Seeland versorgt Europa mit Meeresfrüchten

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Wenn Danny de Voogd übers Kochen plaudert, kann er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. "Auch wir kochen gelegentlich mit Wasser", sagt der Wirt des Hafenrestaurants "de Branding" in Yerseke. "Aber meist geht es völlig ohne." Kein Wunder, denn nichts wird in den Gaststätten des Hafenortes in der Provinz Seeland so häufig bestellt wie Muscheln.

De Voogd gart sie vorzugsweise mit Sellerie, Zwiebeln, Porree, Dill und weißem Pfeffer. "Für uns ist die Miesmuschel das, was für Dublin das Guinness ist", sagt der Wirt. "Direkt an der Quelle schmecken beide am besten." Doch den Beinamen "Mosselendorp van Europa" hat Yerseke weniger wegen der Gourmet-Touristen, die sich die schwarzgrauen Meeresfrüchte hier besonders in der Muschelsaison von Juli bis Ende April schmecken lassen. Ein gutes Drittel der 6.500 Einwohner lebt vom Muschel-Geschäft. Neben Austern gehen von Yerseke aus jedes Jahr rund 100.000 Tonnen Miesmuscheln in alle Welt.

Erstmals im Jahr 966 in einer Urkunde von Kaiser Otto I. als Gersika erwähnt, blieb der Flecken jahrhundertelang ein Bauerndorf mit kaum mehr als 500 Menschen. In einem Poldergebiet, das wie viele andere in der niederländischen Provinz Seeland dem Meer durch Deiche abgerungen wurde, lebten die Bewohner zunächst eher von Schafzucht und Ackerbau als von der Fischerei.

Das änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im benachbarten Belgien wuchs der Wohlstand. Märkte und Restaurants in Antwerpen und Brüssel boten hohe Preise für frische Muscheln und Austern. "Die sauberen und vergleichsweise warmen Gewässer der Oosterschelde boten beste Bedingungen für die Aufzucht", erzählt die Aquakultur-Expertin Annelies Pronker von Roem van Yerseke, einem örtlichen Fischerei-Großbetrieb.

Lange bevor die 80 Kutter eine Muschelfracht im heimatlichen Königin-Juliana-Hafen abliefern können, müssen die Züchter Muschellarven auf Parzellen in eigens dafür zugelassenen Gebieten des Wattenmeeres "ausgesät" haben. Nach zwei bis drei Monaten bilden sich aus der Saat Schalen sowie Fäden, die zu einem Mattengeflecht werden und sich am Meeresboden festsetzen. Darauf wachsen die Muschelbabys heran. Sobald sie "Halbstarke" sind, werden die Matten auf nährstoffreichere Parzellen in der Oosterschelde umgesetzt.

Dieses Mündungsdelta von Rhein, Maas und Schelde ist seit 2002 auch der größte Nationalpark der Niederlande. Eine von Deichen sowie seit 1986 vom imposanten Oosterschelde-Sturmflutwehr geschützte Wasserwelt, die größteils unter dem Meeresspiegel liegt. Eine Urlaubsregion mit weiten Horizonten, kilometerlangen Stränden und endlosen Fahrradwegen. Hier gibt es Seehunde ebenso wie Schweinswale, die kleinste Delfinart. Der Reichtum an Pflanzen und Vögeln ist enorm.

Auch für den Laien sind die Muschelkulturen leicht an aus dem Wasser ragenden Stöcken zu erkennen. Nach drei Jahren sind die Meeresfrüchte erntereif. Bevor Großhändler in Yerseke bei der einzigen Muschelauktion der Welt ihre Gebote abgeben, prüfen unabhängige Experten die Qualität der Schalentiere. Sie werden vermessen, gewogen und klassifiziert. Wichtig ist das Verhältnis zwischen Schalen- und Fleischgewicht. Je höher der Fleischanteil - er kann nahezu 40 Prozent erreichen - desto höher der Preis.

Sobald er feststeht, kommen die Muscheln in ihr Schönheitsbad: In abgesteckten Parzellen vor Yerseke befreien sie sich durch natürliche Filtration vom Sand. Verpackt in Jutesäcken gelangen sie mit Kühltransportern zu den Muschelliebhabern Europas.

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