Über Cyber-Mobbing

Natascha Kampusch im MADONNA-Talk

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Nach zwei Bestsellern und langer Medienabstinenz bringt Natascha Kampusch ihr drittes Buch heraus. In MADONNA spricht die 31-Jährige über ihren Kampf gegen „Cyberneider“, ihr neues Leben und Vertrauen – in sich und in andere.  

Es ist ein Phänomen wie die Diskriminierung im Netz an sich: Zu Natascha Kampusch hat eigentlich jeder eine Meinung. Dass die heute 31-Jährige als Opfer eines abscheulichen Verbrechens derart polarisiert, verwundert. Acht Jahre Gefangenschaft in Wolfgang Priklopils Haus, ihre Flucht 2006, ihr Schritt an die Öffentlichkeit, ihr Umgang mit ihrem Schicksal ... all das wurde und wird stets kommentiert.
Den regelrechten Hass, der der jungen Frau in den letzten 13 Jahren ihrer – vermeintlichen – Freiheit entgegengebracht wurde, verarbeitete Kampusch nun in einem Buch – ihr drittes Werk, in dem sie beschreibt, warum sie sich so lange zurückzog und wie sie mit Hatern heute umgeht. Und im großen MADONNA-Interview zeigt sie sich fröhlicher und offener denn je zuvor. 

Ihr neues Buch heißt „Cyberneider“ – wie kam es dazu, dass Sie sich nun diesem ­Thema gewidmet haben?
Natascha Kampusch: Ich war eines der ersten Cyber-Mobbing-Opfer in unserem Land beziehungsweise in unserem Sprachkulturkreis, in dem die Leute einfach unter die Artikel geschrieben haben, was sie wollten und davor schon in den Foren. Es gab sogar eigene Facebook-Gruppen unter Titeln wie „Geh wieder zurück in den Keller“ … Das war sehr schmerzhaft und zunächst der Auslöser, mich zurückzuziehen – dann aber mich mit dem Thema auseinanderzusetzen und dieses Buch zu schreiben. Weil mir bei Nutzung der diversen Medien immer mehr aufgefallen ist, wie gemein auch über andere Leute geschrieben wurde, und das ist mir sehr zu Herzen gegangen. 
 
Wie haben Sie damals auf die vielen Hater im Netz reagiert? Haben Sie versucht, sie zu ignorieren?
Kampusch: Ja, ich habe es ignoriert. Teilweise habe ich auch versucht, zu klagen, manchmal habe ich sie auch blockieren beziehungsweise sperren lassen. Und dann kam die Zeit, in der ich nicht mehr rausgegangen bin, weil so komisch über mich berichtet wurde – das war mir nicht unbedingt zuträglich, weder meiner Gesundheit noch meinem Leben. 
 
Woran, glauben Sie, hat es gelegen, dass sich die Meinung oder die Stimmung Ihnen gegenüber plötzlich so wandelte? 
Kampusch: Ich denke, das ist einfach diese Ausstrahlung, die Stärke, die Tatsache, dass man nicht nachgibt. Es ist wohl auch das Äußere. Man erwartet von meinem Äußeren etwas anderes, und wenn eine Widerrede kommt und so eine Stärke entgegengebracht wird, dann verunsichert das die Leute mehr, als wenn ich den Klischees entsprechen würde. 

Dem Klischee des Opfers meinen Sie?
Kampusch: Ganz genau. 
 
Warum haben Sie trotzdem diese Stärke weiterhin repräsentiert und sich nicht anders gegeben, wie es vielleicht viele getan hätten?
Kampusch: Das wäre doch verlogen, oder? Sich so darzustellen, wie man gar nicht ist. Es wäre einfach nicht meinem Naturell entsprechend.
 
Wie haben Sie sich aus dem Cyber-Mobbing, das Ihnen widerfahren ist, befreien können? Konnten Sie das überhaupt?
Kampusch: Es gibt immer so Wellen. Einmal sind die Leute ärger – und dann gibt es natürlich auch Leute, die so ein bisschen zu einem halten, aber meistens hilft nur, ­eine Zeit lang gar nicht präsent zu sein. 

Nun wagen Sie sich aber doch wieder in die Öffentlichkeit – mit einem neuen Buch. Haben Sie auch ein wenig Angst vor den neuerlichen Reaktionen?
Kampusch: Ein bisschen. Man weiß ja nicht, Ihre Kollegen schlafen ja nicht. Ihnen fällt sicher etwas Gemeines ein ... (denkt nach). Ich fände das aber unfair, weil ich schließlich auch schon ein nächstes Buch plane – und dann würde ich Ihre Kollegen von anderen Medien auch gerne einladen und nicht böse auf die sein. Wenn Sie eingeladen werden wollen zur nächsten Buchpräsentation, dann schreiben Sie besser nichts Böses. (lacht) 
 
 
Sehen Sie die Medien denn auch als Feinde? 
 
