Lese-Spaß

Die besten Bücher für den Sommer

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Heuer wird der Sommer der kurzen Form ausgerufen: Viele dünnere Bücher sowie Kurzgeschichten- und Gedichtbände laden zum Lesen ein. Hier die besten Tipps...

Tracey Emins britische Ausschweifungen

 
 

Vorige Saison konnte man sich mit Charlotte Roche an Klobrillen beschmutzen ("Feuchtgebiete"). Dieses Jahr erzählt eine erwachsene Frau aus dem wirklichen (Sexual-)Leben: Die britische Skandalkünstlerin Tracey Emin veröffentlichte mit "Strangeland" einen aufsehenerregenden autobiografischen Band.

Als ob Mike Leigh gemeinsam mit Quentin Tarantino einen Film über das Sexualleben von jungen Frauen in der britischen Unterschicht gedreht hätte (samt Filmmusik von Peaches), erzählt Emin bitterböse und trotzdem vor trockenem Humor strotzend von ihrer schwierigen Kindheit, ausschweifenden Jugend und ihrem Weg zur international gefeierten Objektkünstlerin (allerdings ohne Fokus auf die Kunst).

Emin ließ sich jahrelang als Teenager von viel älteren Liebhabern benutzen und ging gleichzeitig selbst nicht zimperlich mit ihren Zeitgenossen um, vor allem auch in späteren Jahren. "Emin erzählt eine harte Geschichte, aber sie hat den Glauben an die Schönheit des Lebens nicht verloren", bringt der "Guardian" es auf den Punkt.

Tracey Emin: Strangeland. Blumenbar, 233 Seiten, 18,40 Euro.

Die Suche nach der Weltformel

 
 

Der Junge Gustavo Roderer lebt in einem selbst gewählten Autismus, weil er davon überzeugt ist, auserwählt zu sein, die Weltformel herauszufinden. Philosophie und experimentelle Logik sind ihm näher als Schulunterricht und Mädchen. Dramen, die sich rund um seine Person abspielen, interessieren ihn nicht.

Der international angesehene argentinische Autor Guillermo Martinez ("Der langsame Tod der Luciana B.") lässt in der mit 17-jähriger Verspätung auf Deutsch erschienenen Erzählung "Roderers Eröffnung" den einzigen Freund Gustavos über dessen Leben berichten.

Von diesem Büchlein mit ein bisschen mehr als 100 Seiten bleibt das Gefühl zurück, gerade einen fesselnden Wälzer aus den Händen gelegt zu haben, in dem es um nichts weniger als alles geht: im Großen um den Zusammenhalt der Welt durch Gesetzmäßigkeiten und im Kleinen um den permanenten Verfall als unweigerliche Begleiterscheinung des Lebens.

Guillermo Martinez: Roderers Eröffnung. Eichborn Berlin, 118 Seiten, 15,40 Euro.

Jonathan Littells "Sonntag im Sommer"

 
 

Vor drei Jahren sorgte Jonathan Littell mit seinem monumentalen Naziroman "Die Wohlgesinnten" weltweit für heftige Debatten und wurde in seiner Wahlheimat Frankreich mit dem Grand Prix der Academie francaise und dem Prix Goncourt ausgezeichnet.

Nun schlägt Littell mit "Ein Sonntag im Sommer" einen gänzlich anderen Weg ein. In vier Erzählungen arbeitet er vor allem seinen jahrelangen Einsatz bei Hilfsorganisationen in Tschetschenien und Bosnien auf.

In treibendem Rhythmus erzählt er vom Leben einer internationalen Hilfselite, die gelernt hat, von Granaten nur noch genervt zu sein und Liebesbeziehungen mit dem Flugplan in der Hand zu koordinieren. Für die kraftstrotzende, niemals wehleidige Prosa Littells gilt Ähnliches wie bei Guillermo Martinez: nur 79 Seiten - aber die setzen sich nachhaltig fest.

Jonathan Littell: Ein Sonntag im Sommer. Matthes und Seitz, 79 Seiten, 15,30 Seiten.

Böse Sprachspiele

 
 

Nach dem großartigen "Terminifera" und dem durchwachsen aufgenommenen "Magma" legte Österreichs wohl talentiertester Sprachkünstler der jüngeren Generation, Michael Stavaric, mit "Böse Spiele" einen feinsinnigen Episodenroman vor.

Er lässt die Boboprotagonisten im Beziehungsvieleck klischeehafte Aussagen über Mann-Frau-Beziehungen zu Tode kalauern, bis nichts mehr davon übrig bleibt.

Wer Stavaric kennt, weiß: Man muss es nur fließen lassen, sich zunächst auf die Sprache einlassen. Der Zusammenhang ergibt sich dann von selbst. Anspielungsreichtum quer durch die Kulturgeschichte und Gesellschaftspolitik sowie Lyrik (nicht verspielte, sondern zupackende) lassen einen ohnehin nicht los.

Michael Stavaric: Böse Spiele. C. H. Beck, 155 Seiten, 17,40 Euro.

