Berlin '36

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Man würde diese Geschichte für erfunden halten, wäre sie nicht wirklich passiert: Vor den Olympischen Spielen 1936 in Berlin drohen die Amerikaner mit Boykott, sollten die Nazis keine Juden in der deutschen Mannschaft starten lassen. Die damals beste deutsche Hochspringerin, Gretel Bergmann, wird daraufhin ins Trainingslager eingeladen.

Doch das Ganze ist ein Täuschungsmanöver. Kaum hat das Schiff mit der US-Mannschaft New York verlassen, wird die 25-Jährige auf perfide Weise ausgebootet. "Sie werden auf Grund der in letzter Zeit gezeigten Leistungen wohl selbst nicht mit einer Aufstellung gerechnet haben", heißt es in einem Brief vom Deutschen Reichsbund für Leibesübungen. Besonders perfide: Um der Jüdin keine Chance zu lassen, hatten die Nazis in "Dora" Ratjen eine Rivalin nominiert, die in Wirklichkeit ein Mann war.

Regisseur Kaspar Heidelbach hat das Drama mit Karoline Herfurth als Gretel Bergmann und Sebastian Urzendowsky als ihre Rivalin "Marie" Ketteler auf die Kino-Leinwand gebracht. "Berlin 36" ist ein Film, der unter die Haut geht, weil Herfurth all den Hass und die unbändige Wut, die in Gretel Bergmann brodelten, fühlbar macht. Weil er glaubhaft von Stolz erzählt und der Fähigkeit zu vergeben. Das größte Lob kam von der heute 95-jährigen Margaret Bergmann-Lambert, selbst: "Mir gefällt der Film", sagte sie nach einer Privat-Vorführung in New York. "Ich hoffe, dass er zeigt, dass so etwas nie, nie mehr passieren darf."

Gretel Bergmann kommt am Ende auch bei Kaspar Heidelbach zu Wort - und da wird aus dem Drama, das ihr sogar eine Romanze mit dem Mann in Frauenkleidern andichtet, plötzlich ein Dokumentarfilm "Ich wusste es eigentlich von Anfang an, dass sie mich nicht starten lassen. Aber ich wollte es ihnen zeigen", erzählte die Frau der dpa. Nächtelang hat sie ein Alptraum gequält. "Was tue ich, wenn ich gewinne? Ich kann nicht aufs Podium und die Hand zum Hitler-Gruß heben. Unmöglich." Dass sie eine Medaille gewonnen hätte, davon ist sie heute noch überzeugt.

In der Realität hat Gretel Bergmann erst viel später die Bestätigung für das bekommen, was für viele offensichtlich war: Ihre Kontrahentin war ein Mann. Heute empfindet sie Mitgefühl für Heinz Ratjen: "Er tat mir leid. Ich habe versucht, mit ihm wieder Kontakt aufzunehmen. Aber er hat mir nie geantwortet." Der Mann, der früher "Dora" war, hatte sich völlig zurückgezogen. Auch seine Geschichte ist tragisch. Er wurde bei seiner Geburt von der Hebamme als Tochter eingetragen und musste fortan Mädchenkleider tragen. Da er sehr feingliedrig war, fiel das lange Zeit nicht auf. Erst als er den Hochsprung-Weltrekord 1938 auf damals unglaubliche 1,70 Meter verbesserte, provozierte er seine Entdeckung. Vom Amtsgericht Verden wurde er 1939 zum Mann erklärt. Im April 2008 ist er in Bremen gestorben.

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