Jessica Hausner im Gespräch: "Wunder als Metapher"

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Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner hat allen Grund zur Freude. Bei der offiziellen Premiere von "Lourdes", ihrem Wettbewerbsbeitrag bei den Filmfestspielen in Venedig, gab es Standing Ovations und der Film gilt als heimlicher Anwärter auf einen Goldenen Löwen. Mit der APA sprach die Regisseurin über Wunderbares und Wundersames rund um den Film.

APA: Der Film spielt in einem sehr eingeschlossenen katholischen Milieu. Wie kriegt man diese gekonnte Verbindung hin, die Figuren zu parodieren, aber trotzdem ernst zu nehmen?

Hausner: Das ist genau die Haltung, die der Film einnimmt. Ich glaube, es hätte mir keinen Spaß gemacht, mich einfach nur lustig zu machen, aber andererseits macht es mir Spaß, die Ambivalenz einer Person zu erzählen, also dass jemand nicht nur böse oder nicht nur integer ist. Und daraus entsteht auch eine gewisse Komik, dass man spürt - durchaus mit einem liebevollen Blick - dass Leute auch ihre Schwächen haben und dass diese absoluten Ansprüche, wie man sie auch an Gott stellt, weder Gott noch die Menschen erfüllen können.

APA: Hatten Sie das Gefühl, dass Sie aufpassen mussten: Was kann ich zeigen, wie weit kann ich gehen?

Hausner: Eigentlich nicht. Wenn ich an einen Film herangehe, ist es eher umgekehrt: Ich habe zuerst eine Grundidee und fange an, Recherchen zu machen. Und dann hängt es davon ab, ob ich den richtigen Zugang finde. Als ich die ersten Recherchereisen nach Lourdes gemacht habe, war ich am Anfang eher abgetörnt, weil ich es sehr tragisch fand. Die ganzen Kranken, die hoffen, dass alles wieder gut wird - ich fand das eher obszön und war abgeschreckt. Und dann hab ich von dieser Pilgerreise des Malteserordens erfahren und bin dort mitgefahren - und das war dann wieder ganz anders. Das hat den ironischen Aspekt dazugebracht, weil der Orden eine hierarchisch strukturierte Organisation ist für Leute, die meistens aus gutem Haus kommen und einmal im Jahr, quasi um ihr Gewissen zu erleichtern, für eine Woche karitative Arbeit leisten. Das war eigentlich der Schlüssel für die Geschichte.

APA: Ihr Ausgangspunkt war, einen Film zum Begriff des "Wunders" zu machen. Stand Lourdes von Anfang an fest oder gab es auch andere Ideen?

Hausner: Es gab zunächst andere Ideen und auch verschiedene Möglichkeiten, die Geschichte zu erzählen. An Lourdes hat mir dann eben dieser realistische Aspekt gefallen - dass das eben wirklich der Ort ist, an dem behauptet wird: Hier geschehen Wunder, ganz echt. Das fand ich lustig. Ich sehe den Film ja als Parabel und das Wunder als Metapher für den Wunsch glücklich zu sein. Deswegen fand ich es dann für mich lustig, dass es einen Ort gibt, an dem behauptet wird: Hier geschehen aber wirklich Wunder. Das ist auch Teil der Ironie in der Geschichte.

APA: Sie haben vermutlich unzählige Gespräche mit den Leuten vor Ort geführt. Kommt man der Idee des Wunders irgendwann näher?

Hausner: Ja, doch. Die interessanten Treffen waren zum Beispiel mit dem Chefarzt vor Ort, der die angeblichen Wunderheilungen untersucht und archiviert. Tatsächlich schauen täglich Leute hin, die sagen: Mein Ekzem ist plötzlich weg oder mein Ellbogen hat so geschmerzt und jetzt geht es ihm wieder gut. Da lächelt er dann nett und sagt: Schön für Sie, auf Wiedersehen. Aber dann gibt es hie und da auch Fälle, die ungewöhnlicher sind. Ich glaube, bisher gibt es 66 offiziell anerkannte Wunderheilungen. Und er hat gemeint, diese Fälle sind dann interessant, weil man anerkennen muss, dass die Medizin keine genaue Wissenschaft ist. Und dass er diese Fälle nicht erklären kann und man sie vielleicht nie erklären wird können. Das ist aber noch kein Wunder, solche Spontanheilungen gibt es auch außerhalb des katholischen Weltbildes. Aber hier kommt dann die Kirche dazu und prüft, ob man auch tauglich ist als Wundergeheilter. Das hat dann damit zu tun, ob er eine Erleuchtung gehabt hat oder Gott gehört hat oder jetzt ein guter Mensch sein will. Wenn beides zusammenkommt, dann kann es sein, dass es offiziell als Wunder anerkannt wird.

