Susan Boyle: "Aschenputtel" erklimmt den Pop-Thron

30.12.2009

Das Märchen über den Aufstieg vom Niemand zum Weltstar ist wahr geworden. "Es ist so ein bisschen wie die Geschichte vom Aschenputtel", sagt das schottische Gesangstalent Susan Boyle (48) über sich selbst. In vier Wochen verkaufte sich ihr erstes Album "I Dreamed A Dream", das kein einziges eigenes Lied enthält, mehr als 6,2 Millionen Mal und ist damit die weltweit erfolgreichste Platte 2009.

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Die Verpackung ist in der Musikbranche in diesem Jahrzehnt zum wichtigsten Element geworden. Boyles Verpackung heißt Aschenputtel. Ihre Version geht so: Es war einmal eine Hausfrau, die Gutes für die Gesellschaft als Ehrenamtliche in der Kirche leistete. "Subo" liebt es zu singen, am liebsten für ihre Katze "Pebbles". Von den Menschen in ihrem Umfeld fühlte sich die warmherzige Frau Zeit ihres Lebens stets unterdrückt. Doch im vergangenen Jänner, da kam der derzeitige britische Plattenkönig Simon Cowell in ihre Heimatstadt. Der Juror der Fernsehshow "Britain's Got Talent" verliebte sich in die Stimme der ungezähmten, aber scheuen Frau und zog ihr den Schuh an, der sie seither auf die Bretter führt, die die Welt bedeuten.

Seit dem Fernsehauftritt bricht Boyle Weltrekorde. Millionen sind angesichts ihres Äußeren von der Stimme, der Aufmerksamkeit oder den Verkaufszahlen verblüfft - nur nicht sie selbst: "Eine Frau, die mit wilden Haaren, buschigen Augenbrauen und dem Kleid, das ich trug, auftritt, muss einfach bemerkt werden", sagt sie selbstreflektierend. Da scheint der ebenso überraschende Erfolg des vorherigen Talentshowsiegers Paul Potts, übergewichtig und mit schiefen Zähnen, fast schon normal. Boyle nennt ihn "außergewöhnlich, ein Vorbild".

Die hohe Verkaufszahl ihres Debütalbums ist in einer Zeit, in der illegale Downloads zum Alltag gehören, erstaunlich, wird jedoch erst richtig deutlich beim Vergleich mit dem kommerziellen Maß aller Einzelkünstler in der Popmusik: Michael Jackson (1958-2009). Seine sechste und erfolgreichste Platte "Thriller" verzeichnete in ihrer Hochzeit weltweit bis zu eine Million Verkäufe pro Woche. Boyles Debütalbum liegt momentan im Schnitt bei 1,55 Millionen Stück.

Das Aschenputtel des 21. Jahrhunderts startet etwa in dem Alter durch, in dem Jacksons Leben endete. Doch gegensätzlicher können die Märchenwelten beider Musiker nicht sein: Neverland Ranch gegen Blackburn, ein Dorf vor den Toren Edinburghs. Wie die dortige Burg ist Boyles Leben abgeschirmt. Interviews gibt sie laut ihrer Agentin nur noch nach Zustimmung ihrer Berater gegen Geld. Ein fünfstelliger Pfund-Betrag wird laut Branchenkreisen für jede Fernsehminute fällig. Der Schwarzmarkt für Fanartikel - Boxershorts, Statuetten, Babystrampler - verursachte bisher allein im Internet Einnahmeausfälle von schätzungsweise sechs Millionen Euro.

Der Marktwert des modernen "Aschenputtels" ist nach weniger als einem Jahr auf der Bühne enorm, denn ihre Fangemeinde ist riesig. Ihr Auftritt in der Talentshow ist das meist gesehene Video des Jahres auf dem Clip-Portal YouTube mit 120 Millionen Klicks. Zu den prominenten Fans zählt US-Präsident Barack Obama.

Laut US-Rapper Snoop Dogg trifft Boyles einmalige Verpackung in der Musikbranche den Zeitgeist. "Man muss anders sein und sich von anderen zur richtigen Zeit unterscheiden", sagte der 38-Jährige in einem Interview. "Das Timing muss einwandfrei sein, manchmal hat man darauf keinen Einfluss." Sein Kollege 50 Cent findet die Schottin "so geil", sagte er dem "Daily Mirror", er würde sie am liebsten auf eine Clubtour mitnehmen. Auf seinem nächsten Lied sei Boyle zu hören.

Und was sagt die auffällig stille Boyle über ihren musikalischen Riesenerfolg? "Es ist eine ungewöhnliche Geschichte", meint die Schottin in einem Interview, das ihre PR-Berater bearbeiteten. Boyle ist nach eigener Aussage als Schülerin verhaltensauffällig gewesen. Sie habe Schläge von "verständnislosen Lehrern" bekommen. "Ich brauche einfach ein klein wenig mehr Zeit, um Sachen zu verstehen als andere. In einem System, in dem alle Zeichen auf Sturm stehen, wird man da zurückgelassen." Ihre Familie habe sie davon abgehalten, in einem keltisch-gestreiften Fußballtrikot im Fernsehen aufzutreten.

"Subo" ist das jüngste von neun Kindern. Ihren Eltern habe sie versprochen, etwas mit ihrer Stimme zu machen - nur deshalb singe sie. "Der Traum meines Vaters, Sänger zu werden, wird durch mich wahr; er wäre stolz gewesen." Ihr Vater starb vor zehn Jahren, ihre Mutter vor zwei Jahren. "Sie, von der ich so abhängig war, plötzlich nicht mehr an meiner Seite zu haben, war eine Lebensumstellung. Ich musste lernen, Dinge für mich selbst zu machen." Aus dem behüteten Familiennest traute sich Boyle kaum raus. Sie habe Schwierigkeiten gehabt, Freundschaften zu schließen. "Ich habe mit Leuten versucht zu reden, aber die haben sich lustig über mich gemacht. Ich fühlte mich häufig ins Abseits abgeschoben." Das Singen ganz alleine sei ihre Schutzinsel gewesen; eine emotionale Befreiung für ihre "leichte Behinderung", die sie nicht genauer benannte.

Die Mezzosopranistin bewies den vielen jungen Musikstars, dass auch alte Eisen noch Feuer haben. In den weltweiten Albumcharts lieferte sie sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit einem Star der Jugend. Die 23 Jahre alte Lady Gaga verkaufte mit ihrem aufreizenden Auftreten und 80er-Sound mehr als 5,8 Millionen Mal ihre Platte "The Fame". Der Verkauf wurde jedoch mit einer Neuveröffentlichung im Herbst angekurbelt. Die doppelt so alte Schottin überholte die US-Sängerin spielend in nur vier Verkaufswochen.

INFO: http://www.susanboyle.de

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