Alte Geschlechterrollen am Vormarsch

Instagram: Was ist los mit den Teenagern?

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Eine neue Studie zeigt: Weibliche Teenager inszenieren sich in sozialen Medien wie  Hausfrauen der 50er- Jahre. Ein alarmierender Trend oder systemimmanente Normalität? 

Veraltete Rollenbilder dominieren die neuen Medien. Mehrere kürzlich veröffentlichte repräsentative Studien der MaLisa-Stiftung von Maria Furtwängler und ihrer Tochter Elisabeth bestätigen die reaktionäre Welteinstellung der jungen Frauen von heute. Bereits 2017 hatte die Stiftung mit einer Studie darauf hingewiesen, dass Frauen in Film und Fernsehen unterrepräsentiert sind. Das vernichtende Ergebnis: Männer tauchen mehr als doppelt so oft in Hauptrollen auf wie Frauen. Und wenn es Protagonistinnen gibt, dann meist im Rahmen von Be­ziehungen und Partnerschaft. Fernsehen sei damit ein Relikt seiner Zeit, hieß es. Im Internet, wo junge Menschen ihre Inhalte selbst produzieren könnten, wäre alles anders.  Doch die aktuellen Ergebnisse weisen auf wenig bis kaum Ver­änderung hin. Obwohl die Onlineplattformen jeder und jedem neue Chancen böten, sich darzustellen, ­seien Frauen in den 100 beliebtesten Musikvideos, den 100 beliebtesten Youtube-Kanälen und unter den Top 100 der Insta­gram-Profile in Deutschland nur halb so oft vertreten wie Männer, heißt es. Vor allem böten Männer auf Social Media nicht nur ein größeres thematisches Spektrum von Entertainment bis zur Politik – sie inszenieren sich auch eher draußen in der Welt, in einem „professionellen“ Umfeld. Frauen hingegen beschränkten sich lieber auf die Sphäre des Heimischen. Und nicht nur das: Klickt man sich durch die You­tube-Accounts der Influencerinnen, sind die meisten vom Geist der heiligen Lifestyle-Dreifaltigkeit erfüllt: Modetrends, Schminktipps und Fitness-Ratschläge.
 
Im Zuge der Studie wurden 300 Instagram-Posts untersucht und verglichen und Youtuberinnen interviewt. Die meisten Accounts und Bilder zeigen vornehmlich dünne Frauen mit langen Haaren im privaten Umfeld. Auch die Farbe Rosa ist prominent vertreten. Erschreckend, wie Maria Furtwängler findet. Sie fasste das Ergebnis im Berliner RBB-Kulturradio zusammen: „Man muss sich fragen, was mit den Strukturen nicht stimmt. Ich habe das Gefühl, dass vermehrt das Frauen­bild der Fünfzigerjahre gefördert wird.“
 
Kein Ausweg aus der Spirale
Dabei scheint das Problem systembedingt. Die befragten Frauen beklagen etwa, dass es für sie schwieriger sei, einen abwechslungsreichen Inhalt zu bieten, da Mode und Beauty das sei, was der Zuschauer wünsche. „Je plakativer das Klischee, umso eher wird es geklickt. Wenn du einem gewissen Schönheitsideal entsprichst oder einer gewissen Erwartung, verdienst du natürlich besseres Geld“, so eine der interviewten Influencerinnen. Würden sie versuchen in z. B. Politik oder Comedy vorzudringen, würden ihnen die Zuschauer abhanden kommen oder mit negativen Kommentaren kontern, heißt es in weiteren Antworten.
 
Das Bild, das die jungen Frauen auf ihren Instagram-Accounts zeigen, ist eindrücklich: 21 Prozent der Befragten gaben zu, ihre Brüste auf den Bildern zu bearbeiten, jeweils 19 Prozent schummeln ihre Hüften und Taillen schlanker. Gesicht, Beine, Po – alles wird bearbeitet, um einem gewissen Schönheitsideal zu entsprechen. Die Studie zeigt, dass Mädchen, die bestimmten Influencerinnen folgen, ihre Bilder stärker bearbeiten und größeren Druck verspüren, schlank zu sein. Analysiert wurden unter anderem die Follower von Topmodel Heidi Klum oder Influencerin DagiBee, die auf ihren Kanälen Schminktipps gibt. Frauen, die Heidi Klum folgen, ten­dieren eher dazu, ihre Zähne weißer zu schummeln als diejenigen, die dem Topmodel nicht folgen. Alle befragten weiblichen Follower der jungen Youtuberin Dagi geben an, ihre Haut auf Bildern zu optimieren. Sie empfinden ihr natürliches Aussehen zunehmend als unzureichend.

