophilen Übergriffen ein Zusammenhang bestehen kann?
Stöckl:
Der Zölibat alleine kann es nicht sein, denn dann gäbe es in Familien nicht so viele Missbrauchsfälle. Aber er steht einfach auch für eine Sexualmoral, die nicht offen, ehrlich und menschlich ist. Sexualität ist ein menschliches Grundbedürfnis. Die Kirche hat es ja viele Jahrhunderte ohne Zölibat gegeben, der dann hauptsächlich aus erbrechtlichen Gründen eingeführt wurde. Ich sehe im Pflichtzölibat keinen Sinn, würde mir einen freiwilligen Zölibat in der Kirche wünschen. Aber natürlich hat es auch mit der Rolle der Frauen in der Kirche zu tun. Ich wünsche mir, dass die Stellung der Frau in der Kirche deutlich aufgewertet wird. Fängt ein Priester sich etwas mit einer Frau an, wird er aus der Kirche ausgeschlossen, fängt er sich was mit Kindern an, wurde er bisher bloß versetzt. Das zeigt doch sehr deutlich einen groben Missstand!

Ist die Kirche noch zu retten?
Stöckl:
Natürlich. Wir brauchen die Kirche, davon bin ich felsenfest überzeugt. Und viele tolle Priester engagieren sich für Erneuerung. Ob die so schnell passieren wird, da bin ich skeptisch. Aber a la longue bin ich mir sicher.

Wie würde es funktionieren?
Stöckl:
Mit mehr Offenheit, und stärkerer Betonung der positiven Seite, wie etwa die zehn Gebote. Und in der Bibel stehen verdammt kluge Sachen, übrigens nichts vom Zölibat!

Woran glauben Sie?
Stöckl:
Ich glaube an Gott, an einen liebenden Gott, der mich hält und trägt.

Wann waren Sie das letzte Mal in einer Kirche?
Stöckl:
Ich bin keine Sonntagskirchgängerin. Aber ich besuche immer wieder den Stephansdom, um innezuhalten, ein Kerzlein anzuzünden, um zu bitten und auch zu sagen: Danke lieber Gott!

Barbara Stöckl  'Wer braucht Gott?'
Barbara Stöckl mit Kardinal Christoph Schönborn erläutern die Frage 'Wer braucht Gott?'
© ecowin-Verlag

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