Little Alien

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In ihrem Alter schließt man gerade die Schule ab, macht eine Berufsausbildung, hat den ersten Partner, geht mit Freunden aus. Die Protagonisten von Nina Kusturicas Dokumentation "Little Alien", die im März bei der Grazer Diagonale uraufgeführt wurde, haben ebensolche Sehnsüchte, aber ihre ersten Erfahrungen in ganz anderen Bereichen gemacht.

Sie kennen die Straßen und Häfen von Spanien, Griechenland und Marokko, die man als mit Geld und Papieren ausgestatteter "Alien" nicht aufsuchen würde. Sie wissen, wie man untertaucht, sich ohne Hilfe durchschlägt und sind dennoch nicht hart und cool - ein Bericht von "Alien"-Schicksalen an Europas Grenzen, mitten in Wien, Linz und Traiskirchen.

Zwei Jahre haben Kusturica - sie selbst kam als Flüchtling aus Mostar im Zuge des Bosnienkrieges nach Österreich - und ihr Team an der Dokumentation gearbeitet. Es sind beklemmende, unkommentierte Bilder, wenn man sieht, wie junge Menschen in Parks oder in Abbruchhäusern hausen, und ein kleiner selbstgekochter Kaffee die Welt ist. Wenn sich die Polizei an den Grenzen offenbar in einer Grauzone bewegt und nach den Aussagen der Flüchtlinge schnell mit Knüppel und Fäusten zur Hand ist.

Nur nachts und tagsüber bei klarem Wetter sehen die jungen Menschen von der spanischen Exklave Ceuta aus das ersehnte Ziel Europas vor Augen: die Lichter von Algeciras am spanischen Festland und den Felsen von Gibraltar. Genauer sieht man besser nicht hin - an manchen Küstenabschnitten liegen angetriebene Schwimmwesten. Eindringlich eine der Eingangsszenen: Ein slowakischer Polizist beobachtet an der Wärmebildkamera, wie Flüchtlinge die Schengengrenze zu überqueren versuchen - ohne zu wissen, dass sie gleich einer Patrouille direkt in die Arme laufen werden.

Devolutionsantrag, VfGH, subsidiärer Schutz, weiße Karte, erstauszustellender Bescheid, Paragraf 8 - welcher Österreicher könnte mit diesen Begriffen viel anfangen? Die jugendlichen Flüchtlinge - Afghanen, somalische Mädchen - sind im Gespräch mit Anwälten, Helfern von NGO und den Asylbehörden mit den Regulativen Europas überfordert. Sie wissen nur, dass sie bleiben und eine Ausbildung machen möchten. Das interessiert aber kaum jemanden. Kusturica lässt die Jugendlichen ihrer Landessprache sprechen, die Monologe und Dialoge kommen so direkt aus dem Herzen, sind nur mit Untertiteln versehen. Einer erklärt seinem neuangekommenen Freund im Lager Traiskirchen den Ablauf der Aufenthaltsverfahren anhand eines Diagramms. Bei VfGH (Verfassungsgerichtshof) stockt er und überlegt: "Das heißt flüchten, weglaufen...".

Ein einziges Mal entspannen sich die Burschen vor der Kamera: Als sie einen betreuten Ausflug in die österreichische Hochgebirgswelt machen und es in den Tälern grün und auf den Bergen hochalpin verschneit ist. Beim Runterblicken geraten die Gedanken und Gefühle der jungen Menschen wieder einmal ins Trudeln: "Schau, jetzt haben uns die Taliban so weit rauf gejagt", sagt einer, bevor sie dann doch die Situation ohne Druck, Polizei und Warten auf den Asylbescheid in sich aufnehmen können und sie im Schnee herumtollen - wie ganz normale Jugendliche.

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