APA: Die Dreharbeiten müssen sehr viele Vorarbeiten benötigt haben, vor allem wenn man sich zum Teil die Menschenmassen ansieht und die genaue Arbeit mit Kamera und Licht. Wie stellt man sich geplant aufs Ungeplante ein?

Hausner: Ja, wir sind uns vorgekommen wie eine Spezialtruppe, teilweise so richtig geheimdienstartig. Wir haben uns diese Messen vorher öfter angeschaut, um zu wissen, wie genau der Ablauf ist. Und ich habe ja für den ganzen Film ein Storyboard gezeichnet. Wenn ich das mache, lasse ich - zum Unmut unseres Kameramannes Martin Gschlacht - immer völlig außer Acht, welche Orte das sein werden, sondern gehe nur davon aus: Wen möchte ich sehen aus welcher Perspektive wie nahe? Und Martin muss dann versuchen, die Kamera an den richtigen Ort zu bringen. Bei der Kirche haben wir das auch so gemacht: Wenn mehrere Aufnahmen waren, haben wir Komparsen platziert. Weiter vorne war ein Areal reserviert für uns. Aber die anderen 20.000 Menschen waren echt. Sylvie (Anm. Testud, die Hauptdarstellerin) hatte einen kleinen Knopf im Ohr - und ich habe ihr dann über Walkie-Talkie gesagt, sie soll jetzt nach rechts oder nach links schauen oder gähnen. Wir haben das zwei Mal in der leeren Kirche geprobt und dann bei zwei, drei Messen die Aufnahmen gemacht. Es war eigentlich wie ein Pfadfinderunternehmen.

APA: Wie eng war die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen vor Ort?

Hausner: Die Zusammenarbeit war sehr eng und musste auch so sein. Ich wollte ja zum Beispiel, dass der Priester, der mit dem Allerheiligsten durchgeht, einmal stehenbleibt, nicht vor Sylvie, sondern vor einer anderen Person. Das heißt, der musste mitspielen. Das war ein Kardinal aus Los Angeles, den habe ich vorher dann getroffen - und das musste natürlich der Offizielle von Lourdes einleiten, den kann ich nicht einfach ansprechen. Und der fand das auch interessant und hat uns sehr geholfen, was aber natürlich nur ging, weil das offiziell genehmigt war.

APA: Haben die Verantwortlichen den Film schon gesehen?

Hausner: Nein, ich glaube, dass die zum französischen Kinostart im Dezember kommen werden. Die waren aber sehr vertrauensvoll und haben schon verstanden, dass das jetzt kein Werbefilm über Lourdes, sondern schon ambivalent wird. Aber ich glaube, dass es filmisch für sie sehr okay sein wird. Ich wollte letztlich auch nicht Lourdes denunzieren, sondern nutzte Lourdes eher als Bühne, auf der eine allgemeinere Geschichte stattfindet.

APA: Wie war es eigentlich, auf Französisch zu drehen?

Hausner: Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich versuche immer beim Drehen, auch eine Distanz zu meiner eigenen Geschichte herzustellen, also quasi - auch wenn das nicht wirklich möglich ist - ein Zuschauerauge darauf zu werfen. Bei diesem Film war es sogar hilfreich, auf Französisch zu drehen, weil ich mir so auch wie eine Schauspielerin vorgekommen bin und so eine angenehme Distanz wahren konnte.

APA: Die Reaktionen in Venedig waren ja äußerst positiv. Wie geht es Ihnen denn jetzt, wie sind die Erwartungen?

Hausner: Dadurch, dass ich jetzt so oft in Lourdes war, weiß ich, wie vorsichtig man mit Erwartungen sein muss - sonst geht nur alles schief am Ende. Deswegen erwarte ich mir jetzt auch nicht allzu viel, sondern freue mich einfach nur total. Ich habe jetzt so lange an dem Film gearbeitet und hab mir auch immer wieder gedacht, das wird vielleicht gar niemanden interessieren. Aber jetzt bin sehr erfreut, dass er so gut angekommen ist - das ist wirklich ein beglückendes Gefühl.

(Das Gespräch führte Daniel Ebner/APA)

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