Selbstbild Fremdbild. Ähnlich aufsehenerregend präsentieren sich auch die Ergebnisse eines Projekts des Mode- und Porträtfotografen Rankin. Für „Selfie Harm“ schoss er von 15 Jugendlichen natürliche Porträtbilder, auf denen die Teenager kaum geschminkt waren. Danach sollten sie ihr Bild dem Glauben nach bearbeiten, möglichst viele Likes zu bekommen. Dafür sollten sie eine der Dutzenden Gratis-Foto-Apps ihrer Wahl benutzen. Innerhalb weniger Minuten modifizierten die Jugendlichen ihr Aussehen völlig. Rankin nannte das Ergebnis augenöffnend und sogar furchteinflößend. „Mehr als ­jemals zuvor versuchen Menschen, ihre Idole nachzuahmen. Sie machen ihre Augen größer, die Nase schmäler, die Haut heller – alles nur für Social-Media-Likes“, sagt der Fotograf. Snapchat und Co. würden unsere Wahrnehmung verzerren, die hemmungslose Jagd auf digitale Anerkennung die Menschen ängstlicher und trauriger machen.
 
Kopie einer Kopie einer Kopie. In Sachen Instagram-Fotoposen gibt es laut der Ma-Lisa-Studie ähnlich bedenkliche Gemeinsamkeiten. Möchte man auf der Plattform erfolgreich sein, muss man sich folgende Tricks merken: Wer „locker, stark und doch sexy“ wirken will, muss das Bein zur Seite ausstellen. „Das liebenswürdige Mädchen“ sollte das Bein zufällig überkreuzen. Dann wären da noch: der angewinkelte Arm und die Hand wie beiläufig im Haar; der attraktiv in S-Form gebogene Körper und der vermeintlich zufällige Blick über die Schulter. Lisa Furtwängler sieht die Studienergebnisse kritisch: „Wir stehen vor einer Reihe von Fragen, auf die wir als Feministinnen zunächst keine Antwort haben.“ Warum die erfolgreichsten Akteurinnen in den neuen sozialen Medien ausgerechnet jene mit den rückwärtsgewandt erscheinenden Geschlechterrollen sind und wie man eine größere Vielfalt an Inhalt sichtbar machen kann, seien nun die Themen, welche die Stiftung in Angriff nehmen wolle. „Das geht uns alle an, und darüber müssen wir disku­tieren“, sagt sie abschließend. Das Fazit ist ernüchternd: Trotz ihrer Möglichkeiten ist die Internet-Welt nicht fortschrittlicher als die reale. Der einzige Punkt, in dem soziale Medien progressiver sind als die klas­sischen, sei der in Sachen Diversität: Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund ist zumindest auf Youtube deutlich höher als in anderen Medien wie zum Beispiel dem guten alten Fernsehen.  
 
Fotomanipulation  
Laut dem Fotoprojekt „Selfie Harm“ sind Selfies heute das Gegenteil davon, was Selbstporträts eigentlich sein sollen. Wie stark Jugendliche ein Foto von sich selbst bearbeiten, bevor sie es auf ihren Social-Media-Kanälen teilen, zeigt Top-Fotograf Rankin in seinem Projekt „Selfie Harm“. Hierfür schoss er 15 natürliche Porträts von Jugendlichen, die sie nachher nach eigenem Ermessen mithilfe der gängigen Handy-Apps modifizieren sollten.
 
 
Das Ergebnis nennt er „furchteinflößend“. Mithilfe leicht verfügbarer Apps verfälschen Nutzer regelmäßig ihr Aussehen. „Das grenzt an eine psychische Erkrankung“, so Rankin. 
 
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