Spätes Tagebuch

Buchtipp 'Spätes Tagesbuch'

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Erika Pluhar im Interview über ihr neues Buch und die Auseinandersetzung mit Alter, Verlust und Sehnsucht.

Wer genau und zwischen den Zeilen liest, bekommt jede Menge Erika Pluhar, wenngleich die Autorin sich von der Hauptdarstellerin ihres Romans in Tagebuchform klar distanziert. „Ich habe dieser Frau – Paulina Neblo –, die das Tagebuch schreibt, eine vollkommen andere Geschichte gegeben.“ Doch die biografischen Ingredienzien zwischen Paulina Neblo und Erika Pluhar in ihrem neuen Werk „Spätes Tagebuch“ sind doch immer wieder von verblüffender Symmetrie. So schreibt sich die 70-jährige Paulina Neblo nach dem Tod ihrer Tochter mit dem Tagebuch und der Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart ins Leben zurück. „Ich schreibe mich jeden Tag ins Leben zurück“, erklärt Pluhar, deren geliebte Tochter Anna 1999 starb. Seit den 80er Jahren führt Pluhar Tagebuch.

Annäherung
Warum sie nun auch für ihren neuen Text die wohl intimste aller literarischen Formen gewählt hat und warum es ihr eine „Notwendigkeit“ war, dieses Buch zu schreiben, verrät Erika Pluhar nun erstmals im Interview mit MADONNA.

INTERVIEW

Sie selbst schreiben seit vielen Jahren Tagebuch, haben für Ihren neuen Roman eben diese Form gewählt. Warum?
Erika Pluhar: Es hat wohl auch mit dem Tod von Angela Praesent (sie starb 2009 an Krebs, Anmerkung) zu tun, der ich das Buch widme. Sie war Lektorin all meiner Bücher und gute Freundin. Das erste Buch, das ich veröffentlicht habe, war eines aus meinen ganz privaten Tagebüchern. Sie hat damals so delikat daraus ausgewählt, dass ich kaum einen Einwand geben musste. An Angela und an dieses Buch 1980 habe ich denken müssen. Außerdem war es mir eine Notwendigkeit, authentisch über das Alter zu schreiben. Da schien mir die Tagebuchform stilistisch gemäß zu sein.

Sie geben im „Späten Tagebuch“ viel von sich preis.
Pluhar:
Was ich freiwillig gebe, ist kein Preisgeben. Preisgeben tut man sich, wenn es einem abgezwackt wird in einer – Entschuldigung – besch... Society-Sendung.

Trotzdem ist der Grat zwischen Persönlichem und Fiktion in diesem Buch sehr schmal.
Pluhar:
Persönlich sind alle Empfindungen, die mit dem Altsein zu tun haben.

Auch Paulinas Tochter stirbt …
Pluhar:
Ich habe mir gestattet, den Tod einer Tochter auch dieser Frau zuzumuten, um eine wirkliche Verlustschmerzlichkeit zu beschreiben.

Schreiben als Therapie?
Pluhar:
Das Wort Therapie beim Schreiben mag ich überhaupt nicht. Vor allem nicht bei dem, was man veröffentlicht. Aber das Schreiben hat eine klärende Funktion.

Paulina hat zwei große, diametrale Sehnsüchte: die nach Einsamkeit und die nach Nähe.
Pluhar:
In dieser Polarität leben wir ja, wenn wir vernunftbegabt sind. Wenn wir aufrichtig leben, müssen wir diese Polarität auch annehmen. Denn die Nähe wird nie wie das Happy End einer Soap, sondern ist immer etwas Zeitweiliges. Die Basis unseres Lebens ist: Einsam sein anzunehmen.

Im Buch spielt der Tanz eine große Rolle. Tanzen Sie gerne?
Pluhar:
Wenn ich sehr betrübt bin, dann tanze ich vor mich hin. Ich gehe natürlich nicht in die Disco, sondern mache das allein in einem Umfeld, wo es nicht peinlich wird. Der Tanz ist ein Lebensmotiv. Trotz all der bedrückenden Sachen, die man zum Altwerden für sich herausfiltern muss, bin ich ein Mensch, der immer wieder versucht, zu tanzen und sich zu freuen. Trotz aller Schmerzen. Paulina beginnt mit einer vereinsamten Gegenwart. Da wollte ich sie rausholen und ermutigen, sich dem Leben zu stellen. Das ist der Inhalt des Buches. Immer wieder lebendig zu werden!

Sie schreiben: „Ich verstehe rückblickend nicht mehr, dass der jeweilige heiß geliebte Mann die Liebe zu meinem Kind überschatten konnte.“
Pluhar:
Schreibt Paulina! So sind wir doch, wir Frauen – da kann ich wohl verallgemeinernd reden –, dass wir uns in jüngeren Jahren diesen Liebesquerelen viel zu sehr widmen. Ich würde nachträglich sagen, da hätte auch ich einiges „cooler“ handhaben sollen. Aber Schuldgefühle gilt es zu bewältigen, sie bringen uns nicht weiter.

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