Mein perfekter Tag

Superwoman meistert alle Herausforderungen!

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Der Wecker läutet um sechs Uhr nur mehr für meine Familienmitglieder, denn ich fühle mich bereits frisch und ausgeruht.

Denn gestern Abend bin ich rechtzeitig ins Bett, anstatt vor dem Fernseher zu versumpfen.

Beim morgendlichen Eincremen erfreue ich mich an meinem Körper, obwohl die letzten 39 Jahre doch ihre Spuren hinterlassen haben. Meine Tochter muss heute eine Mathe-Schularbeit schreiben und will nicht in die Schule gehen. Ich setze all meine psychologischen Fähigkeiten ein und sie verlässt letztendlich pünktlich und voller Zuversicht das Haus. Mein Sohn bemerkt ganz nebenbei, dass er das gesamte Einmaleins hätte üben sollen, aber auch das bringt mich nicht aus der Fassung. Anstelle einer zeitraubenden Strafpredigt frage ich ihn nach einem didaktisch ausgeklügelten System so lange ab, bis die Reihen sitzen und er sich kurz vor acht Uhr auf den Weg zur Schule macht, gewappnet für alles was da kommen mag. Jetzt habe ich noch Zeit für eine Tasse Kaffee mit meinem Mann, die wir uns weder mit Gedanken an die Arbeit noch an bevorstehende Zahnarzttermine vermiesen lassen, sondern wir stellen einen emotionalen Gleichklang her, der uns durch den Tag tragen wird.

Die gefürchtete Email der Konzernmutter erwartet mich im Büro: Die Tests des neuen Programmes sind nicht zur Zufriedenheit verlaufen, ich muss meinem Vorstand einen Projektverzug melden. Die unvermeidlichen Kommentare meines Vorgesetzten nehme ich sportlich, nicht persönlich. Schließlich waren widrige Umstände verantwortlich für den Verzug, Rechtfertigungen und Schuldzuweisungen spare ich mir trotzdem. „Jetzt erst recht“ denke ich und mache mich gleich mit Feuereifer an die Arbeit, um den neuen, realistischeren Fertigstellungstermin halten zu können. Zwischendurch lasse ich beim Mittagessen mit einem Kollegen mein Ego von seinen Flirtversuchen streicheln.

Nach der Arbeit jage ich mein Mountainbike noch eine Stunde lang über Singletrails, die schwierigsten Stellen gelingen heute, ohne abzusteigen!

Zu Hause erwartet mich dicke Luft. Mein Mann hatte versucht, seine Ordnungsstandards für die gemeinsam genutzten Räume gegenüber unserer Tochter durchzusetzen. Souverän überhöre ich das vorwurfsvolle „Wo warst du denn so lange, Mama!“ und absolviere vorschriftsmäßig die vom Physiotherapeuten verordneten Stretchingübungen, bevor ich mich in die Streitschlichtung stürze. Als Wohn- und Esszimmer aufgeräumt sind, genießen wir unser gemeinsames Abendessen. Ohne an meine Problemzonen zu denken, lege ich eine zweite Scheibe Salami auf mein Brot und behalte auch trotz der Tischmanieren meines Sohnes die Fassung. Mit diplomatischem Geschick ziehe ich ihm schulische Neuigkeiten aus der Nase und berate meine Tochter in den Belangen des klasseninternen Zickenkriegs.

Die Kinder sind im Bett, und ich genieße mit meinem Mann den Höhepunkt dieses erfolgreichen Tages.

Superwoman hat alle Herausforderungen bravourös gemeistert, es war mein perfekter Tag!

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