Kampusch: Man muss einfach wissen, mit wem man sich zusammentut, dann sind das schon Freunde, weil es ja etwas Positives ist, wenn über meine Bücher berichtet wird.  Genauso wie die sozialen Medien Freund und Feind sein können. Wenn man sich etwa Teenager anschaut in ihrem Verhalten mit sozialen Medien: Sie geben oft Informationen preis und setzen sich damit einer Gefahr aus. Aber gleichzeitig kann man sich natürlich auch mit anderen Leuten in seinem Alter austauschen – und das ist was Positives. Etwa die „Fridays for Future“-Bewegung. Das ist ja eine tolle Sache. Aber man muss eben aufpassen – das versuche ich auch, mit meinem Buch zu vermitteln. 

Hat Ihnen das Internet auch geholfen, neue Kontakte zu knüpfen, vielleicht sogar Freunde zu finden?
Kampusch: Um Kontakte zu knüpfen, war es nicht unbedingt geeignet, weil die meisten Leute mich mit sehr indiskreten Fragen konfrontiert haben – das ist auch jetzt noch so. Es gab Leute, die ihre Doktor­arbeit über meine Geschichte schreiben wollten, irgendwelche Leute, die Psychologie studiert haben, die haben mich dann drei, vier Mal über Facebook probiert zu erreichen – zuerst unter einem Freundschaftsvorwand. Es tut mir dann auch ein bisschen leid, wenn ich absage, aber ich kann einfach nicht für jedes einzelne Referat und eine Doktorarbeit seltsame Fragen beantworten. Das würde mich verletzen, aufwühlen, das geht nicht.
 
Natascha Kampusch
© Kernmayer
Die Autorin schreibt darin über Diskriminierung im Internet, die ihr auch selbst widerfahren ist. Sie beschreibt, wie sie lernte, mit ungerechtfertigter Kritik, untergriffigen Kommentaren und grenzenlos ­respektlosen Fragen umzugehen. Werbung, Sexismus & Rassismus im Netz nimmt Kampusch ebenso unter die Lupe  wie die Rolle von Medien und Politik. Und sie analysiert die Rechtslage bei Cybermobbing. Berührend und informativ zugleich. "Cyberneider" Dachbuch Verlag (um 20, 60 Euro).

Haben Sie ein Beispiel für diese „seltsamen“ Fragen? 
Kampusch: Letztens habe ich über Insta­gram eine Frage bekommen: „Mein Freund und ich sitzen gerade vor dem Fernseher  und wir haben uns gefragt, wie du das mit der Menstruation gelöst hast damals?“ Das ist doch in dem Kontext eine seltsame Frage, oder? Vor allem diese Einleitung … Also ich sitze nie auf dem Sofa und frage mich so etwas. (lacht) Ich gehe ja schon offen mit meiner Geschichte um, aber eben im Rahmen. Ich will kein Opfer sein, aber trotzdem bin ich ein Mensch. Und wenn ich jetzt mit einem Buch herauskomme, bin ich vor allem Autorin. 

Sie wirken heute noch weit stärker und auch losgelöster als früher – gab es einen speziellen Zeitpunkt, der für Sie befreiend war? 
Kampusch: Ich denke, nachdem diese komischen zweiten Ermittlungen dann abgeschlossen waren. Das war schon belastend, mehrere Stunden lang in so einem Verhörraum beim Staatsanwalt zu sitzen. Das war nicht unbedingt meine Idee vom Leben. 
 
Wie ist denn heute Ihre Idee vom Leben und Ihr Leben an sich? 
Kampusch: Optimistisch, wie ich eben selbst auch bin. Ich finde es nett, angenehm. Ich recherchiere viel für neue Bücher, bin aber auch viel in der Natur. Und ich gehe regelmäßig reiten. 
 
Haben Sie ein eigenes Pferd?
Kampusch: Ja, eine schon ältere Stute. Sie ist sehr lieb. Ich bin mehrmals die Woche bei ihr. Ich mag diese Ruhe bei der Arbeit mit den Pferden. Ich liebe Tiere ganz allgemein. Sie gehen auf einen ganz anders zu als Menschen. Unvoreingenommen, bedingungslos.
 
Mit Ihrem Buch wollen Sie Betroffenen helfen – setzen Sie sich auch sonst für andere ein, denen Schlimmes widerfahren ist? 
Kampusch: Ich habe es immer wieder probiert, aber das wurde dann oft belächelt oder ins Lächerliche gezogen von den Medien. Es ist auch schwer, anderen zu helfen. Es gibt viele Leute, denen man eine Psychotherapie empfehlen würde, die das aber nicht wollen. Man kann diesen Leuten dann irgendwie nie helfen. Das ist tragisch. Ich bin davon überzeugt, wenn man zum richtigen Therapeuten geht, hilft einem das.

