Uschi Fellner

Kein Tag wie der Andere

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Warum ich meinen neuen Koffer so liebe

Ich habe einen neuen Koffer. Er war ausgesprochen teuer, hat aber 20 Jahre Garantie. Er hat den Lastwagentest bestanden. Selbst wenn ein Lastwagen mich und meinen Koffer überrollt: Der Koffer wird überleben.

Der Prototyp meines neuen Koffers wurde von fünf Lastwagen überrollt und hat keinen Kratzer ­abbekommen, sagte die Verkäuferin und sah dabei sehr glaubwürdig aus. Manno! Fünf Lastwagen! „Dann würde der Koffer  auch einen Flugzeugabsturz überleben?“, fragte ich. Darüber sei nichts Näheres bekannt, meinte sie.

Die Chance abzustürzen stufe ich ja höher ein, als von fünf Lastwagen überrollt zu werden. Wobei ich Abstürzen über dem Meer noch unangenehmer finde als normales Abstürzen. Der Koffer ist hundert Prozent wasserfest. Wie das mit einem Wassersturz aus 10.000 Metern Höhe aussieht, ist nicht erforscht, aber sicher – no problem!

Was man mir nicht ansieht, ist übrigens meine Flugangst. Nach außen bin ich eine ganz normale Passagierin, sitze brav auf meinem Platz und störe nicht. Lese. Unterhalte mich. Denke ans Abstürzen. Sollte es einmal so weit sein, bin ich sicher die Ein­zige an Bord, die nicht im Mindesten überrascht ist. Ich bin in meinen Träumen schon so oft vom Himmel gefallen, mir ist nichts mehr fremd.

Vermutlich haben die Koffererzeuger diese Koffer für Koffer wie mich erfunden. Wir brauchen das ­Gefühl, dass etwas bleibt, auch wenn wir selbst keine Chance haben. Wir zahlen für Koffer, die uns überleben. Andächtig rollte ich den Koffer zum Kofferraum meines Autos. Sollte ein Autobus in den Kofferraum krachen… Ha! Der Koffer wird auferstehen.

Ein Problem ist die Programmierung der Geheimzahl. Ich bin ein Geheimzahlengrab, werde den Koffer also nicht programmieren. Wäre auch sinnlos, weil ja ER derjenige ist, der überlebt. Um ihn ohne Code zu öffnen, müssten ihn zehn Lastwagen überfahren, dieser Aufwand wäre doch enorm. Ich habe übrigens versucht, der Verkäuferin diesen Standpunkt zu erklären. Sie hat freundlich genickt, während sie „Vollkoffer!“ dachte.

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