Psychedelischer Proust des Plattenbaus

 
 

Der 53-jährige rumänische Autor Mircea Cartarescu wurde im deutschen Sprachraum erst spät mit der Übersetzung von "Die Wissenden" (2007, Zsolnay), dem ersten Teil seiner Orbitor-Trilogie, bekannt. Der "Spiegel" adelte ihn daraufhin zum "Proust des Plattenbaus".

Cartarescu entwirft zwar ähnliche Bilder und bedient sich eines ähnlichen Duktus wie Proust (oder James Joyce), gleichzeitig aber erzählt er konkreter entlang von Handlungslinien. Nun ist bei Suhrkamp sein viel gepriesenes Prosadebüt "Nostalgia" auf Deutsch erschienen.

In den Erzählungen beschreibt Cartaresu sein Bukarest der Nachkriegs-, 60er und 70er Jahre. Fantastische, grundsätzlich aber in der Realität der Stadt verhaftete Storys, wie jene vom organisierten russischen Roulette in Katakomben unter der Stadt, sind von zwingender Intensität. Die "Frankfurter Rundschau" spricht jetzt vom "psychodelischen Proust".

Mircea Cartarescu: Nostalgia. Suhrkamp, 415 Seiten, 25,50 Euro.

Lauter Lyriker, die sich selbst erklären

 
 

Seit einigen Jahren lautet der Tenor in den Feuilletons: Die Lyrik jüngerer Autoren wird wieder interessant - und die behandelten Themen relevanter. Vor allem jenen Lesern, die sich trotz grundsätzlichen Interesses bis jetzt wenig mit Gedichten aus jüngerer Zeit befasst haben, sei die Gedichtsammlung "Laute Verse" empfohlen.

Herausgeber Thomas Geiger sammelte darin nicht nur aufregende Gedichte von Autoren wie Marcel Beyer, Silke Scheuermann und Bachmannpreisträger Lutz Seiler und versuchte damit einen Querschnitt der momentanen Lyrik. Der Mehrwert entsteht vor allem daraus, dass jeder der Autoren eines seiner Gedichte in einem kurzen Essay erläutert.

Das ist nicht nur für Experten, sondern vor allem auch für Leser interessant, die neugierig sind, was da jetzt "wirklich" gemeint ist. Dabei zeigt sich: So manches kunstvolle, vernebelte Sprachgebilde hat einen realen, oft auch banalen Hintergrund. Und die Gedichte "rocken" (haben oft viel mit Songtexten gemeinsam). Sie sind ganz in der Gegenwart verhaftet.

Thomas Geiger (Hrsg.): Laute Verse. dtv, 360 Seiten, 15,40 Euro.

Was davor geschah

 
 

An der Hand genommen wird man auch von Peter von Matt in der Gedichtsammlung "Wörterleuchten. Kleine Deutungen deutscher Gedichte". Der renommierte (aber niemals drög-akademische) Literaturwissenschaftler spannt den Bogen historisch von Johannn Wolfgang von Goethe und Joseph Eichendorff über Bertolt Brecht und Kurt Schwitters bis zu aktuellen Lyrikern wie Durs Grünbein.

Zu jedem Gedicht weiß Von Matt eine Geschichte zu erzählen, die meist die Biografie des Autors und historische Gegebenheiten miteinschließt, aber nie ausufert. Mit diesem Band relativiert sich der Kitsch bei nur scheinbar kitschigen Gedichten genauso wie die Verstaubtheit nur scheinbar verstaubter Verse.

Peter von Matt: Wörterleuchten. Kleine Deutungen deutscher Gedichte. Hanser, 220 Seiten, 18,40 Euro.

Kleinzeug für unterwegs
Books to go: zehn 50-Seiter, etwa von Charles Bukowski, T. C. Boyle, Arno Geiger und Henning Mankell im Hosentaschenformat.

 
 

Gerade im Urlaub weiß man nie, wann sich plötzlich eine Gelegenheit zum Lesen auftut (in der Warteschlange etc.). Ideal ist da die neue dtv-Reihe

Ebenfalls bei dtv sind drei dünne, kleine, von Anton G. Leitner hervorragend editierte Gedichtbände erschienen, die man sich trotz der (gewöhnungsbedürftigen) Lebenshilfebuchaufmachung zulegen sollte.

Die Bände heißen "smile", "power" und "relax" und vereinen entsprechende Gedichte von Joachim Ringelnatz über Robert Gernhardt bis hin zum bereits erwähnten Marcel Beyer. Viele der Texte möchte man gleich seinen Mitreisenden vorlesen.

Anton G. Leitner: smile, power und relax. dtv, ca. 50-60 Seiten, jeweils 5,10 Euro.

Gesundheitsfaschismus

 
 

Juli Zeh hat einen Science-Fiction-Roman über den Gesundheitsfaschismus der Zukunft geschrieben.

Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ist dazu ein besonders schönes Lob eingefallen: "Juli Zeh verfügt über den Scharfsinn und die Belesenheit, um ihre Einsprüche gegen den Zeitgeist so zu verfassen, dass sie nicht verlegen machen, sondern Wucht entfalten."

Juli Zeh: Corpus Delicti. Schöffling, 264 Seiten, 20,50 Euro.