Ihnen hat das wohl auch geholfen ...
Kampusch: Ja, ich habe selbst auch eine Therapie in Anspruch genommen – und ich habe immer sehr darauf geachtet, zu wem ich gegangen bin.

Sind Sie auch heute noch in Therapie?
Kampusch: Ja, immer wieder. Auch als dieses Cybermobbing hinzukam und ich mit den Medienberichten nicht so klarkam. Ich brauchte jemanden, der mir dabei hilft, all das in ein richtiges Licht zu rücken. 

Es gibt bestimmt auch viele einsame Momente in Ihrem Leben, oder?
Kampusch: Ja, aber da muss ich nicht in Therapie! Flirten ist das beste Mittel (lacht), aber mehr wollen wir da jetzt nicht drauf eingehen. 
 
Würden Sie eine Beziehung niemals öffentlich machen?
Kampusch: Kommt immer darauf an, wer es ist und wie es ist … Weil oft wollen die Leute das auch nicht. 
 
Angst vor Reaktionen auf ein neues Glück? 
Kampusch: Genau. 
 
Traurig eigentlich …
Kampusch: Ja. Ich weiß nicht ... es ist auch ein bisschen feig, aber es ist die Entscheidung dieser Leute. 

Haben Sie es im Nachhinein betrachtet oft bereut, je an die Öffentlichkeit mit Ihrer Geschichte gegangen zu sein?
Kampusch: Nein, das habe ich nicht bereut, weil ich bin damals ja auch ein bisschen dazu genötigt worden. Auch dieses „einen neuen Namen annehmen“ – na, Pustekuchen! Hätte ich das gemacht, hätte ich bei null anfangen müssen, ohne Ausbildung und hätte dann ein Leben vortäuschen müssen, also ein Vorleben, das es nie gab. Was hätte ich denn den Leuten erzählt? Außerdem war es ja eine Selbstbefreiung und nichts, was eines Zeugenschutzprogramms bedarf. Ich habe ja nichts verbrochen und brauche nach einem Gefängnisaufenthalt eine neue Identität. 

Zurück zu Ihrem Buch – Sie nennen es Cyberneider. Wieso Neider – wer könnte denn auf Sie neidisch sein?
Kampusch: Das habe ich mich auch immer gefragt, aber es ist oft Neid, der diesen Hass steuert. Wenn man etwa an all die Influencer denkt – keiner sagt offen: „Wow, ich hätte auch gerne so viele Follower wie du.“ Sondern die meisten sagen: „Deine Haare sind schirch …“ und: „Wer braucht dich überhaupt?“ Dabei ist die Arbeit der Blogger und Youtuber ja immens anstrengend, wenn man das wirklich seriös betreibt. Und so ähnlich ist es bei mir: Viele glauben, dass das alles so lustig ist und dass ich ständig über die Champs-Élysées spaziere und nur Spaß habe. 
 
Gibt es jemanden, den Sie beneiden – oder zumindest ein großes Vorbild?
Kampusch: Das ist wirklich eigenartig, aber je mehr man an sich selbst arbeitet – und ich habe immer schon an mir gearbeitet –, desto weniger Vorbilder habe ich. Es ist wirklich so. 

Woran haben Sie in Bezug auf sich selbst konkret gearbeitet bzw. arbeiten Sie noch? 
Kampusch: Ich hab jetzt lange daran gearbeitet, wieder offener auf Menschen zuzugehen. Nachdem, wie die Menschen mir begegnet sind, war das ein Wunder, dass das geklappt hat. Das hat aber nun gut funktioniert – also auch die Menschen so anzunehmen, wie sie sind. Ich habe sie vorher auch angenommen, aber es hat mich halt nicht so glücklich gemacht. Woran arbeite ich jetzt noch? An Selbstzufriedenheit und Glück, und ich bin jetzt immer noch auf der Suche nach der wahren Essenz, nach dem, was Menschen wirklich ausmacht. 

Wie schwer ist es für Sie, Freunde zu finden, jemandem echtes Vertrauen zu schenken? 
Kampusch: Es ist schwierig, aber das Wichtigste ist, nicht nach dem Alter oder nach dem Aussehen zu gehen, dann findet man die besten Leute. Die sind dann vielleicht fünf oder sieben Jahre jünger oder älter, aber das ist egal. 

Welche Ziele und Träume haben Sie?
Kampusch: Zum Ziel mache ich mir, noch mehr, noch viele Bücher zu schreiben. Vielleicht auch noch ein Studium zu machen ... Mein Traum wäre, dass sich unsere Welt zum Positiven verändert, solange ich lebe. Was danach kommt, ist mir zwar nicht egal, aber das kann ich dann nicht mehr beeinflussen.
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