Essens-Kampf

Immer mehr Frauen leiden unter Essstörung

26.09.2011

Zahl der Betroffenen in 20 Jahren verzehnfacht. Auch schon Kinder betroffen.

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© photl.com, Getty Images
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200.000 Österreicher waren laut Gesundheitsministerium zumindest einmal in ihrem Leben an einer Essstörung erkrankt. Betroffen sind vor allem sehr junge Menschen, 90 bis 97 Prozent sind Mädchen bzw. junge Frauen. Die Zahl der Erkrankten hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch erhöht. Innerhalb von 20 Jahren hat sich diese mehr als verzehnfacht. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein.

Von allen 15- bis 20-jährigen Mädchen in Österreich leiden 2.500 an einer Magersucht, über 5.000 an einer subklinischen Essstörung, also an einer leichteren Verlaufsform. Unter 20- bis 30-jährigen Frauen findet man mindestens 6.500 mit Bulimie. In Wien besteht für mehr als 2.000 Mädchen und rund 100 Burschen ein akutes Risiko, an Magersucht oder Bulimie zu erkranken.

Wenig Männer betroffen

Während meist Mädchen und junge Frauen unter dieser Krankheit leiden, stellt laut Österreichischem Frauengesundheitsbericht die Betroffenheit bei Burschen und Männern noch eine Ausnahme dar. Bei Frauen sei der sichtbare körperliche sowie der endokrinologische, physiologische Übergang vom Mädchen- in das Erwachsenenalter transparenter, spürbarer, prägnanter und erfordert daher mehr psychische Anpassungsleistung als bei Burschen, heißt es in dem Bericht zu einer möglichen Begründung.

Die Betroffenheit von Essstörungen bei Mädchen beginnt laut Frauengesundheitsbericht ab elf Jahren, steigt kontinuierlich an und hat ihren Höhepunkt mit 16 Jahren. Je länger die Erkrankung andauert, umso schlechter sei laut Bericht die Prognose.



Die Folgen von Essstörungen

Die Liste der Folgen von Essstörungen ist lang und beunruhigend: Den Betroffenen ist ständig kalt (Untertemperatur), sie haben niedrigen Blutdruck oder Amenorrhoen (Ausbleiben der Menstruation). Im schlimmsten Fall kann das zur Infertilität führen. Die Patienten haben zudem ein erhöhtes Risiko des Knochenabbaus (Osteoporose), verbunden mit einer verstärkten Neigung zu Knochenbrüchen. Durch das ständige Erbrechen ist der Elektrolythaushalt gestört, die Speiseröhre erhält Risse und es kommt zu Zahnprobleme wie Karies.

Auch Kleinkinder schon betroffen
Besonders erschreckend ist, dass die Krankheit bereits früh zuschlägt. Immer mehr Kleinkinder leiden unter massiven Essstörungen. Etwa an der Universitätsklinik in Graz werden jährlich mehr als 120 Kleinkinder ambulant mit mittleren bis schweren Essverhaltens- und Fütterungsstörungen behandelt, wie im Frauengesundheitsbericht ausgeführt wird. 285 Kinder werden mit lebensbedrohlichen Essstörungen stationär behandelt.

In Österreich gibt es laut Frauengesundheitsbericht 2010/11 unter dem Begriff Essstörungen mehrere Formen: Anorexia nervosa (Magersucht), Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht), Binge Eating Disorder (Störung mit Essanfällen), Adipositas (Fettsucht), Reaktive Fettsucht (Gewichtszunahme nach traumatischen Erlebnissen) und Orthorexia Nervosa (krankhaftes Gesundessen).

Tiefer ligende Probleme
Wenn Menschen an Essstörungen leiden, dann steht nicht immer ein schlanker Körper im Vordergrund. "Die Essstörung ist ein Symptom für tiefer liegende Probleme", erklärte Psychotherapeutin Anna Wexberg-Kubesch im Gespräch mit der APA. Und diesen gilt es auf den Grund zu gehen. "Wir wissen nicht, wenn wir jemanden mit dieser Krankheit sehen, was die Ursache dahinter ist", so die Expertin. Meist seien frühe Gewalterfahrungen, sexuelle Gewalt, Leistungsdruck, das jeweils herrschende Frauenbild oder kulturelle Vorstellungen von Körper und Geschlecht in Verbindung mit Essstörungen zu sehen.

"Vielmehr geht es um die Frage, wie selbstbestimmt ein junges Mädchen oder eine junge Frau in der Gesellschaft sein kann", sagte Wexberg-Kubesch. Das Problem müsse als Krankheit bezeichnet werden und nicht als Laune. Für viele Frauen ist ihr eigener Körper die naheliegendste Möglichkeit, sich individuell auszudrücken, so die Expertin. "Auf meinen Körper kann niemand außer mir Einfluss nehmen." Es gebe keinen allgemeingültigen Grund, warum jemand an Essstörungen leidet. "Es liegt viel mehr in der persönlichen Disposition, wie stark oder wie schwach fühl' ich mich." Und: Nur weil jemand sein Essverhalten ändert, ist damit nicht automatisch die Frage nach dem ursprünglichen Auslöser beantwortet.

Keine Pauschaltherapie
Eine Pauschaltherapie gebe es nicht, viel mehr sei ein Zusammenspiel eines gesamten Netzwerkes wichtig: praktischer Arzt, Familie, Psychiater, Psychotherapeut und eine Klinik mit Kinder- und Jugendpsychosomatik. "Ernährungsexperten sind sinnvoll und wichtig, aber sie werden erst zu einem bestimmten Zeitpunkt der Behandlung relevant", so Wexberg-Kubesch. "Um es krass auszudrücken: Wenn jemand pro Tag an einer halben Karotte und einem Salatblatt knabbert, braucht er keinen Ernährungsberater. Das kommt erst im letzten Drittel der Therapie, um den Betroffenen klar zu machen, was brauche ich?, was kann ich streichen? oder wozu ist Fett gut?", erklärte Wexberg-Kubesch. "Außerdem wissen Menschen mit Essstörungen wahnsinnig gut Bescheid, was es mit jedem einzelnen Lebensmittel auf sich hat, wieviel Kalorien es hat."

Kraftsuppen helfen
TCM-Expertin Claudia Nichterl meint, dass eine Begleitung durch einen Ernährungsprofi für ein späteres Leben sinnvoll ist. "Natürlich neben einer ärztlichen und psychotherapeutischen Betreuung", so Nichterl. Die TCM hätte einen anderen Zugang zum Essen und zum Körpergefühl. "Hier stehen nicht die Kalorien groß im Raum, sondern das Bauchgefühl. Wie fühlt es sich an, wenn ich etwas gegessen habe."

Nichterl hat dabei gute Erfahrungen mit Kraftsuppen gemacht. "Mahlzeiten, die nach zwei Stunden aufblähen, verstärken das Problem. Bekömmliches Essen wie Grießbrei, Haferbrei oder Suppen produzieren im Bauch ein Wohlgefühl." Besonders Menschen, die unter Magersucht leiden, würden sich bereits vom kleinsten Salatblatt aufgebläht fühlen. Die Ernährungsexpertin: "Es ist eine Gratwanderung."

Beratungsstellen
www.netzwerk-essstoerungen.at
www.oeges.or.at

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