Marine Le Pen

So ticket „Madame Frexit“

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Marine Le Pen. Die Rechtspopulistin schickt sich an, die nächste Präsidentin Frankreichs zu ­werden. Und die Chancen stehen gar nicht einmal schlecht …

Es könnte der Todesstoß für die EU werden. Sollte – und heutzutage ist, siehe Trump und Brexit, mit allem und leider stets dem Schlimmsten zu rechnen – die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen (48) am 7. Mai zur französischen Präsidentin gewählt werden, ginge ihre erste Reise schnurstracks nach Brüssel. „Um die Oberhoheit über Währung, Gesetzgebung, Haushalt und das nationale Territorium“, wie sie sagt, „wiederzuerlangen.“ Falls sie dies erreichen sollte, werde sie den Franzosen empfehlen, in der EU zu bleiben. „Sonst werde ich ihnen raten, die EU zu verlassen!“


„Marine Présidente“.
Le Pens Chancen fürs Horrorszenario stehen gar nicht so schlecht. Die letzten Umfragen sind jedenfalls alarmierend. Mit 42 bis 44 Prozent schafft die Rechte, die mit dem selbstbewussten Slogan „Marine Présidente“ wirbt, im April komfortabel die Stichwahl, der Front National befindet sich in einem bis dato nie erlebten Hoch. Nicht zuletzt dank der grandiosen Hilfe des konservativen Kandidaten François Fillon, der sich seiner Frau Penelope gegenüber äußerst freigiebig zeigte und ihr bis zu 7.000 Euro an monatlichen Parlamentsgehältern überwiesen haben soll, so jedenfalls die Vorwürfe. Zwar ist Le Pen vor ähnlichen Korruptionsanschuldigungen detto nicht gefeit – gibt es gegen die Präsidentschaftskandidatin doch Vorwürfe, sie hätte Leibwächter und Assistentin vom Europäischen Parlament bezahlen lassen. Außerdem hob das EU-Parlament jüngst ihre Immunität wegen Verbreitung von Gewaltbildern im Internet auf – aber scheinbar übersteht die ehemalige Anwältin derzeit alles unbeschadet. „Vielleicht auch, weil die französischen Bürger im Gegensatz zu Fillon nicht von ihr annehmen, dass sie redlich und unbestechlich ist. Sie erwarten von Le Pen, das System aufzumischen“, so ein Politologe. Was die Chefin des Front National bei jeder Gelegenheit auch versucht. Zuletzt bei einem Besuch im Libanon, als sich Le Pen weigerte, im Büro des Großmuftis Kopftuch zu tragen – worüber man sich im Vorfeld allerdings geeinigt hatte. Die Presse war anwesend, und die Videoaufnahmen der Aktion waren flugs in der Welt.


Populistin.
Wir lernen: Le Pen weiß, was beim einfachen Volk gemeinhin gut ankommt. Sie mag es, Populistin genannt zu werden, wehrt sich aber dagegen, rechtsextrem zu sein. Ihre Tweets kreisen in der Tat um Belangloses, haben nichts von der Erregung eines Donald Trump. Und sowieso würde sie nie ein böses Wort gegenüber Journalisten verlieren, füttert diese einerseits, hält sie andererseits auf Distanz. Verbale Provokation – das unterscheidet die Tochter vom Vater Jean-Marie Le Pen, der den Holocaust dereinst als „ein Detail der Geschichte“ verharmloste – ist Marine Le Pen fremd. Persönlich überschreitet sie keine Grenzen. Sie lässt überschreiten. So findet sich im Internet ein Video, das einen französischen Journalisten zeigt, wie er Le Pen bei einer Veranstaltung eine kritische Frage stellen will. Dazu kommt es aber nicht, denn er wird von Sicherheitskräften gepackt und aus dem Saal geworfen. Auch ein Zwischenfall wie dieser vermag Le Pen nicht  zu schaden. Für viele bleibt Marine wählbare Alternative. Das Image ist hart erarbeitet. In sechs Jahren, seit Le Pens Antritt als Front-National-Vorsitzende, ist die einstige Protestpartei breit aufgestellt, findet Anhänger sogar unter Juden und Homosexuellen. Das neue Bild der Partei repräsentiert auch Marines wichtigster Berater perfekt: Florian Philippot (35), früherer Finanzin­spektor im Innenministerium, schwul, gebildet, schlagfertig. Mit diesem Mann an ihrer Seite hat Le Pen es geschafft, das Ansehen der Partei komplett zu drehen. Das Image ist neu, das Programm freilich dasselbe. Eine neue nationale Währung fordert Le Pen, die Einwanderung soll auf null gesenkt, ausländische Arbeitnehmer stärker besteuert werden. Prinzipientreu gibt sich Marine Le Pen nicht nur, was das Parteiprogramm betrifft, sondern auch privat.


Privatleben. Partner rekrutiert Le Pen nämlich ausschließlich aus dem engsten Kreis des Front National. So war Le Pen von 1997 bis 2000 mit dem für den Front National tätigen Geschäftsmann Franck Chauffroy verheiratet (dieser Ehe entstammen die 1998 geborene Tochter Jehanne und die 1999 geborenen Zwillinge Louis und Mathilde). 2002 gab Marine dem Front-National-Funktionär Éric Lorio das Jawort, auch diese Ehe wurde 2006 wieder geschieden. Und seit 2009 ist Le Pen abermals mit einem Front-National-Getreuen liiert, Louis Aliot (47), den Marine 2011 zum Vizepräsidenten der Partei ernannte, gleich nachdem sie dort den Vorsitz übernommen hatte. Letzteren kann Marines Monsieur Papa Jean-Marie Le Pen so gar nicht ausstehen. Die Tochter mag er auch nicht mehr. Hat sie doch vor zwei Jahren den Machtwillen über die Gefühle gestellt, damals, als sie beschloss, der Front National solle doch endlich Mainstream werden, und den Vater wegen seiner wiederholten antisemitischen Ausfälle kurzerhand aus der Partei kippen ließ. „Von niederen Schergen“, wie das Jean-Marie Le Pen hinterher verbittert kommentierte. Überhaupt hätte der mittlerweile 88-Jährige viel lieber eine Generation übersprungen und die Lieblingsenkelin Marion Maréchal-Le Pen (27) als Nachfolgerin installiert, der man großes politisches Talent bescheinigt und die bereits als jüngste Abgeordnete Frankreichs in der Nationalversammlung sitzt. Sie wird noch warten müssen, seit „Vatermörderin“ Marine durch die Decke geht.


Frankreich den Franzosen. Stellt sich abschließend die Frage: Was passiert wirklich, wenn das Äußerste eintritt und Marine es schaffen sollte? „Ich würde Frankreich in fünf Jahren in Ordnung bringen“, sagt sie. „Mehr Sicherheit, mehr Polizei!“ Und Frankreich möge wieder den Franzosen gehören. Ein Satz, den man zuvor schon viel zu oft gehört hat. Und eine Art Ordnung, die Angst macht …

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