Wildtierforschung hat Nutzen für die Medizin

Teilen

Nicht nur die Labortiere wie Maus und Ratte sind in der biomedizinischen Forschung wichtig - auch das Studium der Wildtiere kann durchaus zu wesentlichen Erkenntnissen führen, die für die Humanmedizin von Interesse sind. Auf das Potenzial der Wildtiere als aussagekräftige Biomodelle aber auch als Informationsquelle für die Evolutionsbiologie sowie den Laboralltag verwiesen Experten am 14. September bei einem Pressegespräch anlässlich der noch bis 15. September dauernden Tagung der deutsch-österreichischen Gesellschaft für Versuchstierkunde (GV-Solas) mit rund 600 Teilnehmern in Wien.

Vom Wurm bis zum Elefanten - jedes Tier könne ein Versuchstier für die Forschung darstellen, es müsse nicht unbedingt ein Labortier sein. Der Vorteil: Sei das "klassische Versuchstier" etwa durch Domestikation, Zucht oder gentechnisch verändert worden, so "ist das bei den Wildtieren eher eine Ausnahme", so Walter Arnold, Leiter des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien (VUW). Das Studium der Wildtiere böte sich vor allem an, "wenn es um artenspezifische Fragen" sowie "den wirkungsvollen Artenschutz" geht.

Doch es kann auch zu wesentlichen Erkenntnissen für die Medizin kommen: Erfolgt die Beobachtung der Wildtiere heute großteils über Telemetrie-Sender und einer Ortung der Tiere über Satellit, so können mit Hilfe der Hightech-Geräte auch sehr genau der Herzschlag, die Körpertemperatur sowie die Aktivität der Tiere studiert werden - und zwar "über die Distanz und über lange Zeiträume", so Arnold.

Damit kann etwa auch die Anpassung der wildlebenden Versuchstiere an die Jahreszeiten beobachtet werden, der "bis hin zu zellphysiologischen Veränderungen geht", so Arnold. Ein prominentes Beispiel: So seien die Winterschläfer der Tierwelt auch bei niedrigen Temperaturen noch funktionstüchtig. Studien von VUW-Forschern haben etwa den Einfluss essenzieller, mehrfach ungesättigter Fettsäuren auf den Winterschlaf bei Murmeltieren gezeigt.

Diese Grundlagenforschung habe "Nebenerkenntnisse" für die Humanmedizin abgeworfen. Denn auch beim Menschen seien Prozesse der saisonalen Anpassungen, "wenn auch wesentlich abgeschwächter", vorhanden. Saisonale Phänomene in der Humanmedizin sind dabei etwa Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Depressionen. "Daher kann experimentelle Forschung an Wildtieren wichtig sein für medizinische Forschung, nicht nur, indem bessere Modelle für bestimmte Fragen gefunden werden, sondern auch, indem neue und vielversprechende Forschungsrichtungen aufgezeigt werden", so Arnold. Die Versuchstierforschung sei eine "Basiswissenschaft der biologisch-medizinischen Forschung", unterstrich Reinhart Kluge, Präsident der GV-Solas.

Erkenntnisse über die Haltung von Labortieren

Aus den Beobachtungen, die die Wildtierforschung mittels Telemetrie gewinnt, können auch Erkenntnisse über die Haltung von Labortieren abfallen: Das Studium des Wildkaninchens habe etwa auch zu "größeren und längeren" Käfigen für Kaninchen im Labor geführt, so Gero Hilken, stellvertretender Präsident der GV-Solas. Den Nutzen für die Evolutionsbiologie strich Thomas Rülicke, Leiter des Instituts für Labortierkunde der VUW, hervor. Habe man sich im Labor häufig vom Ursprungsorganismus entfernt, müsse man aber immer wieder zum Ursprung zurückgehen. "Die Wildtierbiologie ist hier die Quelle der Information", so Rülicke.

Auch 50 Jahre nach ihrer erstmaligen Veröffentlichung gilt dabei in der Versuchstierkunde laut den Experten die "3R"-Formel, aufgestellt 1959 von den Briten William Russel und Rex Burch: Anzustreben sei der Ersatz ("Replacement") von Versuchstieren durch andere Verfahren wo möglich, die Verringerung ("Reducement") der Anzahl der Versuchstiere im Experiment sowie die Verfeinerung ("Refinement") der Versuche, um die Belastung zu verringern. Vor allem bei letzterem Punkt könne man sich noch verbessern. So gehe es etwa darum, eine Labormaus "richtig aus dem Käfig zu nehmen", so Kluge, um den Stress vor der Injektion möglichst gering zu halten und damit Versuchsergebnisse nicht zu verfälschen. "Wir wollen den Tierschutz", gleichzeitig müsse man aber aufpassen, dass man die Wissenschaft nicht erschlage. Vielmehr gelte es, "die Balance zu halten zwischen maximalem Tierschutz und der Möglichkeit, Wissenschaft in einem sinnvollen finanziellen und zeitlichen Rahmen umzusetzen", sagte Kluge mit Verweis auf die derzeitige politische Diskussion über die Überarbeitung der EU-Tierschutzrichtlinie 86/609.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.