Handke im Kosovo

 
 

Eine Woche hat Peter Handke in der kosovoserbischen Enklave Velica Hoca verbracht. Eindringlich schildert er einzelne Momente des Austauschs mit den Menschen. Gespenstische Szenerien werden beschrieben. Handke widmet sich seinem Lieblingsthema.

Peter Handke: Die Kuckucke von Velica Hoca. Eine Nachschrift. Suhrkamp, 99 Seiten, 16,30 Euro.

Saramagos persönliche Anekdoten

 
 

Ein kleines Büchlein von Nobelpreisträger Jose Saramago, wie schon der Titel sagt. Saramago erzählt über seine Kindheit und Jugend, anekdotenhaft und doch ernst angesichts der bitteren Armut seiner jungen Jahre.

Jose Saramago: Kleine Erinnerungen. Rowohlt, 159 Seiten, 17,40 Euro.

Kubins Science-Fiction-Klassiker

 
 

Eine Neuauflage von Alfred Kubins dystopischer Science-Fiction-Klassiker "Die andere Seite" ist im Hause Suhrkamp mit 51 Originalzeichnungen des Autors erschienen.

Ein Multimillionär hat in Asien ein Traumreich geschaffen, das einen Zeichner anlockt. Doch die scheinbare Idylle entwickelt sich zu einem Horrorszenario. Das Reich geht in einer Apokalypse unter.

Alfred Kubin: Die andere Seite. Suhrkamp, 308 Seiten, 25,70 Euro.

Gefeiertes Romandebüt

 
 

Von Kritikern hymnisch gefeiert wurde das Romandebüt der 30-jährigen Vorarlbergerin Verene Roßbacher. In "Verlangen nach Drachen" folgt sie den abservierten Liebhabern der geheimnissvollen Klara.

Schauplatz ist das Lokal Neugröschl. So entsteht ein Obskurantenkabinett an Personal, wobei Roßbacher den erzählerischen Faden nicht aus den Augen veliert.

Verena Roßbacher: Verlangen nach Drachen. Kiepenheuer und Witsch, 442 Seiten, 19,95 Euro.

Vorsicht bei Glattauer

 
 

Die "Zeit" berichtet über ein neues Buch des Niederländers Peter Drehmanns, "Immer nur begraben". Ein intellektueller Snob nörgelt sich da offenbar durchs Leben und durch Europa:

"Verachtenswertere Beschäftigungen als Damenlektüre konsumieren und am Strand brutzeln kennt er nicht: Seine schwangere Freundin, die im Urlaub am liebsten am Strand liegt und Isabel Allende liest, hat der aufrechte Feind des Mittelschichtsvergnügens deshalb verlassen."

 

 
 

In diesem Sinne: Heuer muss man aufpassen, durch die Strandlektüre von Daniel Glattauers Liebesromanen "Gut gegen Nordwind" und dem neuen "Alle sieben Wellen" nicht die Beziehung zu gefährden. Wobei sich die unterhaltsamen Nicht-mehr-nur-E-Mail-Geschichten hervorragend für den Liegestuhl eignen. Da kommt man auch nach drei Cocktails in der prallen Sonne noch mit.

Peter Drehmanns: Immer nur begraben. Luchterhand, 367 Seiten, 10,30 Euro.

Daniel Glattauer: Gut gegen Nordwind. Goldmann, 224 Seiten, 8,20 Euro (Taschenbuch).

Daniel Glattauer: Alle sieben Wellen. Deuticke, 224 Seiten, 18,40 Euro.

Empfehlungen aus zweiter Hand

 
 

Viel Begeisterung löste in den Feuilletons Sibylle Lewitscharoffs bulgarisches Roadmovie "Apostoloff" aus (und wurde mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet). Zwei Schwestern reisen durch Bulgarien und rechnen "rabenschwarz und erzkomisch" mit ihrem Vater ab.

Sibylle Lewitscharoff: Apostoloff. Suhrkamp, 248 Seiten, 20,40 Euro.

Perlentaucher).

 
 

Mit Sympathie wurde auch John Updikes letztes Werk vor seinem Tod, "Die Witwen von Eastwick" aufgenommen - die späte Fortsetzung des erfolgreich verfilmten "Die Hexen von Eastwick". Die "Neue Zürcher Zeitung" schreibt vom "letzten Augenzwinkern" eines großen, das Leben liebenden Erzählers (via

John Updike: Die Witwen von Eastwick. Rowohlt, 416 Seiten, 20,50 Euro.


(via Perlentaucher)

 
 

Opulent und episch wie meistens erzählt Salman Rushdie ein Märchen, dass im 16. Jahrhundert spielt. Ein Reisender aus Europa kommt zum Hof eines Moguln-Kaisers in Indien und behauptet, dessen Onkel zu sein. Es entspannt sich eine Geschichte rund um einen mysteriöse Florentinerin; ein schöner Urlaubsschinken wohl, wenn auch laut Rezensenten etwas ausufernd.

Salman Rushdie: Die bezaubernde Florentinerin. Rowohlt, 440 Seiten, 20,50 Euro.

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