Martin Suter über seinen neuen Roman "Love Food"

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Mit seinem Roman "Der Koch" führt der Schweizer Martin Suter derzeit die Bestsellerlisten in Österreich an. Im Mittelpunkt steht ein Koch-Catering namens "Love Food". Gestern, Montag, Abend stellte der 61-Jährige, der in der Werbebranche arbeitete, ehe er erfolgreicher Autor wurde, sein neues Buch in Wien vor. Zuvor sprach er mit der APA über Asylanten und Ayurveda, Klischees, Kochkunst und Krise.

APA: Herr Suter, bisher war das Klischeebild der Schweiz ein sehr positives, angefangen bei Schokolade und Präzisionsuhren. Das scheint im Wandel begriffen zu sein. Die Stichworte, die man dieser Tage mit der Schweiz assoziiert, lauten Minarett-Verbot und Bankdaten-CD. Wie denken Sie über diesen Wandel?

Martin Suter: Das alles ist nicht gut für das Image der Schweiz. Die Minarett-Initiative war für alle ein Schock, ich glaube auch für die Befürworter. Die haben nicht damit gerechnet, wie es ausgegangen ist. Das ist sehr ärgerlich und beschämend für viele von uns. Der Schweiz bleiben solche Peinlichkeiten deswegen nicht erspart, weil sie dieses demokratische Instrument besitzt: Man kann, wenn man hunderttausend Unterschriften zusammenbringt, fast jede Frage vor das Volk bringen. Ich weiß nicht, wie diese Frage ausgegangen wäre, wenn sie vor das österreichische, deutsche, italienische oder französische Volk gekommen wäre. Das Schweiz-Spezifische an diesem Resultat ist nur, dass man es ermitteln kann. Auch die Frage des EU-Beitritts wurde von der Mehrheit des Volks angenommen, nur hat die Mehrheit der Stände sie abgelehnt. Die Schweiz sträubt sich zwar immer noch gegen die Integration in die EU, aber ich bin sicher: Früher oder später wird die Schweiz dabei sein - und sich so wohl oder unwohl fühlen in diesem Verbund wie die anderen Länder auch.

APA: Sie bringen in Ihrem neuen Roman "Der Koch" mit den Tamilen eine Migranten-Gruppe ins Spiel, die in Österreich kaum Bedeutung hat. Man erhält den Eindruck, es gibt in der Schweiz keine großen Probleme im Zusammenleben. Entspricht das der Realität?

Suter: Das ist tatsächlich so. Die Tamilen sind die Lieblingsasylwerber der Schweiz. Sie haben viele Schweizer Tugenden wie Sauberkeit, Freundlichkeit, Zuverlässigkeit - was man halt so hochhält in der Schweiz. Sie integrieren sich im Arbeitsumfeld hervorragend, sprechen schnell die Sprache, geben ihre Kinder sofort in Schulen. Daneben haben sie diese Diaspora. Mit 45.000 Menschen gibt es, glaube ich, die zweit- oder drittgrößte tamilische Gemeinde außerhalb ihrer Heimat. Da gibt es keine Probleme - weil sie die niedrigen Arbeiten machen. Wenn das 45.000 tamilische Computerexperten, Chirurgen und Universitätsprofessoren wären, dann wäre das anders.

APA: Ein weiterer Aspekt Ihres Buches ist die Krise. Die einen gehen bereits zu business as usual über, die anderen warnen vor dem großen Crash, der nun doch droht, weil man einfach weitergemacht hat. Kommt das dicke Ende erst?

Suter: Da bin ich überfragt - ich bin nicht gut in Prognosen. Ich glaube aber, um einen nachhaltigen Wandel in den Köpfen der Leute, die dafür verantwortlich sind, zu erreichen, braucht es einen Kulturwandel. Es muss in die Wirtschaft wieder ein bisschen Gemeinsinn einziehen.

APA: Gerade die Molekularküche, die im Zentrum Ihres Buches steht, ist Ausdruck eines übersteigerten Hedonismus, einer Verfeinerung und auch Überteuerung so simpler Dinge wie der Nahrungsaufnahme. Wie kommt man auf die Idee, das ins Zentrum eines Buches zu stellen?

Suter: Ich wollte eine Geschichte schreiben über eine Figur, die eine Fähigkeit hat, mit der sie Einfluss nehmen kann auf andere Leute. Diese Fähigkeit wird dann von anderen missbraucht. So kam ich vom Zauberer und Hypnotiseur zu einem Koch, der Leute in eine beeinflussbare Stimmung bringt. Ich wollte keinen Spitzenkoch, sondern einen, dessen Talent im Verborgenen blüht. So kam ich auf einen Küchengehilfen. Ein großer Teil der Schweizer Küchengehilfen sind Tamilen, denn solange ihr Asylverfahren läuft, werden sie für Arbeit in der Gastronomie oder im Gesundheitswesen zugeteilt. Dann brauchte ich noch eine Art, wie das Essen die Leute beeinflusst. So kam ich auf die Erotik und die ayurvedische Küche, die acht Sparten besitzt. Die achte wirkt als Aphrodisiakum. Da gibt es fast medizinische Rezepte mit einfacher Zubereitung. Sie wirken aber langsam. Ich brauchte eine plausible Erklärung, warum das in diesem Fall sofort wirkt, und dachte, wenn man diese Dinge molekular zubereitet, mit Essenzen und so, könnte dies ein Grund dafür sein. So ist das entstanden - von innen heraus, und nicht etwa als Kritik an überteuerten Essen auf Spesen.

APA: Im Anhang Ihres Romans gibt es sogar Rezepte zum Nachkochen. Normalsterbliche dürften allerdings schon am fehlenden Equipment scheitern.

Suter: Sie meinen den Rotationsverdampfer? Es geht auch ohne ihn. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Rezepte aufgrund alter ayurvedischer Grundlagen zu erfinden und danach überprüfen zu lassen, ob sie auch funktionieren. Und da dachte ich, dass es schade wäre, wenn man sie nicht mitteilen würde.

APA: Wenn Sie nicht schon von Ihren Romanen Millionen Bücher verkauft hätten, könnten Sie sich wohl auch gut als Kochbuchautor versuchen. Das gilt ja als das Buchgenre mit den höchsten Auflagen.

Suter (lacht): Vielleicht werde ich auch einmal jemanden treffen, der die Rezepte nachgekocht hat.

APA: Sie stehen ja am Beginn einer langen Lesereise. Da bekommen Sie vielleicht Gelegenheit dazu. Aber ansonsten stelle ich mir das kulinarisch eher als Herausforderung vor: Jeden Tag woanders essen, und nie recht Zeit dafür haben. Wie lässt sich das aushalten?

Suter: Bei der letzten Lesereise habe ich mich kulinarisch ein bisschen gehen lassen. Wobei das weniger eine Frage des Zunehmens als des Wohlbefindens war. Diesmal habe ich mir vorgenommen, mich etwas mehr zurückzuhalten. Was kulinarisch ohnedies viel gescheiter ist.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

INFO: Martin Suter: "Der Koch", Diogenes Verlag, 312 Seiten, 22,60 Euro, ISBN 978-3-257-06739-2.

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