Uschi Fellner:

Kein Tag wie der Andere

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Warum das Leben eigentlich ein einziger Notfall ist

Für Leute wie mich wurden Notfall-Pastillen erfunden. Eigentlich sind diese homöo­pathischen Bonbons aus Bachblüten ja eine Idee, um Kindern den Schmerz z. B. eines Wespenstichs zu nehmen. Man nennt das Placebo-Effekt. Kind schluckt Notfall-Pastille und schwupps, der Schmerz ist weg.

So zirka nach dem zweihundertsten Kinder-Wespenstich begann ich, die Bonbons auch selbst zu schlucken. Seither ist es nicht mehr schlimm, wenn ein Kind, für das ich im Augenblick verantwortlich zeichne, im Restaurant, den Mund voller Nudeln, volle Pulle niesen muss. Und auch den Nachbartisch reichlich beschenkt.


Notfall-Pastille. Es ist auch nicht schlimm, wenn mir nach langem Sinnen nicht einfallen mag, wo mein Auto eben parkt. Schritt eins: Notfall-Pastille. Schritt zwei: Dreimal um den Häuserblock rennen. Schritt drei (der positive Effekt der Notfall-Pastille): Rufe froh: „Da bist du ja!“, ärgere mich nicht und küsse die Motorhaube.

Nicht abstreiten möchte ich, dass die häufige Einnahme der segensreichen Pillen eine gewisse Wurschtigkeit erzeugt. Beim letzten Elternabend, als es um die Frage des Spritzpistolen-Verbots im Freizeitbereich der Schule ging, warf ich eine Dreiviertel-Packung ein. Als es zur Abstimmung kam, musste man mich angeblich schon wegen der Lärmbelästigung wecken (dabei schnarche ich sonst nie) und ich soll gekichert haben. „Wir sind doch alle eine große, glückliche Familie! Wie wär’s mit einer Runde Spritzpistolen-Ballern, jetzt, wo die Kinder nicht da sind…?“

Im Internet steht, dass zu hohe Dosen von Notfall-Pastillen im schlimmsten Fall zu geistigem Verfall führen können. Wie viel „zu hoch“ ist, steht nicht dabei. Während ich das las, warf ich vorsichtshalber zehn Pastillen ein. Das Gute ist, dass ich nachher nicht mehr wusste, was ich im Internet wollte. Froh blickte ich die Kollegin an, die ins Zimmer trat, und bot ihr eine köstliche Pastille an.

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