"Blutsfreundschaft"-Regisseur Kern über Zensur

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An Produktivität mangelt es Peter Kern nicht: Mit der Premiere von "Blutsfreundschaft" ist der Filmemacher am Mittwoch bei der Viennale im Gartenbaukino zu Gast. Parallel schneidet er bereits seinen nächsten Film, "und für die Zukunft schwebt mir eine große Liebesgeschichte vor zwischen einer Nazi-Braut und einem Jungen, der der grünen Partei nahe steht", sagte Kern im Gespräch mit der APA.

Auch bei "Blutsfreundschaft", der Anfang November regulär im Kino startet, spielen Alt- und Neonazis die Hauptrollen. "Das sind die Themen, die mich hier in diesem Österreich beschäftigen", so der streitbare österreichische Regisseur. Vor einigen Tagen hatten bereits die Filmplakate, gestaltet wie Hetzschriften vom rechten politischen Rand, für kurze Aufregung gesorgt, weil sich die Plakatfirma Gewista geweigert hatte, diese auch aufzuhängen. "Schließlich wurden sie mit einem drübergeklebten Banner plakatiert, der klarmacht, dass es sich um den Film handelt", erklärte Kern, "aber die Inhalte haben sich ja eigentlich nicht gerändert, der Spruch 'Soziale Wärme statt Woarme' wurde ja nicht überklebt." Einerseits lobte der ehemalige Fassbinder-Schauspieler zwar das "hervorragende Marketing, weil wir hier ja in politische Prozesse eingreifen", andererseits müsse man auch sagen: "Es herrscht Zensur in diesem Land, die Kunst wird zensiert."

Im Zentrum von "Blutsfreundschaft", einer Erzählung über Rechtsradikale und Homosexuelle in Wien, steht ein schwuler Alt-Nazi (Helmut Berger), der einen jugendlichen Neonazi nach einem Angriff auf eine soziale Einrichtung bei sich untertauchen lässt, weil dieser ihn an seine große Liebe aus der NS-Zeit erinnert. "Als ich das Drehbuch eingereicht habe, hat man mir gesagt, das kann man nicht verfilmen, es gibt keine Neonazis in Österreich", erzählte Kern. "Ich kann sagen, es gibt sie wohl, wir haben drei Jahre lang recherchiert, die stellen sich nur anders dar - sie tragen heute Anzüge und Krawatte, das sind nicht mehr die mit den kurz geschorenen Haaren."

"Ich bin weder ein Philosoph noch ein Diplomat, ich bin ein Geschichtenerzähler", sagte Kern. "Ich sehe so viele Bilder, wenn ich an die Geschichte Österreichs denke, die sich alle im Kreis drehen, mir wird schwindlig bei dieser ganzen Ignoranz. Wie kann es nach dem Holocaust mit diesen vielen Toten sein, dass ich heute wieder zum gedanklichen Ursprung zurückkomme? Bitte schaut euch einmal alle an, wo wir gelandet sind! Da muss man als Filmemacher einen lauten Schrei machen. Aber der Film kommt natürlich nicht nur als Schrei, sondern da schwebt und zittert auch der typisch Kern'sche Humor mit. Der Film umarmt auch die Menschen und lässt sie nicht allein in der Irre."

Kern lebt selbst in der Wiener Großfeldsiedlung, wo er eine Wohnung von seinem Vater übernommen habe. "Das ist ein bisschen der Ort, wo all jene zusammen leben, die vom Leben vergessen worden sind, und vor allem vom Herrn (Bürgermeister Michael, Anm.) Häupl und der Sozialdemokratie. Aus diesem einst so hoffnungsvollen sozialen Wohnungsbau sind Löcher geworden, die in sich verdrecken, verschmutzen, wo sich die Leute nicht kennen. Ich kenne meine Nachbarn nicht, ich versuche nur jeden Tag, freundlich zu sein und zu lächeln. Den ganzen Tag lächle ich und gehe durch das Haus, weil ich hoffe, dass ich einmal ein Lächeln zurückbekomme - aber das kommt nicht, weil die Leute Angst haben."

"Es ist unsere Aufgabe, einen Schritt auf die zuzumachen, denen man das Lächeln in diesem Land bereits ausgetrieben hat", so Kern, "weil sie sonst nach Hause geschickt werden mit Sprüchen wie 'Daham statt Islam'." Er sei der Meinung, dass es in einer Demokratie auch einen rechten Rand geben dürfe, führte der Filmemacher aus, "nur muss dieser rechte Rand gewaltfrei sein, man muss sich mit diesem Rand auseinandersetzen, es muss Dialoge geben, man muss versuchen, die Leute rüberzuziehen - und das geht nur durch Kommunikation." Dass es um die Plakate Aufregung gegeben hat, komme ja auch unter anderem daher, "dass sich die Österreicher entdeckt fühlen in ihren geheimen Gelüsten, den (FPÖ-Chef Heinz Christian, Anm.) Strache doch toll zu finden."

Die Aufgabe der Kunst sei zu provozieren, so Kern. "Also politisches Bewusstsein und politisches Ärgernis schaffen, und dazu ein Film, der das alles thematisiert - das ist eine Form von Kino, wie ich sie mir immer erträumt habe." Ursprünglich sei der Film als österreichisch-deutsche Koproduktion mit Mario Adorf in der Hauptrolle angelegt gewesen. "Aber irgendwelche Gremien haben dann den deutschen Rückzug beschlossen. Man muss sich das vorstellen, die Dezimierung der Kunst durch öffentliche Gremien! Man ist eigentlich einer ständigen Zensur ausgesetzt, unglaublich, was man da für einen Leidensweg hinter sich hat."

(Das Gespräch führte Daniel Ebner/APA)

INFO: "Blutsfreundschaft" am Mittwoch, 28.10., um 18 Uhr im Gartenbaukino in Anwesenheit von Peter Kern und Helmut Berger - http://www.viennale.at

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