Am Rand der Gesellschaft

Obdachlos in Zeiten von Corona

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Zu Hause bleiben – nur wie, wenn man keines hat? Suchthilfe-Geschäftsführerin Sonja Grabenhofer gibt Einblicke in eine Welt, vor der viele gern die Augen verschließen.

Bei allem Ärger über die Einschränkungen der letzten Wochen, wie auch dem weiteren Alltag in Zeiten einer Pandemie, sollte nicht auf die Menschen vergessen werden, die sich nicht einfach so in ihre vier Wände zurückziehen können. Wie schützen sich diese Menschen, die oftmals selber der sogenannten Risikogruppe angehören, selbst, wie auch ihr Umfeld? Wie führen sie ihren Alltag, der oft mit Suchtdruck einhergeht?
Im Talk spricht Suchthilfe-Geschäftsführerin Sonja Grabenhofer über die Herausforderungen von sozialer Arbeit, die aktuell besonders komplex sind.

Wie sieht die Arbeit mit Suchtkranken und Obdachlosen in Zeiten von Corona aus?
Sonja Grabenhofer:
Die aktuelle Situation erfordert eine große Flexibilität aller KollegInnen. Wie viele andere Unternehmen mussten wir blitzschnell auf die neue Situation reagieren, umplanen und unsere MitarbeiterInnen dort einsetzen, wo sie gerade gebraucht werden. Es braucht jetzt auch viel Durchhaltevermögen: Unsere KollegInnen arbeiten weiterhin unter neuen Arbeitsbedingungen und sind weiterhin 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche da, um suchtkranke und obdachlose Menschen zu unterstützen. Was ich aber jetzt schon sagen kann, ist, dass wir eine unglaubliche Solidarität und Einsatzbereitschaft in unseren Teams erleben, und das berührt mich sehr.


Wie nehmen Menschen, die kein Zuhause haben, die Corona-Krise wahr? Gibt es ­Geschichten, die Sie erzählen können?
Grabenhofer:
Für obdachlose Menschen ist die aktuelle Krise besonders schwierig, denn selbst simple Hygieneanweisungen, wie regelmäßiges Händewaschen, ist für diese Menschen schwierig. Auch die Aufforderung zur Isolation ist kaum möglich, wenn man auf Notschlafstellen und Essensausgabestellen angewiesen ist. Auch bei diesen Menschen leiden viele an Vorerkrankungen. Gefährlich ist dabei, dass aus Angst vor Stigmatisierung oder Scham notwendige medizinische Hilfe oft nicht rechtzeitig aufgesucht wird. Gerade für diese Menschen ist es wichtig, dass wir soziale Angebote weiterhin gewährleisten, um Schutz und Überleben zu sichern.


Wie kann man als Durchschnittsbürgerin reagieren, wenn man jemanden sieht, der offensichtlich Hilfe bräuchte?
Grabenhofer
: Wenn man jemanden auf der Straße sieht, dem es offensichtlich gesundheitlich schlecht geht und man sich um den gesundheitlichen Zustand sorgt, kann man immer die Rettung rufen. Wenn man sich sozial engagieren möchte oder spenden kann, leistet man auch einen wichtigen Beitrag, um zu helfen. In vielen Bezirken Wiens gibt es beispielsweise bereits Initiativen, die obdachlose Menschen unterstützen, indem sie Hygieneartikel, Essen oder Kleidung zur Verfügung stellen. Aber wenn ich an den Alltag von suchtkranken oder obdachlosen Menschen denke, sind es auch oft kleine Gesten, die wichtig sind und die jeder von uns machen kann: Ein freundlicher Blick oder ein nettes Grüßen, wenn man sich im öffentlichen Raum begegnet – das ist enorm wichtig, um diesem Gefühl, „ausgegrenzt“ oder „unerwünscht“ zu sein, entgegenzuwirken.

Sonja Grabenhofer
© Alex-Gotter

Sonja Grabenhofer ist GF der Suchthilfe Wien, die Menschen in prekärer Lage unterstützt.
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